Wenn ich ein Wort benutze, sagte Humpty-Dumpty in eher höhnischem Tonfall, so bedeutet es genau das, was ich an Bedeutung auswähle, nicht mehr und nicht weniger. Die Frage ist, sagte Alice, ob Sie wirklich die Wörter so vielerlei Verschiedenes bedeuten lassen können. Die Frage ist, sagte Humpty-Dumpty, wer eigentlich die Begriffe bildet — darauf kommt es an. (Lewis Carroll: Alice im Wunderland, 1865)
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) hat ihren Namen geändert. Sie kandidiert nunmehr unter dem neuen Namen ›Die Heimat‹. Das ist verwirrend, zumal es schon lange Zeit eine Institution gab, die sich allerdings ›Neue Heimat‹ nannte, und wenn es auch dieses 1926 gegründete »gemeinnützige« deutsche Bau- und Wohnungsunternehmen seit 1990 nicht mehr gibt, weil Vorstandsmitglieder sich bereichert hatten, was nicht im Sinne der Gemeinnützigkeit, sondern weit eher des Eigennutzes war, so entstand aus der ›Neue-Heimat-Affäre‹ Anfang der 1980er Jahre dann der Zwang, das Unternehmen aufzulösen. Die NPD wurde schon mehrfach mit einem Verbot bedroht, aber politisches Kalkül hat es bisher verhindert, daß das Bundesverfassungsgericht diese politische Partei mit einem Verbotsbeschluß bedacht hat. Indem die Partei sich in das anheimelnde Terrain der Heimat begibt, wiewohl es Zeiten in der Bundesrepublik gab, wo das Wort unter NS-Verdacht stand, vollzieht diese Partei etwas, was sich auf anderen Gebieten bereits zugetragen hat. So hat sich der Medienkonzern ›Facebook‹ vor kurzem den Namen ›Meta‹ gegeben, ein Sammelbegriff für einen Dachverband, unter dem dieses weltbeherrschende Medienimperium neue Unterorganisationen ausbilden will. Aber ›Die Heimat‹ enthält einen ungeheuren Machtanspruch, so wie es schon seit vielen Jahren in der Buchbranche üblich geworden ist, eine Biographie (in neuer Rechtschreibung: Biografie) nicht als schlichten Untertitel zu verwenden, sondern zum Beispiel bei einem Buch über Henry Kissinger nicht mehr wie früher den Untertitel ›Eine Biographie‹ zu verwenden, dafür aber einen Absolutheitsanspruch anzumelden, der sich in dem Untertitel ›Die Biografie‹ bemerkbar macht. Das will sagen: Hier wird Ihnen nicht irgendeine Darstellung des Lebens von Henry Kissinger angeboten, nein, hier erhalten Sie die definitive (auch das ein Wort, das in diesem Zusammenhang gern gebraucht wird) Biographie, und alle anderen vorhandenen Biographien werden damit nicht nur ersetzt, sondern gänzlich überflüssig. Auf den Müllhaufen mit ihnen, das ist die unterschwellige Botschaft dieses Untertitels. So ist auch ›Die Heimat‹ eine absolutistische Wortprägung, hier wird alles ausgeschlossen, was man bisher unter dem Wort Heimat sich vorstellen durfte, hier wird ein Sammelbecken offeriert, in dem man sich geborgen und wohlfühlen (auch das ein Wort, das heute bis zum Überdruß verwendet wird) kann und soll. Man sagt heute nicht mehr Sammelbecken, man sagt ›Dienstleister‹, und tatsächlich hat ›Die Heimat‹ in einer Presseerklärung verlauten lassen, daß sie sich als »patriotischer Dienstleister« versteht. Mehr noch, um dem Ganzen eine weitere Spitze aufzusetzen, man verstehe sich als »Anti-Parteien-Bewegung«, was an die Ambitionen der NSDAP erinnert, die ebenfalls mit dem Anti-Parteien-Effekt wirtschaftete und alles auf den alleinseligmachenden ›Führer‹ zulaufen ließ.
Die NPD hat unter dem Buchstaben ›N‹ das Demokratische versteckt und verborgen, ein Lippenbekenntnis zur Demokratie, auch wenn hinlänglich bekannt ist, daß ihre Mitglieder sich vor allem deswegen zu der NPD hingezogen fühlen, weil sie in vielerlei Weise die Nachfolgeorganisation der NSDAP ist, die selbstverständlich in der Bundesrepublik mit gutem Grund verboten ist. Aber das Wort Demokratie ist ein Zauberwort, mit dem alle Dinge ein angenehmes Äußeres annehmen und man auch wegen dieses Wortes toleriert wird, auch wenn es in den Parteien, die sich so nennen, wenig demokratisch zugeht. Besonders lustig ist natürlich die Kombination von ›Volk‹ und ›Demokratie‹ und die Verschmelzung beider Wörter zur ›Volksdemokratie‹. Das ist ein klassischer Fall von Doppelt-Gemoppelt, aber wen kümmert das schon, die politischen Machthaber in den Staaten, die sich volksdemokratisch genannt haben, wußten schon, daß manchmal mehr auch mehr bedeutet und diese doppelte Betonung des Anteils des Volks an der Macht war dann der Grund dafür, daß es umso weniger Macht für das so hochgehobene Volk auszuüben gab. So hat der französische Diplomat Talleyrand recht behalten, als er 1807 den Satz prägte: »Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.«