Rezensionen

Theodor Lessing als Rezensionsexemplar

Man kann sämtliche Rezensionen bibliographisch erfassen und als Quellen angeben und es damit genug sein lassen; man kann auch manche der Rezensionen im Ganzen abdrucken; man kann auf die Erwähnung von Rezensionen verzichten; man kann aber auch Sätze aus den Rezensionen zitieren, und das geschieht dann hier:

 

Über die im November 2021 erschienenen Bände ›Kultur und Nerven‹. Kleine Schriften 1908–1909, Hg. u. kommentiert von Rainer Marwedel:

»Niemand hat so frühzeitig die ›ökologischen Verwüstungen‹ der Welt, so Herausgeber Rainer Marwedel, vorhergesehen wie Ludwig Klages und Theodor Lessing. Lessings ›Kleine Schriften‹ aus den Jahren 1908 und 1909 mit dem bezeichnenden Titel ›Kultur und Nerven‹ enthalten auf 1000, im zweiten Band auf ebenso vielen erschöpfend kommentierten Seiten, seine Antilärmschrift von 1908 und ihre Quellen, Reflexionen und öffentliche Korrespondenzen, die an Witz, Stil und Insistenz einem Karl Kraus nicht nachstehen. Humor und empfindsame Psychologie zeigen in den ›Kleinen Schriften‹ auch Lessings ›Pädagogische Plaudereien‹, die mit ihrer ›Pädagogik der Freude‹ von seiner Menschenerfahrung als Lehrer an Lietz’schen Landerziehungsheimen zeugen. Anspruchsvoller sind Exkurse zu Ethik und Wertaxiomatik Kants, zur Rezeption Darwins und kleinere Studien zu Kunst und Religion.« Hannes Schwenger: Mit den Nerven denken. Auf Schopenhauers Spuren: Kleine Schriften des Kulturphilosophen Theodor Lessing. In: Der Tagesspiegel, 29.12.2021

»Rainer Marwedel war zwanzig, als er das erste Mal Texte von Theodor Lessing las, der 1933 von Nazis ermordet wurde. Bis heute arbeitet sich der Herausgeber an dem Schriftsteller ab – auch wenn er darüber verarmt ist. Leider, so will es ein rätselhaftes Naturgesetz, geht Büchermachen nicht ohne Geld, Geld, das ein Privatgelehrter, und sei er noch so aufopferungsbereit, einfach nicht hat. Sollte sich die erste Auflage von ›Kultur und Nerven‹ verkaufen, sollten sich tatsächlich fünfhundert Interessenten finden, dürfte sich Marwedel über die köstliche Summe von 4580 Euro Herausgeberhonorar freuen. 4580 Euro für wie viele Jahre Arbeit? Marwedel würde sich niemals als Besessener bezeichnen lassen, aber er ist es natürlich. Lessing ist seine lebenslange Beschäftigung und buchstäblich sein Lebenswerk geworden. Keine Dichterwitwe könnte sich mit mehr Hingabe um ein nachgelassenes Werk kümmern. Angefangen hat es mit zwanzig, als er auf Lessings kleine Texte stieß und sofort begeistert war. »Da war eine Gefühlskomponente dabei, er war mir einfach sympathisch, die Art, wie er die Zeitumstände mit verhandelt hat.« Für Theodor Lessing und dessen Rehabilitierung hat niemand mehr geleistet als Rainer Marwedel: »Irgendwann kommt man nicht mehr davon los und dann kann man nicht mehr zurück.« Gut, literarisch müsste man das verlorene Liebesmüh nennen. »Wozu eigentlich habe ich daran so viele Jahre gearbeitet?«, zitiert Marwedel seinen Lessing, als er 1914, unmittelbar vor Kriegsbeginn, unter dem Titel ›Philosophie der Tat‹ eine erste Gesamtausgabe seiner Werke herausbringen wollte. Sie blieb ohne Resonanz. Marwedel gibt trotzdem nicht auf. Bei aller Erschöpfung will er seinen Autor doch nicht verloren geben. Lessing ist sein Leben, Lessing bleibt sein Leben.Wenn er auch fast umsonst gearbeitet hat, soll es doch nicht vergeblich gewesen sein.« Willi Winkler: Zwei Leben. In: Süddeutsche Zeitung, 5.2.2022.

»Der Mensch lärmt, sobald er existiert. Kaum ist er geboren, brüllt er sich die Seele aus dem Leibe. Einmal aufgewachsen, nimmt sich der ›zivilisierte Mensch‹ Maschinen und Gerätschaften zur Hilfe, um seinen Lärmausstoß wo möglich zu vervielfachen und zu vervielfältigen. Doch gleichzeitig mit der ansteigenden Fähigkeit zur Lärmerzeugung beschert die Kultur dem Menschen ein verfeinertes Gehör. Um diesem Missverhältnis abzuhelfen, gründete der am 8. Februar 1872 geborene Philosoph Theodor Lessing bereits vor über 100 Jahren im Interesse nervengeplagter Großstadtmenschen einen ›Anti-Lärm-Verein‹ mit seinem Zentralorgan, dem ›Antirüpel‹. Als Philosoph und Psychologe erkannte Lessing freilich, dass ›dies entsetzliche Randalieren, dies unaufhörliche Brüllen, Dröhnen, Pfeifen, Zischen, Fauchen, Hämmern, Rammeln, Klopfen, Schrillen, Schreien und Toben, womit der Mensch seine Aktionen zu begleiten pflegt‹ nicht nur ein alltägliches, ja allgegenwärtiges Ärgernis ist, sondern ein tiefes menschliches Bedürfnis, gar einen ›Urtrieb‹ darstellt. Der Lärm sei nur eine der vielen Äußerungsformen des menschlichen Drangs nach Traum- und Rauschzuständen, nach ›Bewusstseinsnarkose‹, in dieser Hinsicht Alkohol, Drogen, Musik, Tanz und Spiel verwandt. Lessings Texte zum Lärm – philosophische Darstellungen ebenso wie Artikel und Briefwechsel mit Lesern aus dem ›Antirüpel‹ – lassen sich nun nebst zahlreichen anderen aus den Jahren 1908/09 in dem kürzlich unter dem Titel ›Kultur und Nerven‹ erschienenen zweiten Band der Werkausgabe auf über 900 Seiten nachlesen (ergänzt um 1000 Seiten Kommentar des Herausgebers Rainer Marwedel, dem treuesten und fleißigsten Lessing-Forscher der Bundesrepublik). Man erkennt hier einen Denker, der stets mit rückhaltlosem Ernst schrieb, dem aber die unfreiwillige Komik menschlichen Treibens und Kämpfens nicht entging.« Theodora Becker: Theodor Lessing kämpfte gegen das moderne Ärgernis des Lärms. In: Neues Deutschland, 7.2.2022

»In a nation of great thinkers who preferred the clean air of ivory towers over the hubbub of the streets, Theodor Lessing stood out for digging his knuckles into the dust. After falling into obscurity for almost a century, a newly published annotated edition of his early writings introduces a new generation to Lessing’s witty and often waspish mind, including the target of his most obsessive gripe: urban din. As founder of Germany’s first anti-noise society, the Jewish-German philosopher and avowed socialist campaigned against organ grinders, coachmen cracking their whips and housewives beating their carpets, expounding his pet hate in a monthly pamphlet called ›Der Anti-Rüpel‹ (›The Anti-Lout‹). Published on the eve of Lessing’s 150th birthday on Tuesday , with an afterword by editor Rainer Marwedel, the two-volume, 1,920-page anthology Culture and Nerves also reminds readers that the Hanover-born malcontent was not just the ›noise philosopher‹ his critics liked to mock, but a sharp mind who managed to see through the fog of history with a clarity few of his contemporaries could match. ›Lessing wrote philosophically about a wide range of issues‹, said Marwedel, who has spent the last 40 years of his life researching Lessing’s biography and annotated edition of his work. ›He’d write an essay about Kantian ethics one day, a column about the psychology of stage kisses the next: he was quite French in that way, and not your typical German ivory-tower philosopher‹. Two threads run through Lessing’s diverse reflections: a deep philosophical pessimism inherited from his idol Arthur Schopenhauer, and a satirical style reminiscent of Heinrich Heine, in keeping with a Jewish-German literary tradition radically curtailed by the second world war. ›For Lessing, insight was attained through suffering, and knowledge was pain‹, Marwedel told the Guardian. Such a combative outlook on life could make him a prickly intellectual sparring partner: his book on the ›Jewish self-hatred‹ of his contemporaries allowed that term to gain widespread currency. Lessing’s prickliness could also make him immune to the delusions about German cultural superiority expounded by other thinkers of his age, however. ›I have grown sceptical of the beauty and greatness of the German mind‹, Lessing says in an essay on English drama, written at a time of growing resentment between the two nations, and reprinted in Culture and Nerves. »In England it is different. The average person there is more eccentric and unique than we are.« Europe’s supposedly enlightened cultural tradition, he would go on to write, had done little to protect the continent’s biodiversity: like a ›cruel, merciless machine‹, it had driven bears, wolves, moose and other species to extinction. In another essay, also written in 1930, the trained medic warned of the consequences of rainforest destruction and climate change: ›Something is changing on our globe‹, Lessing wrote. ›There will be a change in the climate that will change many people’s ways of living, their professions and their work.‹ Lessing’s spikes and bristles mean Germany’s visionary grumbler has been largely neglected by academia since his death. An open letter published shortly after the assassination, calling for donations to set up an institute in Lessing’s name and produce a complete edition of his writings, was signed by luminaries including Albert Einstein and Bertrand Russell but failed to collect sufficient funds. Marwedel said he had funded the research for the latest volumes largely out of his own pocket. He is currently seeking funding to complete an edition of Lessing’s entire works, amounting to at least nine volumes and 3,600 pages.« Philip Oltermann: Wit and wisdom of Germany’s anti-noise philosopher revealed to new readers. Theodor Lessing’s newly collected early writings shine light on writer who later prophesied climate change. In: The Guardian, 7.2.2022

»Das Ganze ist Produkt einer außerordentlichen Anstrengung des Herausgebers, der über Jahrzehnte hinweg seinem geliebten Lessing treu geblieben ist. Um das Projekt zu realisieren, hat er nicht nur eine Reihe von Stiftungen gewinnen können, sondern auch sein Privatvermögen eingesetzt, unter anderem durch den Verkauf seines Elternhauses. Unter solchen Opfern sollte die Ausgabe eines Autors nicht geschehen, nicht einmal des besten; und es lässt sich absehen, dass eine Weiterführung unter diesen Bedingungen nicht ohne Weiteres möglich sein wird.« Burkhard Müller: Endlich Gerechtigkeit: Den 1933 von den Nazis ermordeten jüdischen Publizisten Theodor Lessing kann man jetzt in einer hochverdienten Werkausgabe wiederentdecken. In: Die Zeit, 27.7.2022.

»Spaß macht die Lektüre […] vor allem, weil Lessing […] eine klare, pointierte und witzige Sprache pflegt.« (Wolfgang Schneider, SWR2 lesenswert Kritik, 23.05.2022) »Theodor Lessing bleibt ein noch zu hebender Schatz.« (Willi Winkler, Süddeutsche Zeitung, 3.2.2022) »Eine hochverdiente Werkausgabe« (Burkhard Müller, Die Zeit, 21.7.2022). Zitiert auf amazon.de

»Nach einem der Essays trägt die von Rainer Marwedel herausgegebene Ausgabe der Schriften 1908 und 1909 den triftigen Titel ›Kultur und Nerven‹. Es war eine der produktivsten, umtriebigsten Phasen in Lessings Leben – deshalb kommt der Band auf satte 900 Seiten, dazu gibt es über 1000 Seiten Kommentar mit detaillierten Erläuterungen und Hintergründen. Spaß macht die Lektüre vor allem, weil Lessing wie Karl Kraus eine klare, pointierte und witzige Sprache pflegt. Er war ein Tausendsassa: Philosoph, Dichter, Frühfeminist, ökologischer Warner, Volkshochschulgründer und Streiter für liberale, humane Werte, gehasst von Nationalisten und Antisemiten.« Wolfgang Schneider: Rezension. In: SWR2 lesenswert Kritik , Sendung v. 23.5.2022.

»Le travail d’édition comprenait jusqu’à présent trois premiers recueils de textes renseignés par de nombreuses notes auxquels viennent de s’ajouter deux volumes consacrés aux écrits des années 1908-1909  – le travail éditorial se caractérise par un soin et une minutie tels qu’il constitue un volume à lui seul, proposant sur près de 900 pages des notes détaillées sur tous les articles et ouvrages édités, une courte biographie, un index des noms et des concepts lessingiens, une présentation des choix éditoriaux, une excellente postface. On ne peut que saluer la méticulosité du travail de Rainer Marwedel et l’engagement des éditions Wallstein jusqu’à la publication des œuvres complètes de Theodor Lessing, réhabilitant ainsi sa mémoire et une épopée personnelle dans un monde bien trouble.« Martine Benoit: Rezension. In: Germanica 71/2022, 223f.

 

Rezensionen zu ›Nachtkritiken‹. Kleine Schriften 1906–1907, Hg. u. kommentiert von Rainer Marwedel:

»Theodor Lessing saß abends bis weit nach Mitternacht im Café Hapke in Göttingen, dem Künstlertreff der Stadt. Dort schrieb er eine Saison lang unmittelbar nach den Vorstellungen seine ›Nachtkritiken‹. Sein Biograf Rainer Marwedel hat sie jetzt wieder ausgegraben und umfassend kommentiert: Lehrstücke für Rezensenten und Bühnenmenschen, Pretiosen für Theaterliebhaber. In seinen Skizzen der inszenierten Stücke präsentiert sich ein ebenso origineller wie respektloser Vertreter der Moderne. Von der Goldenen Regel des Lokaljournalismus, es sich mit niemandem zu verderben, hielt Lessing wenig. Er war ein Liebhaber des offenen Worts und teilte nach allen Seiten aus. Zwar konnte Lessing auch wortgewaltig schwärmen – aber nichts ließ diesen Theaterfanatiker mehr leiden als Dilettantismus. So spontan und unbekümmert ist auch sein Stil, voller Witz, Ironie und Esprit, geschult an seinen Vorbildern, Maximilian Harden und Alfred Kerr. Heute muss man freilich sagen: Als Theaterkritiker erwies sich Theodor Lessing nicht nur als würdiger Träger dieses Namens, er schrieb auch auf Augenhöhe mit seinen Berliner Kollegen. Alfred Kerr verkündete damals selbstbewusst, dass man eine gute Rezension nicht um des Rezensierten, sondern wie Literatur um ihrer selbst willen liest – Lessings Nachtkritiken sind dafür ein schönes Beispiel.« Oliver Pfohlmann: »Verdammte Nachtkritik!« Theodor Lessings Ausflüge in die Theaterkritik in der Göttinger Wintersaison 1906/1907. In: Frankfurter Rundschau, 4.9.2006.

»Fabelhaft ediert von Rainer Marwedel, spürt man schon den kraftvollen Geist, den Feuerkopf Lessing, einen großen Selbstdenker des 20. Jahrhunderts. Für alle unsre braven Journalistenschüler ein Muss!« Benedikt Erenz: Büchertisch. In: Die Zeit, 1.3.2007.

 

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