(Aus dem Hintergrund hört man ein Rumoren aus einem der Krankenzimmer der Notfallklinik. Eine Stimme schreit sehr laut.)
»Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Substanz, Kompetenz, Sicherheit!«
»Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Substanz, Kompetenz, Sicherheit!«
»Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Substanz, Kompetenz, Sicherheit!«
1. Pfleger: Nun hör dir das an! Den ganzen Tag geht das nun schon so! Ich kann’s nicht mehr hören. Können wir dem Kerl nicht eine Beruhigungsspritze geben? Oder ihm wenigstens den Mund zukleben?
2. Pfleger: Jaja, ich weiß, es ist furchtbar, was man auf dieser Station manchmal aushalten muß. Aber dieser CDU-Generalsekretär ist doch erst seit gestern hier und in solchen Fällen muß man die langfristige Wirkung der Psychopharmaka abwarten. Das geht nicht ruckzuck, das muß langsam einsinken.
1. Pfleger: Was will dieser Kerl damit eigentlich sagen? Ganz verrückt scheint er mir nicht zu sein, immerhin ist er doch Generalsekretär einer der staatstragenden Parteien geworden. Man stellt doch keinen Irren für eine solche Tätigkeit ein.
2. Pfleger: Ach du liebes Bißchen, du bist aber naiv. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wen ich hier schon auf der Station hatte, und alles scheinbar normale Leute, die ihre Doktortitel und Auszeichnungen hatten. Für manche Berufe ist es sogar zwingend vorgeschrieben, daß man einen Schuß weg hat. Diese Leute vom Marketing haben auch ein Fremdwort dafür. Sie nennen es Kreativität.
1. Pfleger: Kreativität? Ich weiß ja nicht. Der Mann ist doch hierhergekommen, weil er auf einer Pressekonferenz immer wieder gerufen hat: »Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Substanz, Kompetenz, Sicherheit!« Was ist daran kreativ? Das kommt mir eher zwanghaft vor, so wie ein Geistesgestörter, der in seinem Bett, wo man ihn festgebunden hat, damit er sich nicht selbst beschädigt, ununterbrochen sein Mantra herausschreit.
2. Pfleger: Paß bloß auf, daß du dir nicht eine Strafanzeige einhandelst! Die von dir zitierten Worte sind Beschreibungen für die neuen Farben der Partei. Damit spaßt man nicht. »Cadenabbia-Blau« und »Rhöndorf-Blau« heißen die neuen Farben der CDU, mit denen sie ihr öffentliches Image aufbessern will.
1. Pfleger: Mit Farben? Im Ernst? Ja, sind wir denn in der Kita? Malen wir uns ein Märchenschloß? Sind wir im Kindergarten?
2. Pfleger: Ich würde vorsichtig mit solchen Behauptungen sein. Für die CDU und ihren Generalsekretär ist das eine ganz ernste Angelegenheit. Die Partei ist jetzt fünfundsiebzig Jahre alt. Da braucht man schon einmal einen neuen Anstrich. Das »Cadenabbia-Blau« geht übrigens auf Konrad Adenauer zurück, der in Cadenabbia am Comer See gern die Sommerferien verbracht und dort das Boccia-Spiel gelernt hat. Es steht da auch ein Bronze-Denkmal von Adenauer, der in der rechten Hand eine Boccia-Kugel hält, aber es sieht eher so aus, als wolle er sich einen runterholen.
1. Pfleger: Und du gibst mir gute Ratschläge, wie man sich nicht eine politisch motivierte Strafanzeige einhandelt!
2. Pfleger: Das ist doch ganz nebensächlich, wichtig ist nur, daß die CDU auf »Cadenabbia-Blau« setzt, was mehr wie ein helleres Türkis aussieht. Und dieser Farbe werden vom CDU-Generalsekretär folgende Eigenschaften zugeschrieben: Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Das ist aber nicht alles. Es gibt noch eine zweite Farbe, es ist ein tiefes Dunkelblau. Die nennen sie: »Rhöndorf-Blau«. Das ist ein Stadtteil von Bad Honnef und in Rhöndorf wohnte der spätere erste deutsche Bundeskanzler seit 1935. »Rhöndorf-Blau« ist wie »Cadenabbia-Blau« semantisch aufgeladen. Es soll bedeuten: Substanz, Kompetenz, Sicherheit.
1. Pfleger: Jetzt verstehe ich das ständige Schreien des hospitalisierten CDU-Generalsekretärs. »Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Substanz, Kompetenz, Sicherheit!« Er ist daran irre geworden.
2. Pfleger: Das kann man auch. Es ist die reine Willkür. Die amerikanische demokratische Partei hat seit ihrer Gründung sich auf die Farbe Blau festgelegt während die republikanische Partei die Farbe Rot bevorzugt. Rot ist aber in Europa traditionell die Farbe der sozialistischen Arbeiterparteien. Es ist die reine Willkür. Und wenn man bedenkt, daß die CDU in ihren Landesverbänden in der Vergangenheit von Orange, Rot, Blau und sogar Grün und Beige Gebrauch gemacht hat, dann setzt sich diese willkürliche Wahl der Farben munter fort. Nun soll aber die CDU bundesweit vereinheitlicht werden. Alles wird blau.
1. Pfleger: Der Alkoholmißbrauch unter den Politikern ist ein ernstes Thema.
2. Pfleger: Damit hätten wir den Kalauer-Anteil an dieser Unterhaltung hinter uns gebracht. Also, nochmal: Die CDU färbt sich einheitlich blau und ihr Generalsekretär sagt dazu, die Partei »erneuere damit nicht nur den Markenkern, sondern auch ihr Erscheinungsbild.« Mit dem »Markenkern« meint er das neue Grundsatzprogramm, was potentielle Wähler ja immer brennend interessiert.
1. Pfleger: Markenkern? Das haben doch zuerst die Firmen für sich reserviert. Coca Cola ist Coca Cola und nicht Pepsi Cola.
2. Pfleger: Bis in einem anonymisierten Test sich herausstellte, daß nicht einmal die Manager der beiden Süßwasser-Firmen unterscheiden konnten, welches ihre Marke ist.
1. Pfleger: Es wird eben immer schwieriger, Unterscheidungen herzustellen, da alles sich allem angleicht. Wir leben in einem Zeitalter der Monotonisierung.
2. Pfleger: Wer will ernsthaft an solche Aufzählungen glauben? »Vitalität, Zuversicht, Freiheit. Substanz, Kompetenz, Sicherheit!« Man könnte auch andere Synonyme finden und würde damit auch nicht weiterkommen. Es sind völlig sinnentleerte Wörter. Früher sagte man: Friede, Freude, Eierkuchen. Das klang jedenfalls netter und war doch auch nur eine sprichwörtliche Redensart.
1. Pfleger: Das muß dem CDU-Generalsekretär wohl in einem lichten Moment auch aufgegangen sein. So hat er sich dann selbst hier eingeliefert. Das Schlimmste habe ich dir noch gar nicht erzählt. Die CDU hat angekündigt, es soll künftig auch eine »CDU-Melodie« geben.
2. Pfleger: »Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!«
1. Pfleger: Haha, das war 1948 die inoffizelle deutsche Nationalhymne. Aber du hast recht, ein Karnevalslied sollte es schon sein, die CDU ist ja eine katholische Partei und im Rheinland fest verankert. »Sie hat uns Alles gegeben. Sonne und Wind. Und sie geizte nie. Wo sie war, war das Leben. Was wir sind, sind wir durch sie. Die Partei hat recht, die Partei hat recht, die hat immer recht.«
2. Pfleger: Das ist die Hymne der ›Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands‹ gewesen, aus dem Jahre 1949.
1. Pfleger: Wenn die CDU schon Adenauer bemüht und ihre Farben nach ihm ausrichtet und alles zurück in die Zukunft geht, dann muß es so etwas Ähnliches sein. Die reine Nostalgie. Ein Karnevalsschlager eben.
2. Pfleger: Ich hab’s. ›Highway To Hell‹.