Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Guten Abend, liebe Zuschauer zuhause an den Bildschirmen. Nach der langen Sommerpause melden wir uns wieder zurück mit einem brandaktuellen Thema, das aber auch durchaus philosophischen Tiefgang hat. Das Minischwein ist in die öffentliche Diskussion eingetreten und wir wollen heute über dieses heikle Thema ganz ungeniert sprechen. »Schweine sind keine Kuscheltiere« lautet der öffentliche Warnruf, und dazu haben wir eine Schweineschützerin vom Gnadenhof ›Sauwohl‹ eingeladen. Ich begrüße herzlich Frau Wenzel.
Brigitte Wenzel (Gnadenhof ›Sauwohl‹): Ja, guten Abend, Frau Sendler, vielen Dank für die Einladung. Ich möchte hier gleich klarstellen …
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Ein Momentchen bitte, Frau Wenzel, Sie kommen gleich zu Wort, aber vorher wollen wir doch noch unsere anderen Gäste vorstellen, nicht wahr? Ich darf gleichfalls herzlich begrüßen Herrn Rüdiger Fett vom niedersächsischen Fleischereiverband.
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): N’Abend, Frau Doktor.
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Des weiteren darf ich willkommen heißen den unseren regelmäßig einschaltenden Zuschauern bereits gut bekannten Professor Friedrich Lensing, der neben seiner Tätigkeit als Philosoph auch aktiver Tierschützer ist.
Prof. Friedrich Lensing: Immer wieder erfreut, bei Ihnen zu Gast sein zu dürfen, gnädige Frau!
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Ach, Sie alter Charmeur!
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): Also sowas, wo sind wir denn hier!? Ist das hier alles vorher abgesprochen? Ist dieser Professor im Dienst des Rotfunks? So eine Unverschämtheit, hier vor laufenden Kameras so eine mentale Kumpanei zu betreiben. Ausladen! Abschieben! Wir wollen ein unvoreingenommenes Fernsehen, keine ideologische Zuchtanstalt.
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Aber verehrter Herr Fett, nun beruhigen Sie sich doch. Nur weil ich den Herrn Professor schon etwas länger kenne und er ein paarmal bei mir aufgetreten ist, muß man doch nicht gleich von einem Komplott reden. Außerdem müßten Sie, wenn Sie die früheren Sendungen sich angeschaut hätten, wissen, daß ich keineswegs immer der Meinung von Professor Lensing gewesen bin.
Brigitte Wenzel (Gnadenhof ›Sauwohl‹): Vielleicht würde es helfen, wenn wir statt gegenseitiger Beschimpfungen endlich zum Thema des Abends kommen könnten?
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Wie recht Sie haben, Frau Wenzel. Darum jetzt gleich in medias res, was auf deutsch heißt: zur Sache kommen. Frau Wenzel, wenn ich Sie jetzt dann um Ihr erstes Statement bitten darf.
Wolfgang Töpper (Minischwein-Besitzer): Entschuldigen Sie bitte, aber müßten sie mich nicht auch noch den Zuschauern vorstellen?
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Oh je, bitte entschuldigen Sie mein Versäumnis. Herzlich willkommen, Herr Töpper. Herr Töpper ist Besitzer eines Minischweins und darf hier seine Meinung äußern, weshalb es Gründe gibt, ein Minischwein in der Wohnung zu halten. So! Jetzt aber das Statement, bitte, Frau Wenzel!
Brigitte Wenzel (Gnadenhof ›Sauwohl‹): Ja, gerne. Also, wie ich vorhin schon sagen wollte, es geht um die erschreckende Tatsache, daß immer mehr Bürger und Bürgerinnen sich in den eigenen vier Wänden Schweine statt Katzen oder Hunde halten. Als Haustier! Stellen Sie sich das mal vor! Das Wort vom ›Schweinestall‹ ist in manchen deutschen Familien tatsächlich nicht mehr bloß eine Redensart geblieben, sondern Realität. Das Minischwein macht sich breit in deutschen Wohnstuben. Es bleibt aber nach unseren Erfahrungen dort im Schnitt nur drei Jahre. Im Gegensatz zu den Goldfischen, die nach dem Ableben mit der Toilettenspülung ›entsorgt‹ werden, geht das mit einem um die 100 Kilogramm wiegenden Minischwein natürlich nicht. Und so haben wir vermehrt Zugänge von Minischweinen, die von den ehemaligen Besitzern hier bei uns im Gnadenhof ›Sauwohl‹ abgegeben werden. Es gibt aber auch Fälle, die wir registriert haben, wo man die armen Tiere einfach im Wald ausgesetzt hat. Das ist ein Skandal sondergleichen, denn diese Tiere sind nicht auf die Wildnis trainiert, so wie ein entflogener Kanarienvogel auch nicht draußen überleben kann, weil er ein ausgesprochenes Stubentier mit einer Anspruchshaltung ist und täglich auf sein Kontingent Körner wartet.
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): Wenn ich da gleich einmal intervenieren darf? Zunächst einmal schließe ich mich den Ausführungen meiner Vorrednerin vollinhaltlich an. Schweine gleich welcher Art und Größe haben in einem deutschen Wohnzimmer nichts zu suchen. Das erfüllt den Tatbestand der Tierquälerei. Wir vom niedersächsischen Fleischereiverband sprechen uns ohne Wenn und Aber gegen diese, ich möchte fast sagen, viehische Vorgehensweise der Minischweinbesitzer aus. Nur wir als fachlich kompetente Organisation sind mit den uns angeschlossenen Metzkereien dazu befähig und in der Lage, das Schwein als Nutztier sachgerecht zu betreuen und seiner finalen Bestimmung zuzuführen.
Wolfgang Töpper (Minischwein-Besitzer): Haben Sie sich eigentlich schon mal selber zugehört? Wie reden Sie denn über das Schwein? Das ist ja geradezu faschistisch in der Einstellung gegenüber diesen armen Wesen. ›Finale Bestimmung‹! Damit ist ja wohl gemeint, daß es auf einem Laufband industriell ermordet und zu Fleisch- und Wurstwaren verarbeitet wird. Du Drecksau, Du elendige! Dir müßte man auch einmal einen Bolzen durch den Kopf jagen!
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Aber Herr Töpper, werden Sie doch nicht so ausfällig, Herr Fett hat ihnen doch nichts getan. Wie kann man sich nur so echauffieren? Wir müssen vor unseren Zuschauern uns doch auch darum bemühen, zivil im Umgang zu bleiben.
Wolfgang Töpper (Minischwein-Besitzer): Ja, entschuldigen Sie, aber bei diesem Thema brennen bei mir alle Sicherungen durch. Und wenn Sie etwas Sachliches hören wollen, dann habe ich jetzt etwas für Sie (holt einen vergilbten Zeitungsauschnitt aus seinem Jackett und liest vor): »Soweit die Tierhaltung nicht im Wohnungsmietvertrag ausgeschlossen ist, kann der Mieter auch ein Minischwein im Rahmen eines vertragsgemäßen Gebrauchs in der Wohnung halten. Diese Tierhaltung kann der Vermieter untersagen, sobald ihm konkrete, auch außerhäuslich eingetretene Gefährdungen, die von dem Tier ausgehen, bekanntgeworden sind. AG München, Urteil vom 6. 7. 2004, Aktenzeichen 413 C 12648/04.
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): Ja, unsere Juristen, weltfremd bis dorthinaus! Ich frage mich immer, wo die ihren Verstand eingekauft haben. »Außerhäuslich eingetretene Gefährdungen«! Daß ich nicht lache! So ein Blödsinn, der durch ein Aktenzeichen auch nicht besser wird. Die Gefährdung beginnt doch bereits innen, in der Wohnung. Und es ist eine zweiseitige Gefährdung, für das Tier wie für den Menschen. Haben Sie schon einmal von Seuchenschutz gehört? Die Afrikanische Schweinepest, die Aujeszkysche Krankheit, die Maul- und Klauenseuche! Alles das kann innerhalb der Privatwohnung herangezüchtet werden und verbreitet sich dann außerhäuslich in Windeseile. Minischweine in der Wohnung gefährden die Allgemeinheit.
Brigitte Wenzel (Gnadenhof ›Sauwohl‹): Ja, das kann ich alles bestätigen. Es kommt hinzu, daß die Besitzer von Minischweinen meist nicht auf die richtige Ernährung und die Klauenpflege achten. Und um die Schweinchen kleinzuhalten, verfüttern einige nur Haferflocken und Quark, andere geben den Tieren einfach Essensreste. Die Folge: viele Schweine kommen verfettet bei uns an und die Mangelernährung geht auf die Gelenke und Organe.
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): Viele Schweinepestausbrüche lassen sich auf das Verfüttern von Speiseresten zurückführen. Das ist einfach kriminell, wie diese sich um nichts kümmernden Minischwein-Besitzer vorgehen, und alles nur, um ihren seelischen Haushalt aufzumöbeln. Aber ich frage Sie: Welche Gefühle privater Art kann Ihnen ein Schwein vermitteln? Eine Katze, nun ja, die ist ein an die Wohnung einigermaßen angepaßtes Haustier, wenn sie bei guter Führung es vermeidet, Ihnen die Gardinen herunterzureißen. Auch ein Hund ist ein akzeptables Haustier, wenn auch, was viele nicht wissen, in jedem Hund aufgrund seiner genetischen Verwandtschaft mit dem Wolf, ein wildes Tier lauert und es in einzelnen Fällen vorgekommen ist, daß Hunde ihre Besitzer angegriffen haben. Aber ein Schwein, auch wenn es ein Minischwein ist, bleibt ein unerwünschter Fremdkörper in der Privatwohnung. Einmal waren Streifenhörnchen der letzte Schrei, dann wieder grüne Leguane. Japanische Goldkarpfen, sogenannte Koi-Karpfen, sind wegen ihres stolzen Preises zu Statussymbolen avanciert. Und die Personen, die über ganz wenig Bargeld verfügen, lassen dann eine Ratte auf ihren Schultern tanzen. Na, danke schön!
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Ja, vielen Dank für ihren Beitrag. Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen, Sie sehen, wie kontrovers und heftig es hier heute bei uns zugeht. Nun wollen wir aber auch Herrn Professor Lensing zu Wort kommen lassen, der, wie ich sehe, schon eine ganze Weile ganz unruhig auf seinem Stuhl herumrutscht.
Prof. Friedrich Lensing: Vielen Dank, sehr aufmerksam von Ihnen. Ja, was soll ich sagen, ich glaube, die Argumente gegen die Haltung von Schweinen, auch wenn es sich um ›Minischweine‹ handelt, sind sehr überzeugend und treffen bei mir auf volle Zustimmung. Ich bin ja als Kind bereits mit vielen Tieren aufgewachsen, das würde eine gewisse Zeit dauern, wenn ich alle meine Tiere aufzählen sollte, übrigens alle auch mit Namen, denn ein Tier war für mich stets ein naher Freund und Kamerad. Die Neigung, Tiere zu hegen, trug mich über den Abgrund der Jugend hinweg. An den Festtagen ging ich mit der Futtertrommel zum Zoologischen Garten, immer in dem Wahn, daß einige Tiere, der Elefant, die Affen, die Seelöwen, sogar das Nilpferd warteten. Nie habe ich ein ganz reines Gewissen gehabt bezüglich des dunklen Punktes, daß ich Fleischesser und Tiernutzer geblieben bin. Polio, der Hofhund in Herrenhausen, Sultan, der schwarze Neufundländer, Puck, der helle Spitz, Cäsar, der melancholische Schäferhund, Margo, mein grauer Silbermops. Ich sehe so viele Hundegesichter wie Gesichter dahingegangener Freunde, und jedes Gesicht war einmalig und kommt nie wieder. Wenn es aber Wiedersehn und Wiederkehr nach dem Tode gäbe, so möchte ich von Menschen nur wenige wiedersehn. Aber reizend fröhlich ist der Gedanke von all den geliebten Tieren wieder umjubelt zu sein.
Wolfgang Töpper (Minischwein-Besitzer): Lieber Herr Professor, damit haben Sie mir aus der Seele gesprochen, vielen Dank für Ihre schönen Worte. Auch ich wäre selig, wenn ich nach meinem Tode mein geliebtes Minischwein Elvira wiedersehen könnte. Die Menschen können mir gestohlen bleiben, dieses verlogene Gesindel!
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): Ja, sind wir hier denn im Sentimentalitäten-Stadl? Ich frage Sie, wohin soll denn dieses Gesülze führen? Wir haben es mit einem eminent sanitären Problem zu tun und da helfen solche Gefühlsergüsse nicht weiter.
Brigitte Wenzel (Gnadenhof ›Sauwohl‹): Wir müssen vor allem von dieser menschlichen Perspektive wegkommen und das Wohl des Tieres in den Mittelpunkt stellen. Wenn ein Minischwein über ein Freigehege verfügt, hätte ich nichts gegen diese Tierhaltung einzuwenden, aber wir haben es eben mit Etagenschweinen zu tun, die dort kein glückliches Leben führen können. Das sogenannte Minischwein wurde übrigens zuerst in den 1980er Jahren gezüchtet, für Laborexperimente, und ist seitdem unter dem Namen ›Göttinger Minischwein‹ bekannt. Einige dieser Tiere sind auch im Zirkus aufgetreten. Aber erst in den letzten Jahren hat der Besitz von Minischweinen in privaten Haushaltungen stark zugenommen. Es ist eine Katastrophe, bei der den Menschen gar nicht bewußt ist, was sie damit anrichten. Diese Minischweine sind keine Individualisten, es sind sogenannte Rottentiere, sie brauchen also mindestens einen Partner, damit sie artgerecht in der Haltung sind. Das wollen die meisten Menschen, die sich ein Minischwein zulegen, natürlich nicht auf sich nehmen, zwei dieser Exemplare in der eigenen Wohnung anzusiedeln. Meist hat die Hausfrau, wenn sie nicht selbst ein Faible für ein Minischwein hat, ein Vetorecht. Doch das verschlimmert die Lage des Minischweins nur noch weiter. Es gibt da keine Lösung und keinen Ausweg. Nur ein absolutes Verbot würde weiterhelfen.
Prof. Friedrich Lensing: Ich kann das nur befürworten und möchte noch anfügen, daß die vorhin erwähnten Züchtungen für Laborexperimente sachlich damit begründet wurden, daß das Schwein mit dem Menschen bestimmte physiologische Reaktionen teilt. Beim Herz-Kreislauf-System, dem Verdauungstrakt, wie auch bei der Haut, den Knochen und den Zähnen gibt es erstaunliche Übereinstimmungen. Da aber große Schweine zu teuer sind, war man in den 1940er Jahren in den USA und in den 1960er Jahren in Göttingen dazu übergegangen, für die Forschung kleinere Schweine zu züchten. Innerhalb einer Gruppe von Schweinen gibt es wie bei den Menschen eine streng festgelegte Hierarchie. Das Alpha-Schwein bestimmt zum Bespiel, wann Schlafenszeit ist, indem es sich als erstes zum Schlafen hinlegt. Dem folgen dann das Beta-Schwein, das Gamma-Schwein, und so weiter. Man hat dann den Versuchstieren Alkohol gegeben, um ihr Verhalten zu testen. Die Testtiere konnten sich an einer Mischung aus Orangensaft und Alkohol laben und das Ergebnis war, daß das Alpha-Tier die Führungsposition innerhalb von vierundzwanzig Stunden verlor, weil es zu betrunken war, um diese gegenüber dem Gamma-Typ, das weniger von der Mischung getrunken hatte, zu verteidigen. Nach der Ausnüchterung setzte sich das Alpha-Schwein aber schnell wieder an die Spitze, und, das scheint mir bemerkenswert, besoff sich auch nie wieder.
Brigitte Wenzel (Gnadenhof ›Sauwohl‹): Es ist richtig, daß diese Minischweine im Gegensatz zu den normalen Schweinen gezähmt werden können, ja, sie sind so intelligent, daß man sie auf Stubenreinheit trainieren kann, sie sind aber auch sehr empfindsam und unberechenbar.
Wolfgang Töpper (Minischwein-Besitzer): Die Knopfaugen, die kleinen Steckdosen-Rüssel. Sie sind einfach süß!
Prof. Friedrich Lensing: Ach, du heilige Einfalt! Lieber Herr Töpper, Sie können doch nicht Ihr Bedürfnis nach einem Kindchen mit einem kleinen Schweinchen, daß eigentlich durch menschlichen Willen für die Pharmaindustrie gezüchtet wurde, befriedigen. Verstehen Sie das denn nicht? Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn es nicht zu solchen Züchtungen gekommen wäre. Man spielt ›Lieber Gott.‹
Rüdiger Fett (Nds. Fleischereiverband): Na, erlauben Sie mal, Professorchen, das geht nun aber doch zu weit. Deutschland war immer ein Fleischland und daran wird auch die grüne Ideologie nichts ändern. Sie können ja, das ist Ihnen unbenommen, mit dem Sittich auf der Stange weiter Ihre Körner fressen, aber der Durchschnittsdeutsche zieht dem ein ordentliches Nackensteak vor. Und wenn die Minischweine uns dabei helfen, die durch den Konsum von Fleisch möglicherweise entstandenen Krankheiten zu bekämpfen, umso besser.
Dr. Anneliese Sendler, TV-Moderatorin: Immer ruhig Blut, Herr Fett. Nun hat Herr Professor Lensing sein Fett wegbekommen (kichert kurz), sozusagen. Wie ich sehe, geht unsere Sendezeit auch schon wieder dem Ende zu. Für ein Schlußwort von Ihnen allen bleibt keine Zeit mehr. So kann ich unseren lieben Zuschauern und Zuschauerinnen nur einen weiteren angenehmen Verlauf des Abends wünschen. Auf Wiederschaun.