Für meinen ehemaligen Studienkollegen und Gourmet-Freund Professor Horst Dreier zum 70. Geburtstag am 7. September 2024

Heute Abend im Hannele. Ein gräßliches Machwerk, sozialdemokratisch-realistisch, dabei von krankhafter, sentimentaler Mystik, überhaupt scheußlich. Wir gingen nachher zu Borchardt, um uns durch Champagner und Kaviar wieder in eine menschliche Stimmung zu versetzen. (Chlodwig Carl Viktor Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Denkwürdigkeiten, Stuttgart 1906, Bd. 2, 507)

A: So, da wären wir also im ›Adlon‹. Es war aber auch höchste Zeit, daß wir nach so langer Abwesenheit wieder einmal in diesem schönen Grand Hotel eingecheckt haben. Man gönnt sich ja sonst nichts. Schöne Terrasse, was?

B: Wie wahr. Eigentlich ist es ja das ›Kempinski‹, nicht wahr, und heißt heute etwas umständlich ›Hotel Adlon Kempinski‹. 

A: Ach, die Geschichte dieses feinen Grand Hotels interessiert mich gar nicht so sehr, aber dagewesen muß man schon gewesen sein. Adlon verpflichtet, haha.

B: Da will ich nicht widersprechen. Aber was bestellen wir denn nun aus dem ›Lorenz Adlon Esszimmer‹, wie das angegliederte Hotelrestaurant heißt. Übrigens schreibt sich das Eßzimmer mit Doppel-S, das haben wir dieser Rechtschreibreform zu verdanken. Na, vielen Dank, da könnte einem schon vor der Bestellung der Appetit verdorben werden. 

A: Dann schauen wir doch einmal auf die Menü-Karte. Aha, da haben wir die Fünfgänge- und die Sechsgänge-Menüs. Nein, das ist mir heute zuviel des Guten. Ich will mich nachher ja noch in Berlin etwas umsehen und nicht nach dem Mittagsmahl schlapp im Salonsessel der Lounge herumhängen. Also, da hätten wir: Taschenkrebs, Pâté en croûte, Bretonischer Hummer, Wachtel – ach Gott, Wachtel, wie gut, daß meine bessere Hälfte nicht anwesend ist, da würde ich was zu hören bekommen… Weiter: Japanisches Kagoshima Wagyu. Was mag sich dahinter verbergen? Ah ja, Entenleber und australischer Wintertrüffel. Wer’s mag. Ich sage Ihnen, ich war mal eingeladen zu einer Trüffel-Rallye, da haben wir Trüffel gefressen, bis sie uns aus den Ohren gekommen sind. Das legen wir mal gleich beiseite. Mmhh… Omelette Surprise mit Ossietra Kaviar. Gott ja, Kaviar, nun sehen Sie mal weiter unten auf der Karte, da haben wir weitere Sorten: Transmontanus Kaviar, Baeri Kaviar, Kristall Kaviar, Prestige Ossietra Kaviar, Golden Ossietra Kaviar. Dazu Blinis, Ei und Sauerrahm, wie gehabt. Wissen Sie, erinnern Sie sich noch an die achtziger Jahre? Da gab es in den USA, ich mußte damals häufig über den Großen Teich fliegen, eine Spezialität, hähä, die hieß ›Beggars Purse‹. Das war ein Crêpe, gefüllt mit Kaviar, Crème Fraiche, Schnittlauch und einem hartgekochten Ei. Das war die Lieblingsspeise der damaligen Yuppies. Lang, lang ist’s her. Das würde sich heute auch keiner mehr trauen, diese Köstlichkeit ›Geldbörse der Bettler‹ zu nennen. Wir haben uns seitdem ja alle ein soziales Gewissen zugelegt.

B: Mir fällt gerade ein, da wir doch hier draußen bei schönstem Sommerwetter, und das Anfang September, hier auf der Terrasse des ›Adlon‹ sitzen: Wieso bestellen wir uns nicht einfach ein Fladenbrot mit gegarten Kalbsrücken-Filetstreifen, eingelegtem Rot- und Weißkraut, Tomatenscheiben, einer Trüffelcreme und frisch gehobelten Trüffelspänen? Das ist der ›Adlon-Döner‹! Er soll auf der Terrasse und in der Lobby Lounge mittlerweile zum beliebtesten Gericht avanciert sein.

A: Prächtig, wunderbar! Das kommt der ›Beggars Purse‹ nahe und belastet zudem Magen und Geldtasche nicht so sehr. 37 Euro für einen ›Adlon-Döner‹, das ist ja fast geschenkt. Und es ist eine Delikatesse.

B: Wenn man bedenkt, daß der Durchschnittspreis eines normalen Döners in Berlins Imbißbuden 7, 30 € beträgt, ist das nicht zuviel, denn man ißt ja das Ambiente mit.

A: Völlig richtig. Obwohl, wenn ich es mir jetzt richtig überlege, man könnte an der Delikatessenschraube noch etwas drehen. Die haben hier auch eine Currywurst mit Pommes Frites, für nur 26 Euro pro Nase. Dazu könnten wir einen eisgekühlten Rosé trinken, damit auch die Dekadenz zu ihrem Recht kommt.

B. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Wir könnten beides bestellen, und jeder darf von dem Döner und der Currywurst einmal abbeißen.

A: Mein Herr, ich darf doch bitten. Wenn Sie hier Ihrer Neigung zum Proletkult nachgeben wollen, dann bitte ohne mich. Alles hat seine Grenzen. 

B: Entschuldigen Sie, Sie haben ja recht, nur müssen wir uns eben bald entscheiden. 

A: Wenn ich es mir recht überlege, dann werde ich keins von beidem bestellen. Statt dessen werde ich wieder einmal meinem alten Freund, dem Herrn Lobster einen Platz auf meinem Speiseteller einräumen. Es geht doch nichts über einen gut zubereiteten Bretonischen Hummer. Herr Ober!