Die Apokalypse hat eine lange Geschichte. Nimmt man sich irgendein Ereignis der Gegenwart vor, so kann man meist ohne Mühe daran ablesen, daß, wie es in gängiger Alltagsrede heißt, »alles den Bach runtergeht«. In dieser Rubrik sollen solche Alltagserscheinungen beleuchtet und interpretiert werden, dabei prüfend, ob nicht doch ein Ende erreicht werden wird und welche Vorteile dies für die Erde dann doch hätte: »Eines ist auf jeden Fall gewiß: der Mensch ist nicht das älteste und auch nicht das konstanteste Problem, das sich dem menschlichen Wissen gestellt hat. Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende. Wenn diese Dispositionen verschwänden, so wie sie erschienen sind, wenn durch irgendein Ereignis diese Dispositionen ins Wanken gerieten, dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.« (Michel Foucault: Les mots et les choses, 1966)
Ein Kakerlak sitzt in meinem Salat!
In der Verwechslungskomödie ›Victor and Victoria‹ (Regie: Blake Edwards, USA 1982) sind zwei arbeitslose Künstler sehr hungrig, haben aber nicht genug Geld, um in einem erstklassigen Pariser Restaurant ihren Hunger zu stillen. Victoria Grant, gespielt von Julie Andrews, hat eine Idee. Sie betritt mit dem Chansonnier Toddy, gespielt von Robert Preston, das Lokal und verrät ihm, wie man auch ohne Geld sich satt essen kann. Sie bestellt einen gemischten Salat und, nachdem der hochnäsige Kellner verschwunden ist, öffnet sie ihre Handtasche, und schüttelt den Inhalt über der Salatschüssel aus. Aber es geschieht nicht das, was sie eigentlich damit bezweckt hatte, denn in der Handtasche hatte sie eine riesige Kakerlake (Cockroach) versteckt. Verstört sucht sie in dem Salat nach dem Insekt, doch sie findet es nicht. Der Kellner steht plötzlich neben Victoria und beugt sich über den Tisch. Toddy sagt mit bestimmtem Ton, daß sie noch eine weitere Flasche Wein haben möchten. Während der Kellner die leere Flasche ergreift, läuft ein Kakerlak über seine Hand. Victoria erschrickt sich, springt auf und fängt an zu schreien. Sie fällt gegen den Kellner, der wiederum kopfüber auf einen Nebentisch stürzt. Toddy verlangt den Manager des Restaurants zu sprechen, doch der hat bereits den entsetzlichen Vorfall aus dem Hintergrund beobachtet. Mit scheinheiliger Höflichkeit entschuldigt er sich bei ›Madame‹ und erklärt, in den fünf Jahren, seitdem er das Restaurant leite, sei es nur zweimal vorgekommen, daß ein Kakerlak in den servierten Speisen gefunden wurde, dann nämlich, wenn die Gäste das Insekt selbst in ihr Essen placiert hatten, um die Restaurantleitung zu erpressen und damit um das Bezahlen der Rechnung herumzukommen. Während das Geplänkel seinen Fortgang nimmt, wird die Kamera in einer Großaufnahme auf eine übergewichtige Dame mit Hut und großer Perlenkette gerichtet, die skeptisch das Geschehen um sie herum verfolgt hat. Dann schwenkt die Kamera auf den Fußboden des Restaurants und man sieht einen der Schuhe der Dame. Dort, auf der Spitze des Schuhs hat der Kakerlak Platz genommen. Unternehmungslustig krabbelt er das Bein hoch, Richtung Norden, zu wärmeren Gefilden. Als der Kakerlak ungefähr in Höhe der Kniekehle angekommen ist, erfolgt ein scharfer Kameraschnitt auf Gesicht und Oberkörper der Dame, die unter einem entsetzten Aufschrei von ihrem Sitz auffährt. Und dann sieht man das Restaurant von außen, eine abendliche Szene mit vier matt erleuchteten, zu einem Drittel mit weißen Gardinen abgedeckten Fenstern. Es ist vollkommen still. Dann aber sieht man, ohne Ton, wie alle Gäste hochspringen, wild gestikulieren, auf die Tische springen und mit Gegenständen auf die Tische einschlagen. Und ein Paar, Victor und Toddy, verläßt, sich an den Händen haltend, mit schnellen Schritten das Restaurant.
Oddio, che schifo! (Oh Gott, wie ekelig!) hörte man in den letzten Tagen in sämtlichen Restaurants der Stadt Rom die Gäste rufen. Doch nicht etwa ein Zechpreller hat einen Kakerlak in sein Essen getan, sondern die Kakerlaken selbst haben sich in Massen dazu entschlossen, die römischen Restaurants aufzusuchen. Periplaneta americana (Amerikanische Großschabe) nennt sie sich, oder wird fälschlicherweise so genannt, denn das Insekt ist asiatischen Ursprungs und hat sich per Schiff über den gesamten Mittelmeerraum ausgebreitet. Der XXL-Kakerlak hält sich tagsüber in der Kanalisation auf und ernährt sich, wenn er nicht gerade auf Restauranttischen sich bedient, von den auf Roms Straßen herumliegenden Speiseresten. Die Ewige Stadt hat es bis heute nicht erreicht, sich auch nur eine einzige Müllverbrennungsanlage anzuschaffen, weswegen denn auch anderes Getier wie die allezeit und überall präsente Ratte in Rom ihr Auskommen findet. Aber auch Möwen und Tausende von Wildschweinen halten sich an offenen Mülltonnen gütlich. Die Riesen-Kakerlake profitiert von der Klimaerwärmung und wandert aus den Mittelmeergebieten immer weiter nach Norden, denn dort findet sie Temperaturen vor, die ihr ein Überleben auch im Winter ermöglichen. Igitt! wird man denn wohl auch bald in den Restaurants Hannovers zu hören bekommen. Auf deutsch: Wie ekelig!