Dr. Anneliese Sendler: Guten Abend, meine lieben Zuschauer an den Bildschirmen. Heute heißt unser Gesprächsthema: Ist das Fotografieren von fremden Körperteilen strafbar? Auslöser war eine Frau aus Köln, die einen Mann dabei erwischte, wie er hinter ihrem Rücken ihr Hinterteil fotografiert hatte. Sie erstattete bei der Polizei Anzeige und trat schon bald in einer Fernsehsendung als Gast auf, wo die Moderatorin sie vorstellte mit den Worten: »Wir wollen natürlich über das Video sprechen, das dein Leben verändert hat. Über 14 Millionen mal wurde dieses Video angeklickt.« Da ist also ausreichend Publizität erzeugt worden, das müssen wir hier nicht noch einmal wiederholen. Wir haben sie deshalb nicht eingeladen, weil wir einmal der parteilich nicht gebundenen freien Wissenschaft das Wort geben wollen, um diesen Fall zu beurteilen. Ich begrüße als ersten Gast Professor Hans Peter Duerr, Ethnologe und Kulturhistoriker, der mit seinem fünfbändigen Werk mit dem Sammeltitel ›Der Mythos vom Zivilisationsprozeß‹, erschienen zwischen 1988 und 2002, für Furore in der akademischen Welt gesorgt hat. Herr Professor, was sagen Sie zu unserem heutigen Thema?

Prof. Hans Peter Duerr: Nehmen Sie Japan als Beispiel. Im Zuge der ›Amerikanisierung‹ des Schönheitsideals haben sich viele Japanerinnen auch um eine stärkere Profilierung ihres Hinterns bemüht. Heute tragen zahlreiche Japanerinnen ›Wonder-Slips‹ oder ›Hip-Bras‹, breite Stoffstreifen, die unterhalb der Pobacken verlaufen, hochgeschnürt und um die Taille geschlossen werden. 

Dr. Anneliese Sendler: Sie wollen damit sagen, daß Frauen auf der ganzen Welt körperbewußt agieren und damit aber auch in Kauf nehmen, daß sie sexuell belästigt werden. Ja, dann möchte ich gleich eine weitere Gesprächspartnerin vorstellen, die Sexualwissenschaftlerin und Kulturanthropologin Dr. Ingelore Ebberfeld, die von Professor Duerr promoviert wurde und 2020 leider von uns gegangen ist. Dank der ›Artificial Intelligence‹ können wir sie aber zu uns rufen und uns mit ihr unterhalten. (Ein Hologramm baut sich rasch auf.) Herzlich willkommen, Frau Dr. Ebberfeld! 

Dr. Ingelore Ebberfeld: Wenn ich da gleich einhaken darf? Die ›Wonder-Slips‹ sind miederähnliche Unterhosen, die dem flachen Hintern Form geben und an entsprechenden Stellen abgepolstert sind. ›Hip-Bras‹ sind, wie Herr Duerr eben schon sagte, breite Stoffstreifen, die unterhalb der Pobacken verlaufen. Sie werden hochgeschnürt und um die Taille geschlossen. So geschnürt haben die Hinterbacken mehr Form. Der Sinn dieses Täuschungsmanövers ist offenkundig. Der runde Po soll anmachen, ganz so wie jede andere Art der Gesäßinszenierung auch.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, freilich, das schon, aber es geht in der öffentlichen Diskussion um die Frage, ob es statthaft ist, bei dieser ›Gesäßinszenierung‹ auch Kameras zuzulassen. Es wird ja wohl auch Frauen geben, die einfach nur gut angezogen sich im öffentlichen Raum bewegen wollen, auf dem Weg zu einem Termin oder um zu shoppen. Und in diesem Zusammenhang wollen sie, glaube ich, nicht von hinten fotografiert werden, und wenn der Po auch noch so hübsch und rund aussehen mag.Unerwünschte sexualisierte Fotos oder Videos könnten künftig unter Strafe gestellt werden. Die derzeitige Bundesjustizministerin will bis Anfang 2026 einen Gesetzentwurf dazu vorlegen. »Der Rechtsstaat muß mehr tun, um Menschen vor Gewalt zu schützen«, sagte die SPD-Politikerin. Der grüne Justizminister von Nordrhein-Westfalen sagte: »Wir bestrafen das Fahren ohne Fahrschein, aber wenn jemand voyeuristische Bildaufnahmen von jungen Frauen macht, die im Park Sport machen, dann bestrafen wir das nicht. Das halte ich für ungerecht.« Ein sehr merkwürdiger Rechtsbegriff, der zugleich einen Gerechtigkeitsbegriff postuliert, indem er Äpfel mit Birnen vergleicht. Leider wird es noch nicht unter Strafe gestellt, daß Minister solche unsinnigen Vergleiche in aller Öffentlichkeit aufstellen. Das gibt mir die Gelegenheit, nun auch einen weiteren Studiogast einzuführen, Frau Chiara Battaglia von der politischen Partei ›Movimento Pomponazzi‹, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die während der italienischen Renaissance entwickelten Freiheitsvorstellungen in unsere Gegenwart zu transportieren. Die Bewegung hat sich nach dem italienischen Renaissancephilosophen Pietro Pomponazzi benannt, der von 1462 bis 1525 gelebt hat. Frau Battaglia, was halten Sie denn nun von dieser ganzen Angelegenheit? Lohnt es sich überhaupt, darüber zu reden?

Chiara Battaglia (Movimento Pomponazzi): Es handelt sich um ein Pseudoproblem. Wenn man von mir ein Foto macht, auf dem ich mein Gesicht verziehe, also nicht gut aussehe, bin ich verärgert und will es nicht publiziert sehen, aber wenn man meinen Hintern fotografiert, der kein Gesicht hat, ist das keine »digitale Gewalt«, wie dies die Justizministerin behauptet hat. Facebook zeigt Faces, man kann die Personen identifizieren, aber ein Arsch ist anonym, es findet eine Entpersonalisierung statt. Ich glaube kaum, daß anhand des Fotos, sollte es aus dem privaten Bereich des Spanners in die Öffentlichkeit gelangen, die Person, die zu diesem Körperteil gehört, namentlich identifiziert werden kann. Junge Mädchen hingegen, die vollkommen nackt mittels einer Webkamera sich in aller Öffentlichkeit zeigen, und dabei zusätzlich noch ihr Gesicht zeigen, tun sich damit selbst Gewalt an und werden das in einigen Jahren vielleicht bereuen. Und was ist mit Fußfetischisten, die die Schuhe und Stiefel, die ihnen auf der Straße entgegenkommen, fotografieren? Ist das »digitale Gewalt«, wenn man einen anonymen Schuh fotografiert? Muß die Frau in Stiefeln um ihre mentale Gesundheit fürchten, wenn man ihre Schuhe fotografiert? Sollte sie zur Polizei laufen? Ich habe schon Komplimente für meine schönen italienischen Schuhe auf der Straße erhalten, aber wenn meine Schuhe fotografiert werden, soll das dann ein Straftatbestand werden? Soweit sind wir gekommen, daß Menschen glauben, sie müßten bei jedem lächerlichen Anlaß den Staat zu Hilfe rufen. Wenn jemandem eine herausfordernde Geste eines Passanten nicht paßt, kann er zurück gestikulieren. Cazzo! sagt man bei uns in Italien in solchen Fällen. Fick dich! So regelt man in zivilen Gesellschaften solche Dinge. Aber was haben wir statt dessen? »Anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen, Gestikulieren oder aufdringliche Blicke in der Öffentlichkeit« sollen zu einem Straftatbestand erklärt werden! Aufdringliche Blicke! Man stelle sich das Leben auf der Straße unter einer solchen gesetzlichen Vorgabe einmal vor. Und mit solchem Schwachsinn befassen sich heute manche Politiker, während die Massenmedien damit natürlich ein gern angenommenes Futter angeboten bekommen.

Ingelore Ebberfeld: Da bin ich vollkommen mit Ihnen d’accord. Nur muß man eben sehen, daß wir in jeder Stadt und jedem Dorf es mit Menschen zu tun haben, die einen ausgeprägten Sexualtrieb mit sich führen, ob das ihnen nun paßt oder nicht und auch unabhängig von der Frage, ob sie gewillt sind, diesen auf irgendeine Weise auch auszuüben. Und da muß ich dann doch sagen: So naiv, wie sich manche Frauen bei diesem Thema geben, verhält sich die Sache nicht. Es gibt kaum einen Mann, der einem Frauenhintern widerstehen kann. Und die Frauen wissen das, auch wenn sie natürlich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag ihren Hintern bewußt oder unbewußt vorzeigen. Der Po ist einfach da. Man kann sich zwar schlappige Klamotten umhängen und so tun, als gäbe es ihn nicht, aber der Po einer Radfahrerin wirkt nun mal auf einem Fahrradsattel, ob sie will oder nicht, auf ihre Umgebung, und  zwar auf  zufällig vorbeikommende Passanten beiderlei Geschlechts. Bei der Übervisualisierung unserer Gesellschaft und bei der allgemeinen Verfügbarkeit von sehr guten Fotohandys muß man sich deshalb nicht wundern, wenn es gelegentlich zu solchen Zwischenfällen kommt wie dem in Köln. Ein Frauenpo, der, ob mit oder ohne Absicht, in der Rückstellung nach hinten gestreckt wird, verfehlt niemals seine Wirkung. Schauen Sie doch nur die Zeichnung ›Die Marktfrauen auf Rädern‹ an, eine 1972 entstandene Skizze für den Spielfilm ›Amarcord‹ von Federico Fellini. Wir sehen sechs Radfahrerinnen, die prominent ihr Hinterteil auf dem Fahrradsattel spazierenfahren. Das ist nicht nur eine private Obsession Fellinis gewesen, sondern er hat mit dieser Zeichnung sehr schön eine alte anthropologische Weisheit zur Anschauung gebracht. Beugt sich ein Schimpansenweibchen nach vorne und streckt dabei das Hinterteil ihrem Liebsten entgegen, so ist dies eine Aufforderung zur Kopulation.

Prof. Hans Peter Duerr: Die jungen Frauen der Motu tragen zwei bis drei von den Hüften bis zu den Knien reichende Grasschurze übereinander, deren hintere Partie sie beim Gehen aufreizend hin- und her schwenken. Wenn man in Nordamerika von einer Frau sagt: »Das hat sie mit ihren dicken Titten geschafft!«, heißt es entsprechend in Nigeria, sie verdankt dies ihrer »bottom power«. 

Jetzt aber noch ein Wort zum Thema Fahrradfahren. Als das Fahrradfahren 1817 durch die Erfindung des Freiherrn von Drais, der Draisine, aufkam und schon bald Mode wurde, wurde in England für die Frauen der ›Ladies accelerator‹ erfunden, mit Sitz, Fußplatte, einem Vorder- und zwei Hinterrädern, damit die Dame auf sittsame Weise den Antrieb ähnlich wie eine Nähmaschine betätigen konnte. So mußten die englischen Frauen nicht auf dem für unanständig empfundenen Herrensitz Platz nehmen. Gegen Ende des Jahrhunderts stiegen immer mehr jüngere Frauen aufs Fahrrad, auch wenn nicht wenig gegen dieses Fortbewegungsmittel seitens der Männerwelt eingewandt wurde. 1896 beruhigte ein deutscher Arzt in einem Zeitungsbeitrag alle um die weibliche Tugend besorgten Heuchler mit der Feststellung, seines Erachtens könnten ›auch bei stark vornübergebeugtem Oberkörper masturbatorische Neigungen nicht leicht entstehen‹. Doch gab es auch genügend Ärzte, die von den ›leicht entzündbaren Wesen‹ sprachen, wie es junge Frauen ihrer Ansicht nach nun einmal waren, die auf dem Fahrradsattel geheimes Vergnügen erfahren könnten. Man verdächtigte die jungen Frauen, auf dem Fahrradsattel auf seltsame Weise hin- und her zu rutschen und die Vulva am immer wärmer werdenden Ledersattel zu reiben. Für amerikanische Kirchenvertreter war das Fahrrad schlechthin ›the advanced agent of the devil‹. 

Ingelore Ebberfeld: Der ›Hottentottenhintern‹! Ein Po mit ausgeprägtem Fettsteiß. Mit der Einführung des Reifrocks am französischen Hof wurde er der letzte Schrei, oder wie man in Paris sagte: ›Cul de Paris‹. Seinen Ursprung verdankt er aber den Afrikanerinnen und ihren ausgeprägten Hintern. Das war das Geschenk der Natur an sie. Bei den Maori in Neuseeland bringen Mütter ihren Töchtern das aufreizende Wackeln bei, »onioni«, was nichts anderes als ›bumsen‹ bedeutet. Afrikanische Frauen lassen die Hinterbacken tanzen und rollen, die Jamaikaner haben das den ›African walk‹ genannt. Das Schwingen des Gesäßes weckt unzweifelhaft Assoziationen an den Geschlechtsverkehr. Das kräftige Wackeln mit den möglichst breiten Hüften wird als sicheres Zeichen für guten Sex verstanden. 

Prof. Hans Peter Duerr: Der römische Philosoph Lukrez führt dazu an, daß eine Frau dann am leichtesten empfange, wenn sie sich auf die Brüste lege und den Hintern »nach Art vierfüßiger Tiere« hochrecke. Lesen Sie das mal nach in seinem Buch ›Von der Natur der Dinge‹.

Ingelore Ebberfeld: Oh ja, und schon 1912 hat der Ethnologe Jean Wegeli festgestellt, daß es Männer gäbe, auf die die Hinterbacken einer Frau sinnlich stärker einwirken als der schönste Busen. Und diese Männer würden den Koitus bevorzugt von hinten vollziehen.  Der größte Anreiz, den Koitus von hinten auszuführen, liegt in der archaischen Form der Besitzergreifung der Frau. Es ist eine Begattungsart, die bei allen Tierarten praktiziert wird.

Prof. Hans Peter Duerr: Aus dem Jahr 1664 gibt es einen Bericht aus Amsterdam, wonach um die Sommerszeit die Badenden oft ganz nackt herumlaufen, »zum Scandal für ehrbare Frauenzimmer, aber freilich auch zur Augenweide der fürwitzigen, die sich an solchen monstris ergötzen«. Und im 18. Jahrhundert heißt es, daß sich an den englischen Stränden Frauen in großer Anzahl einfanden, um einen Blick auf die nacktbadenden Männer zu erhaschen, wobei sich die Damen der besseren Gesellschaft ihrer Operngläser bedienten. An manchen Stränden wurde den Männern allein deshalb das Nacktbaden verboten, weil sich dort ganze Trauben von Voyeurinnen bildeten. Für die Gegenwart kann ich mich auf Berichte meiner Informantinnen berufen, die mir immer wieder von den Gesprächen erzählten, die sie während eines Aufenthalts in öffentlichen Damentoiletten erlauscht hatten. Sie würden sich wundern, was für ein Gesprächston da herrscht und wie unbefangen zugleich über männliche Glieder geplaudert wird.

Dr. Anneliese Sendler: Es gab vor vielen Jahren, Ende der siebziger Jahre den Fall der Alice Black von der Frauenzeitschrift ›Modern Jane‹, die dem allgemeinen Publikum bestens bekannt ist durch ihre öffentlichen Aktionen gegen die »Darstellung der Frau als bloßes Sexualobjekt«. Sie hatte 1978 vergeblich versucht, auf dem Wege der Popularklage gegen die Zeitschrift ›Stern‹ rechtlich vorzugehen und nach der Abweisung der Klage gesagt: »Ab jetzt kann kein Zeitungsmacher mehr solche Titel bringen, ohne zu wissen, was er tut: was er Frauen damit antut.«

Chiara Battaglia (Movimento Pomponazzi): Dazu muß man aber sagen, daß Frau Black gegen ein Foto von Grace Jones vorgehen wollte, damals charakterisierte sie das Foto folgendermaßen: »Eine Schwarze, nackt, in der Hand ein phallisches Mikrofon und um die Fesseln – schwere Ketten.« Wer Grace Jones kennt, weiß, daß sie kein Opfer eines lüsternen Fotografen gewesen ist, sondern solche Inszenierungen bewußt geplant hat. So gibt es von ihr auch ein Musikvideo, wo sie einen Mann von hinten mit schwungvollen Beckenstößen traktiert, doggy stlye. Sie selbst ist als Sängerin und Schauspielerin ein maskuliner Typ, wobei sie aber immer eine sehr attraktive weibliche Frau bleibt und gerade diese Differenz zu ihrem Vorteil ausspielt. Es wäre also auch möglich gewesen, diese Szene als Bespiel für die ›Empowerung‹ der Frauen zu preisen, zu zeigen, daß auch Frauen sich männlich dominant verhalten können, aber das paßte Frau Black und ihrer Zeitschrift ›Modern Jane‹ nicht ins Konzept. Viel einfacher war es, das theatralische Foto zum Anlaß zu nehmen, um über eine  nackte schwarze Frau mit einem männlichen Glied in der Hand, angekettet, zu klagen. Das ist journalistische manipulative Projektion. Grace Jones ist wie Madonna eine harte Entertainerin, die alles, was nur entfernt nach ›Tabu‹ aussieht, sofort in ihre kommerzielle Verwertungsstrategie einbezieht. Solchen Leuten wird nichts ›getan‹, sie beherrschen ihre Kunden, ein zahlendes Massenpublikum. Frau Black geht es gar nicht um die Entwürdigung der Frauen, sondern darum, als journalistische Macht aufzutreten und einer anderen massenmedialen Macht zu demonstrieren, welche Macht sie selbst hat und haben kann. Alice Black unterscheidet sich nicht von Grace Jones, sofern es sich um die öffentliche Selbstdarstellung handelt. Beide sind kommerzielle Darstellerinnen, doch würde ich Grace Jones noch immer den Kredit des ehrlichen Showgewerbes zubilligen, während Alice Black an Oberflächenphänomenen der Zeit nagt. Übrigens hat die Schauspielerin und Sängerin Jane Birkin von sich Fotos machen lassen, die in dem Männer-Magazin ›Lui‹ abgedruckt wurden: Man sieht sie da splitternackt, mit Handschellen an Heizungskörper gefesselt, ihr nacktes derrière prall dem Auge des Betrachters entgegenstreckend. Später hat sie über diese Fotos gesagt: »Manchmal signiere ich heute noch das Foto, auf dem ich nackt an eine Heizung gefesselt bin. Ich finde mich darauf sehr schön.« Was will ich damit sagen? Es muß jeder Frau überlassen bleiben, ob und wie sie sich fotografieren lassen will. Natürlich sind heimliche Fotos unerlaubt, das ist doch gar keine Frage. Die Frage ist nur, ob dazu ein Gesetz erforderlich ist, um dies unter Strafandrohung zu stellen.

Dr. Anneliese Sendler: Mir fällt dazu eine Anekdote über den Soziologen Max Horkheimer ein. Der nahm einem Fotografen, der ohne vorherige Genehmigung eine Szene in der Frankfurter Universität ablichtete, die teure Hasselblad-Kamera aus der Hand, und warf sie auf den Boden, wo sie in tausend Stücke zersprang. Dann versicherte er dem perplexen Fotografen, er solle ihm die Nummer seines Bankkonto geben, damit er den geldlichen Gegenwert der Kamera überweisen könne. Das hatte natürlich Stil, so etwas konnte nur ein souveräner Großbürgersohn wie Max Horkheimer zustandebringen. Um aber nun unsere Debatte zusammenzufassen: Ich glaube, wir können feststellen, daß es eine überzogene Reaktion seitens des Gesetzgebers wäre, das Fotografieren eines weiblichen Pos unter Strafe zu stellen. Es gibt allerdings Stimmen, wenn auch sehr radikale, die ganz anderer Meinung sind. Als weiteren Gast in unserer Talk-Runde möchte ich nun wieder ein neues Hologramm aufrufen in Gestalt von Valerie Solanas, die 1988 gestorben ist und 1968 durch mehrere Schüsse auf Andy Warhol diesen lebensgefährlich verletzt hat. Zuvor hatte sie in einem ›Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer‹ auf sich aufmerksam gemacht und dazu eine Organisation mit dem Namen ›Society for Cutting Up Men‹, abgekürzt SCUM, gegründet (Das Hologramm baut sich vor den geladenen Studiogästen langsam auf und man sieht in voller Lebensgröße den Gast aus der Unterwelt.) Valerie, was sagen Sie zu der jungen Frau aus Köln, die ungewollt beim Joggen von einem fremden Mann von hinten gefilmt wurde und daraufhin eine Petition eingereicht hat, die nun zu diesem Gesetzentwurf geführt hat?

Valerie Solanas: Das ist doch ganz einfach. Ich fordere hiermit alle Mädchen und Frauen auf: Stecken Sie, wenn Sie unterwegs in der Stadt sind, eine Geflügelschere in Ihre Handtasche. Und wenn dann so ein Männerschwein mit einem Fotohandy kommt und Sie von hinten fotografieren will, dann treten Sie ihm zunächst einmal kräftig in seine Weichteile, das wird genügen, der fällt um wie ein Baum, dann Hose runter und ab mit dem Schweineschwanz, das geht ruck zuck. Der wird Sie nicht mehr belästigen und Sie ersparen sich den Papierkrieg mit der Polizei.

Dr. Anneliese Sendler: Aber, aber, so geht es ja nun auch nicht. Was Sie hier eben vorgeschlagen haben, ist ja eine Aufforderung zum Mord. Das Fotografieren lebender weiblicher Körperteile geht berührungslos vonstatten, das fotografierte Objekt erleidet keinen körperlichen Schaden.

Valerie Solanas: Erst wenn alle Männer von der Erde verschwunden sind, wird es Frieden für die Frauen dieser Welt geben. (Das Hologramm beginnt zu wackeln, und sackt plötzlich ins sich zusammen.)

Ingelore Ebberfeld: Tja, dann will ich mal versuchen, wieder etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. Lassen Sie mich dazu einen kurzen Blick zurück in die Geschichte tun. Im Juni 1977 rückte die Redaktion der Illustrierten ›Stern‹ einen halbnackten Frauenhintern auf einem Fahrradsattel aufs Titelbild. Es folgten weitere solcher Fotos. Daraufhin reichte die Zeitschrift ›Emma‹ eine Unterlassungsklage ein, die das Landgericht Hamburg am 26. Juli 1978 abwies. Das Urteil stellte fest, daß Frauen als Kollektiv nicht beleidigungsfähig sein können. Schauen Sie doch noch einmal die hier an der Studiowand angebrachte Fellini-Zeichnung der radfahrenden Marktfrauen an. Sechs Radfahrerinnen, die prominent ihr Hinterteil auf dem Fahrradsattel spazierenfahren. Wechseln Sie für einen Augenblick die Perspektive. Könnte man nicht über die dargestellten Personen sagen, daß sie voller körperlichem Selbstbewußtsein auf ihren Drahteseln sitzen, mit ihren prächtigen Hinterteilen, und die Fahrt sichtlich genießen. Die Dame in der Mitte des Bildes wirft dem Betrachter einen fröhlichen Blick zu, wissend, daß ihr Anblick beim fremden Beobachter ebenfalls freudige Gefühle auslösen wird. Das ist gesunde Sinnlichkeit, eine Feier des Lebens. Nur Vertreter der Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, werden dagegen den Tod und das Seelenheil der Verdammten beschwören und die schönen Körper dieser Frauen verwerfen.

Dr. Anneliese Sendler: Halt! Da haben Sie mir das Stichwort für unseren nächsten Gast gegeben. Uns zugeschaltet ist nun die ehemalige preußische Landtagsabgeordnete Heidrich, die sich während der Verhandlungen des Preußischen Landtags in der 28. Sitzung vom 16.12.1932 zu Wort meldete. (Ein Hologramm baut sich auf, noch etwas schwach, aber schon an Konturen gewinnend, und dann sieht man deutlich die Figur der Abgeordneten, die mit fester Miene dreinschaut) Frau Heidrich, ich grüße Sie, einen herzlichen Willkommensgruß zurück zu Ihnen ins ewige Schattenreich der Toten.

H. M. Heidrich, preußische Landtagsabgeordnete: Die heutigen Frauen preisen sich an, stellen sich zur Schau. So geht die Würde dahin und damit das Bestreben des Mannes, sie würdevoll zu umwerben. Lernt die Frau wieder, ihr Herz, ihre Seele wie ein köstliches Geheimnis zu wahren, ihren Körper als kostbares Naturgut zu behüten, so wird sie dem Manne nicht nur achtbar und liebenswert erscheinen, sondern ihn selbst kraft des ihr allein verliehenen Zaubers in die Schranken zurückverweisen, in denen beide Geschlechter dem Volksganzen Segen bringen können.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, vielen herzlichen Dank für dieses Statement aus dem Jahre 1932. Ich muß dazu Folgendes sagen: Die Abgeordnete bezog sich mit ihrer Stellungnahme auf den so genannten ›Zwickelerlaß‹, eine Ausführungsbestimmung der Verordnung vom 22. August 1932. In dieser heißt es in Paragraf 1: »Das öffentliche Nacktbaden oder Baden in anstößiger Badekleidung ist verboten. Als öffentlich im Sinne dieser Bestimmung gilt das Baden, wenn die Badenden von öffentlichen Wegen oder Gewässern aus sichtbar sind.« Ein sozialdemokratischer Abgeordneter verwies in einer Protestrede auf die zur Kaiserzeit dominierenden großen Rücken-Dekolletés der Damen-Abendkleider. Eine sozialdemokratische Zeitung erwähnte, daß zu Hofbällen die Damen sogar angehalten worden waren, Abendkleider mit besonders tiefem Rückenausschnitt zu tragen. Diese Vorschrift sei von den eingeladenen Damen keineswegs als anstößig empfunden worden. Verrückte Zeiten waren das damals, nicht wahr? Ich sehe, daß unser italienischer Gast vehement mit den Armen gestikuliert, sie scheint ums Wort zu bitten.

Chiara Battaglia (Movimento Pomponazzi): Schauen Sie sich doch nur die Filme meines Landsmannes Federico Fellini an! Was sieht man? Schwellende Körperformen, wogende Busen, ausladende Hüften, pralle Hintern, erigierte Glieder. Ganz unbekümmert hat er das gedreht. Nicht erst seitdem eine Neofaschistin gegenwärtig in Italien den Staat anführt, hat sich dort, ja in ganz Europa, von den USA ganz zu schweigen, eine kulturelle Reaktion gebildet, die Filme, Fotos und Bücher wegen vermeintlich sexistischer Bilder oder Worte verbietet. Diese hinterwäldlerischen Heuchler tun so, als wären die Menschen aus Zuckerwatte oder seien ätherische Engel, während doch gerade das Gegenteil der Fall ist.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, damit sind wir wieder einmal ans Ende unserer heutigen Sendung angekommen. Ich dank allen Teilnehmern, den lebenden und den toten, für ihre erhellenden Beiträge und verabschiede mich bis zum nächsten Mal mit einem herzlichen Servus, Ciao Ciao und auf Wiedersehen!