Kuno Raeber, schweizerischer Waffenhändler, sitzt in seinem Office in Zürich und telefoniert mit einem Journalisten der Großen Frankfurter.
Kuno Raeber: Ja, freilich, wenn Sie das so sehen, ganz klar, ja, ja, sicher, aber ganz gewiß, das können Sie mir glauben, da wird sich nichts dran ändern, ja, Sie sind gut, wem sagen Sie das!
Große Frankfurter: Herr Raeber, in dem Konflikt im Nahen Osten bahnt sich ein langanhaltender Krieg an, den die Hamas mit ihren menschenverachtenden Angriffen gegen den Staat Israel eingeleitet hat. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
Kuno Raeber: Was soll ich sagen? Sie schreiben in Ihrem heutigen Kommentar selbst: »Menschen leiden. Die Industrie profitiert.« Sowas würde ich natürlich niemals sagen und schon gar nicht in aller Öffentlichkeit, aber die Presse muß sich exponieren und so tun, als sei sie neutral. Aber lassen Sie mich das als Bürger der Schweiz einmal ganz klar formulieren: Es gibt keine Neutralität! Da machen sich auch unsere Landsleute etwas vor, das war doch schon während des Zweiten Weltkriegs so, da hat die Schweiz auch so getan, als ginge sie das ganze grauenhafte Geschehen nichts an. Und was lese ich dann in Ihrem heutigen Kommentar zu den Waffengeschäften auf der ganzen Welt? »Das Geschäft ist gräßlich, aber auf absehbare Zeit notwendig.« Da scheint mir ein weiterer Kommentar überflüssig, nicht wahr?
Große Frankfurter: Wie beurteilen Sie denn die aktuelle Lage aus der Sicht der waffenproduzierenden Industrie?
Kuno Raeber: Lassen Sie mich mal ein paar Facts aufzählen. Die Bundesrepublik Deutschland kaufte vor kurzem aus ihrem Sondervermögen das Raketenabwehrsystem ›Arrow 3‹ für fast 4 Milliarden Euro. Und von wem kaufte sie das? Von Israel. Das war bis dato der größte Rüstungsexport des Landes seit der Gründung des Staates Israel. Wo man früher Israel als Exporteur der palästinensischen Jaffa-Orange kannte, ist das Land heute einer der wichtigsten Waffenentwickler und -verkäufer der Welt. Laut dem ›Global Firepower Index‹ steht Israel auf Platz 18 der Rangliste, während das etwa zehnmal so große Deutschland auf Rang 25 abgestürzt ist. Mit den Worten Ihrer Zeitung: »Israel ist bis an die Zähne bewaffnet.«
Große Frankfurter: Aber dann sind doch die Angriffe der Hamas von vornherein zum Scheitern verurteilt, dann sind das doch die Taten von wahnsinnig gewordenen Verrückten, von Selbstmordattentätern.
Kuno Raeber: Das können Sie laut sagen, sicher, das sind kurzfristig denkende Verbrecher, die sich um den langfristig angerichteten Schaden an Menschenleben und Sachwerten keine Gedanken gemacht haben. Allerdings hat selbst Ihr Blatt in einem längeren Artikel zugegeben: »Israels Waffen befinden sich quasi im Dauertest.« Nun wird es interessant. Interessant für mich und meine Klienten. Denn man kann ja nicht der Stiftung Warentest diese teuren Panzer und Kampfflugzeuge überlassen, um unter künstlichen Testbedingungen diese einem Härtetest zu unterwerfen, nicht wahr? Sicher, bei der weltberühmten Uzi-Maschinenpistole, die von ›Israel Military Industries‹ hergestellt wird, könnte man mal eine Ausnahme machen und einige Exemplare der Stiftung Warentest überlassen, damit die Tester dann voll durchziehen können und sich von der Leistungskraft der MP zu überzeugen. Aber dieser anderen Test-Institution mit ihrer attachierten Zeitschrift ›Öko-Test‹ möchte man diese schöne Waffe nicht in die Hand drücken, denn diese Leute sind ja berufsmäßig geradezu versessen darauf, nachzuweisen, daß ein Produkt ›nicht naturgemäß‹ und ›umweltschädlich‹ sein soll. Die Qualität von Waffen läßt sich aber immer noch am besten unter realen Bedingungen testen.
Große Frankfurter: Wie beurteilen Sie denn die Lage auf dem Nachschubsektor? Ist für ausreichende Munition gesorgt?
Kuno Raeber: Da fragen Sie mich was! Und ich kann Ihre Frage mit einem Wort beantworten: Ausverkauft! So sieht es aus. Nach den Terrorangriffen auf Israel hat dessen Regierung die Bundesrepublik Deutschland um Munition für ihre Kriegsschiffe gebeten. Lieferanten wie beispielsweise Rheinmetall haben wegen des Krieges in der Ukraine dem deutschen Minister dann sagen müssen, daß sie damit leider nicht dienen können, denn die Nachfrage aus der Ukraine war dermaßen stark, daß man die Anfrage nur mit einem Wort beantworten konnte: Ausverkauft!
Große Frankfurter: Das ist ja eine bedauerliche und zugleich beunruhigende Feststellung. Sehen Sie irgendwelche Lichtblicke angesichts dieser desolaten Situation?
Kuno Raeber: Es gibt sie, es gibt sie, aber Sie werden als Anwalt der demokratischen Öffentlichkeit mit meiner Antwort nicht zufrieden sein. Als die Hamas angriff, stieg der Kurs der Rheinmetall-Aktie. Also für die Aktionäre von Rheinmetall war das sicher ein Grund zum Feiern. Schließlich triumphiert im entscheidenden Fall doch stets der individuelle Egoismus über die Sorge für das Allgemeinwohl. Wir alle können von dem Philosophen Bernard Mandeville eine Grundweisheit lernen, die er in seinem Buch ›Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile‹ ausgebreitet hat. Niemand anders als Karl Marx, den ich immer wieder gern in meiner Freizeit lese, hat die paradoxe These Mandevilles auf den Punkt gebracht. Ich trage das längere Zitat immer bei mir, es ist mein persönliches Credo geworden: Ein Verbrecher produziert Verbrechen. Betrachtet man näher den Zusammenhang dieses letztren Produktionszweiges mit dem Ganzen der Gesellschaft, so wird man von vielen Vorurteilen zurückkommen. Der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht und damit auch den Professor, der Vorlesungen über das Kriminalrecht hält, und zudem das unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine Vorträge als ›Ware‹ auf den allgemeinen Markt wirft. Damit tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Der Verbrecher produziert ferner die ganze Politik und Kriminaljustiz, Schergen, Richter, Henker, Geschworene usw.; und alle diese verschiednen Gewerbszweige, die ebenso viele Kategorien der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bilden, entwickeln verschiedne Fähigkeiten des menschlichen Geistes, schaffen neue Bedürfnisse und neue Weisen ihrer Befriedigung. Die Tortur allein hat zu den sinnreichsten mechanischen Erfindungen Anlaß gegeben und in der Produktion ihrer Werkzeuge eine Masse ehrsamer Handwerksleute beschäftigt. Der Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde. Er gibt so den produktiven Kräften einen Sporn. Wären Schlösser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es keine Diebe gäbe? Wäre die Fabrikation von Banknoten zu ihrer gegenwärtigen Vollendung gediehn, gäbe es keine Falschmünzer? Das Verbrechen, durch die stets neuen Mittel des Angriffs auf das Eigentum, ruft stets neue Verteidigungsmittel ins Leben und wirkt damit ganz so produktiv wie strikes auf Erfindung von Maschinen. Ohne nationale Verbrechen, wäre je der Weltmarkt entstanden? Ja, auch nur Nationen? Mandeville in seiner ›Fable of Bees‹ (1705) hatte schon die Produktivität aller möglichen Berufsweisen usw. bewiesen und überhaupt die Tendenz dieses ganzen Arguments. Nur war Mandeville natürlich unendlich kühner und ehrlicher als die philisterhaften Apologeten der bürgerlichen Gesellschaft.