A.: Und?
B.: Was und?
A.: Und? Ja, wissen Sie es denn nicht?
B.: Was soll ich denn wissen?
A.: Muß ich Ihnen denn ständig alles erklären?
B.: Ich bitte darum.
A.: Also: Sind Sie dafür oder dagegen?
B.: Wofür soll ich sein oder wogegen?
A.: Nicht: wogegen! Dagegen, oder eben dafür.
B.: Haben Sie irgendetwas eingenommen?
A.: Ganz und gar nicht. Wir stehen vor wichtigen Entscheidungen.
B.: Und welche sind das?
A.: Das sage ich doch die ganze Zeit: Dafür oder dagegen?
B.: Sie meinen Pro und Contra.
A.: Klugscheißer. Außerdem sagt man heute nicht mehr Contra. Man sagt: Anti.
B.: Von mir aus. Worum geht es eigentlich?
A.: Das spielt doch gar keine Rolle. Sie müssen sich nur entscheiden: Pro oder Anti.
B.: Aber über welches Thema reden wir hier?
A.: Haben Sie es immer noch nicht begriffen? Das Thema ist völlig gleichgültig. Nur entscheiden müssen Sie sich. Das verlangt man heute von jedem.
B.: Wer verlangt das von jedem?
A.: Darüber möchte ich mich ausschweigen, aber Sie können sich denken, wer gemeint ist.
B.: Ich habe nicht die geringste Ahnung.
A.: Begriffsstutzig bis zum geht nicht mehr. Ich fordere Sie hiermit auf, eindeutig Stellung zu beziehen!
B.: Aber weshalb sollte ich das tun, wenn ich nicht einmal weiß, zu welchem Thema ich ›Stellung beziehen‹ soll. ›Stellung beziehen‹! Was für eine Redensart!
A.: Jeder hat Stellung zu beziehen, das wird von jedem Bürger einer Demokratie erwartet.
B.: Ich denke gar nicht dran, mich von ihnen bedrängen zu lassen.
A.: Sie sind ganz frei in Ihrer Entscheidung. Entweder Pro oder Anti, aber zwischen den beiden Einstellungen müssen Sie sich entscheiden, das ist nun einmal so.
B.: Sie sind ein Spinner. Lassen Sie sich einen Krankenwagen kommen, der Sie in das Irrenhaus zurückfährt.
A.: Sie verkennen den Ernst der Situation. Es geht um Entscheidungen, zu denen alle Bürger aufgerufen sind. Die Demokratie lebt davon, daß die Bürger Entscheidungen treffen, nach der einen oder der anderen Richtung. Allerdings gibt es Fragen, die so wichtig sind, daß im Interesse des großen Ganzen die Entscheidung auf die eine Seite fallen muß und nicht auf die andere.
B.: Wollen Sie damit sagen, es gibt Entscheidungen, bei denen von vornherein feststeht, welches die ›richtige‹ Entscheidung ist?
A.: Das klingt so unfreundlich-totalitär, aber ja, im Prinzip läuft es darauf hinaus.
B.: Dann können Sie mich mal gernhaben.
A.: Aha, Sie haben sich entschieden. Sie sind also dagegen, Sie sind ein Anti-Typ.
B.: Ich bin überhaupt niemandes Typ, weder Anti noch Pro, weder dafür noch dagegen. Dieses ganze Gerede über Entscheidungen wird wirklich sehr überschätzt.
A.: Das ist ausgeschlossen, das gibt es gar nicht, das kann es gar nicht geben, Sie müssen sich entscheiden.
B.: Und wenn ich mich ›falsch‹ entscheide?
A.: Prinzipiell gibt es keine falschen oder richtigen Entscheidungen, aber dennoch ist es für den Bestand der Demokratie wichtig und entscheidend, daß Sie für oder gegen eine Sache sind. Indifferenz gefährdet die Grundlagen unserer Demokratie.
B.: Dann sagen Sie mir um Gottes willen doch endlich, worum es geht! Nur auf der Basis dieser Information kann ich mich doch entscheiden.
A.: Es tut mir leid, aber ich bin nicht autorisiert, solche Informationen weiterzugeben.
B.: Wir drehen uns im Kreise.
A.: Das finde ich nicht, Sie verweigern sich und bekennen sich nicht dafür oder dagegen. Das macht Sie schon verdächtig.
B.: Ach so, daher weht der Wind. Sie sind ein Gesinnungsschnüffler!
A.: Ich verwahre mich auf das entschiedenste gegen diese unglaubliche Insinuation!
B.: Hören Sie doch endlich auf, hier herumzuschwafeln, Sie stehlen mir meine kostbare Zeit.
A.: Ich darf dann mal zu Protokoll geben, daß Sie sich dem demokratischen Meinungsbildungsprozeß entziehen. Das kann schlimme Folgen haben.
B.: Für mich?
A.: Nein, für unsere Demokratie. Wir brauchen jeden einzelnen mit seiner Meinung und bestehen darauf, daß er diese in der geeigneten Form dann auch öffentlich äußert.
B.: Sie meinen, wie damals, als die Jakobiner mit der ›Tugend‹ die ganze Gesellschaft terrorisiert haben? Wissen Sie was: Ich sage gar nichts mehr, ich habe schließlich Familie.
A.: Aber lieber Herr, Sie mißverstehen mich. Sie sind völlig frei in Ihrer Entscheidung. Es gibt allerdings Themen, bei denen ich Ihnen dringend raten muß, sich nicht zu weit herauszulehnen, wenn Sie verstehen, was ich meine, wo eine gewisse Homogenität der Meinungen durchaus demokratiezuträglich sein kann.
B.: Wem soll das nützen, wenn Sie damit sagen wollen, daß es Meinungen und Entscheidungen gibt, die gesellschaftlichen Konformismus erzeugen sollen und es im Grunde gleichgültig ist, welche Überzeugungen der einzelne überhaupt hat. Wenn zum Beispiel die Medien eine Atmosphäre schaffen, in der es niemandem mehr ermöglicht wird, eine eigene Meinung zu bilden, weil die Medien vorab entschieden haben, welche Meinung man zu haben hat.
A.: Ich habe zwei Meinungen über Sie, daß Sie damit falsch liegen. Meine und die von IHM (weist mit einem Zeigefinger nach oben). Im Übrigen: Wen kümmert das? Sind Sie denn so originell, daß Sie zu jedem Thema eine eigene Meinung haben? Ist es nicht viel schöner und nützlicher, wenn man dafür weiß, ob man gegen etwas ist oder dafür?
B.: Wissen Sie was, Sie gehen mir auf die Nerven, und das von Anfang an. Ich muß mich nicht um jedes Thema kümmern und die Demokratie kann mir gestohlen bleiben, wenn ihre Vertreter mich täglich dazu nötigen, eine Meinung haben zu sollen, wenn ich keine haben will.
A.: Das ist bedenklich, denn die Demokratie lebt vom Engagement der Bürger.
B.: Ach, wirklich? Und was kümmert das mich? Und wieso muß ich von Politikern mir Reden anhören, die mich dazu auffordern, gegen etwas oder für etwas zu sein, wenn ich mir am liebsten wünschen würde, daß sie die Klappe halten, weil das, was sie sagen, auch nicht von profundem Wissen und tiefer Einsicht geprägt ist. Schauen Sie sich doch diese Leute einmal an, diese Berufspolitiker! Natürlich müssen die ständig reden und ihre Anhänger anfeuern, sie wiederzuwählen, aber was sind das für Typen, ich frage Sie! Würden Sie denen einen Gebrauchtwagen abkaufen?
A.: Na, jetzt gehen sie aber doch ganz schön aus sich heraus. Wir kommen voran. Doch nun sagen Sie mir nur noch: Sind Sie dafür oder dagegen?
B.: Weder noch. Aber eins weiß ich ganz sicher: Sie sind eine lästige, aufdringliche Person und ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie nicht ein Roboter sind. Und damit ist diese ›Konversation‹ beendet. Whatever happened to small talk!