In den sechziger Jahren war es in der amerikanischen Gegenkultur üblich, die Polizei als Schweine (pigs) zu bezeichnen, die damals von vielen Karikaturisten gezeichneten Cops wurde mit Schweinegesichtern ausgestattet (Head Comix), Robert Crump gehörte zu den noch heute bekannten Künstlern, die diese Vertreter der Ordnungsmacht als Pig-Cops porträtierten.
Nun hat man auf der jetzigen Dokumenta ein Bildnis eines Mossads-Spions aufgehängt (und nach den Reaktionen der öffentlichen Meinung wieder abgehängt), das ein Schweinegesicht zeigt. Wozu die Aufregung?
Die öffentliche Meinung hat, weil gerade die ›Wittenberger Judensau‹-Darstellung vom Bundesgerichtshof als Teil eines Erinnerungsdenkmals (mit historischen Erläuterungen) anerkannt wurde, sogleich die Analogie Judensau und Mossad-Pig konstuiert, und es gilt in diesem Land bekanntlich das »Bekenntnis zum Staat Israel«, und so hatte die Kunst das Nachsehen. Dabei ist die Kunstsphäre noch die einzige Sphäre, wo es nicht um den Nachweis der Wahrheit geht, sondern der freie Ausdruck gilt und ohne diesen man solche Ausstellungen auch gleich ganz einstellen kann.
Ganz abgesehen davon, daß man bisher sich nicht um die armen Schweine gekümmert hat, die als Karikatur und Haßbild durch die Geschichte weitergereicht werden. Alles, was man ihnen nachsagt, hat sich als nicht richtig erwiesen. Aber der Mensch braucht ein Tier als Vergleichsmaßstab für seine Untaten, und so gibt es denn auch eine menschliche Sau. Schopenhauer hat seinen Pudel, wenn er nicht parierte, als »Du Mensch!« angeschnauzt. Vgl. Gerhard Polt: Eine menschliche Sau (CD, 2006).
»No question, now, what had happend to the faces of the pigs. the creatures outside looked from pig to man, and from man to pig, and from pig to man again; but already it was impossible to say which was which.« George Orwell: Animal Farm (1945).

Nachtrag 1.5.2023

Am 18. April 2023 brachte die FAZ eine einunddreißig Zeilen umfassende Meldung, wonach die Staatsanwaltschaft Kassel die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit den auf der Documenta ausgestellten Kunstwerken eingestellt hat. Das Blatt hatte zuvor in einer Serie von langen Artikeln die Künstler des Antisemitismus bezichtigt und Maßnahmen gegen die Ausstellungsleitung verlangt. Nach dieser knappen Meldung erschien kein Artikel, in dem die Zeitung sich mit der Hetze gegen die Künstler und die Documenta-Ausstellungsleitung auseinandersetzt. Man hatte seine öffentliche Macht demonstriert und damit war der künstliche geschürte Skandal für die Presse erledigt.