All you need is love.
All you need is love.
All you need is love, love.
Love is all you need.
(The Beatles: All you need is love, 1967)
War, huh (good God y’all)
What is it good for?
Absolutely nothing
Say it, say it, say it
War (uh-huh), huh (yeah, huh)
What is it good for?
Absolutely nothing, listen to me
(Edwin Starr: War, 1970)
Am Gartenzaun
Frau Pannemeyer und Prof. Friedrich Lensing unterhalten sich.
Prof. Friedrich Lensing: Guten Morgen, Frau Nachbarin, na, alle Weihnachtseinkäufe erledigt? Kann das ›Fest der Liebe‹ bei Ihnen in der Familie beginnen?
Frau Pannemeyer: Ach, herrje, Herr Professor, da fragen Sie mich etwas! Jedes Jahr ist es doch die gleiche Jachterei. Es soll jedes Jahr anders werden und es bleibt doch jedes Jahr wieder das gleiche. Man rennt herum, sucht nach schönen Geschenken, steht den ganzen Tag am Herd und kocht und bäckt. Und was ist dann am Weihnachtstag? Man ist erschöpft und müde und möchte am liebsten einfach nur sofort ins Bett fallen und ausschlafen.
Prof. Friedrich Lensing: Ja, das kann ich gut verstehen, es geht vielen Menschen so, die an Weihnachten sich bemühen, den Sinn des Festes mit Leben zu erfüllen, und dabei werden sie hinter ihrem Rücken doch bloß zu Anhängseln eines blinden Mechanismus. Vor allem soll es ja alles aus Liebe und mit viel Liebe geschehen. Weihnachten, das Fest der Liebe. Ein christlicher Glaubenssatz, den man nicht glauben muß.
Frau Pannemeyer: Da sagen Sie etwas, Herr Professor! Manchesmal schon habe ich mich gefragt, wo denn bei diesem ganzen Trubel die Liebe abbleibt. Sicher, wir wollen alle unseren Familienangehörigen eine Freude machen und geben uns große Mühe, daß es auch eine wird, aber dann kommt es, ohne daß dies jemand plant, an den Weihnachtstagen zu Streit und Haß, zu Familienzerwürfnissen und Türenschlagen. Dann sitzt man am festlich gedeckten Weihnachtstisch und möchte einfach nur noch weinen. Das christliche Fest der Liebe wird zu einem Schlachtfeld, wo der das ganze Jahr über verborgene Haß losbricht und man sich gegenseitig mit Vorwürfen quält und sich danebenbenimmt. Und lassen Sie uns gar nicht erst vom Zustand der Welt sprechen, wo zu Weihnachten es jedes Jahr irgendwo auf dieser schönen Erde Krieg gibt.
Prof. Friedrich Lensing: Ich stimme Ihnen in allem zu, liebe Frau Pannemeyer, und teile Ihren Schmerz. Das Fest der Liebe ist eine Illusion. Ja, die Vorstellung, die die Menschen von der Liebe an sich haben, ist ganz falsch. Man meint, wenn alle Menschen sich lieben würden, dann gäbe es auch Frieden zwischen den Menschen und auf der Welt, aber das stimmt nicht. Die Liebe ist eine alles auflösende Macht, sie verbindet nicht, sie trennt. Liebe ist ursprünglich ganz das gleiche wie Haß und ist zunächst nur das Begehren, etwas Gleiches einzuschlingen. Lieben und Hassen sind letzte Faktoren des Seelenlebens, es ist immer Eins- oder Gegenfühlung. Die Wirklichkeiten menschlichen Liebens und Hassens sind so unsäglich bunt und inkalkulabel, daß axiomatische Sätze faktisch und praktisch immer und ewig ideal bleiben. Der kindliche Gedanke Kants, daß die unwiderlegliche Einsichtigkeit eines kategorischen Imperativs jemals das wirkliche Wollen eines wirklichen Menschen ›motivieren‹ werde, ist unbeschreiblich absurd.
Frau Pannemeyer: Sie überfordern mich, lieber Herr Professor. Das ist mir alles ein bißchen zu hoch. Haß ist doch schrecklich, den kann man nicht mit Liebe vergleichen, weil es doch das grade Gegenteil ist.
Prof. Friedrich Lensing: Liebe braucht durchaus nicht ›besser‹ zu sein als Haß, Großmut nicht ›besser‹ als Rache. Haß ist ein ganz und gar menschliches Gefühl, das man auch ausdrücken muß. Dieses Gefühl darf nicht unterdrückt oder verboten werden, aber gerade das geschieht, wenn man beispielsweise im Internet sogenannte ›Haßkommentare‹ löschen läßt und die Politiker in einem fort uns predigen, daß wir auf Haß verzichten sollen. Das ist eine naive Sicht des Menschen, die hier zum Ausdruck kommt. Entscheidend ist doch, daß aus dem Haß nicht Gewalt wird, da muß man die Grenze ziehen. Wer aber meint, man müsse den Menschen ihre Haßgefühle nehmen und sie dazu erziehen, auf sie ganz zu verzichten, ist ein ziemlich einfältiger Geist.
Frau Pannemeyer: Sie meinen also, es ist nicht schlimm, wenn man seinen Haß laut ausspricht und kein Blatt vor den Mund nimmt?
Prof. Friedrich Lensing: So wie man die Liebe zu den Menschen nicht lehren kann. Man muß sie fühlen. So muß man auch den Haß, den man hat, fühlen, spüren und ausdrücken. Das hat eine befreiende Wirkung. Leider gibt es genug Menschen, die meinen, Haß und Gewalt gehören zusammen und wer gehässig ist, muß dann auch gewalttätig sein. Dieser Zusammenhang läßt sich empirisch zwar mehr als genug nachweisen, aber logisch zwingend ist er nicht. Im Gegenteil! Ich behaupte sogar, daß, wer seine Haßgefühle verboten bekommt, dann als Ersatz zur Gewalt greift, weil das Gefühl, die Energie, die darin steckt, irgendwie abgeleitet werden muß. So entstehen Ressentiments, die nur darauf warten, bei passender Gelegenheit aufzubrechen. Dann wundern sich plötzlich alle, wie ein all die Jahre stiller und bescheidener Bürger auf einmal Amok läuft und mit einem Gewehr zu Weihnachten seine ganze Familie auslöscht.
Frau Pannemeyer: Ohgottogott! Beschwören Sie nur das nicht. Wir haben heute Abend Verwandtschaft zu Gast, die bei verschiedenen Gelegenheiten nicht nur zu Weihnachten bewiesen hat, daß sie leicht ausfällig werden kann.
Prof. Friedrich Lensing: Beruhigen Sie sich nur, liebe Frau Pannemeyer, es wird nichts dergleichen geschehen, da bin ich mir ganz sicher. Wir haben alle ja Hemmschwellen in uns, die eigentlich der beste Garant dafür sind, daß es nicht zum Schlimmsten kommt. Zwar lauert in jedem von uns der Urmensch mit seinen gewalttätigen Trieben, aber es gibt den Käfig der Kultur, der die Menschen davor bewahrt, zu Unmenschen zu werden. Wir Menschen würden sterben, wenn wir uns nicht eingekäfigt hätten in Logik und Moral. Stürzte dieses Kulturgefängnis zusammen, dann bräche Urwirre über uns herein. Und das ist ja dann auch schon einige Male geschehen, in Deutschland zuletzt zwischen den Jahren 1933 und 1945.
Frau Pannemeyer: Das wollen wir inständig hoffen, daß solche Zeiten niemals wiederkommen.
Prof. Friedrich Lensing: Um das zu erreichen, ist das Löschen von ›Haßkommentaren‹ ganz sicher nicht der richtige Weg, das führt nur zu einer Stauung des vorhandenen Hasses, der sich dann ein anderes Ventil suchen muß. Und das findet der aufgestaute Haß dann in der Gewalt. Sehen Sie, der bayerische Satiriker Gerhard Polt hat einmal gesagt, er gehe im Winter gern zum Eisstockschießen, das sei eine gesellige Sache. Da steht eine Mannschaft gegen eine andere und man muß alles tun, seinen Gegner zu schmähen und mit Verbalinjurien zu überschütten. Und das sei schön, ein Heidenspaß: »Du Amsel, du blöde, du blödes Grachal, du Matz, du verreckte, hoit dei Fotzn, sag i, du Schoaßwiesn, du ogsoachte, du Schoaßblattern, du Brunzkachl, du ogsoachte, du Hämorrhoidenbritschn, so was wie du ghert doch mit der Scheißbürstn nausghaut!« Danach geht man gemeinsam in eine Wirtschaft und prostet sich mit einem Schnaps zu. Und es herrscht Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Fröhliche Weihnachten!