A.: Die Staatsanwaltschaft Halle wirft der politischen Partei ›Alternative für Deutschland‹ vor, ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in einer Wahlrede verwendet zu haben. Der Vorsitzende dieser Partei habe mit dem Satz »Alles für Deutschland« eine Parole benutzt, die die nationalsozialistische Terrorgruppe der NSDAP, die sogenannte SA (›Sturmabteilung‹) als ihren »Wahlspruch« ausgewählt hatte.

B.: Alles für Deutschland? Ist das nicht der umgestellte Titel von Hoffmann von Fallerslebens Lied ›Deutschland, Deutschland über alles‹?

A.: Nicht ganz. Das Lied heißt: ›Das Lied der Deutschen‹. Es wurde 1841 geschrieben und sollte die politische Einheit Deutschlands fördern. Es war gegen die Gebietsansprüche Frankreichs auf das Rheinland gerichtet und zugleich gegen die zersplitterten Einzelstaaten des Deutschen Bundes.

B.: Und wurde dann im Laufe der politischen Geschichte des Landes zu einem nationalistischen Kampflied, das Deutschlands Streben nach der Weltmacht unterstreichen sollte.

A.: So ist es. Es gab Vorläufer. So ›Des Deutschen Vaterland‹, das Ernst Moritz Arndt 1814 vor der ›Völkerschlacht‹ bei Leipzig schrieb, wo der Refrain sagt: »Sein Vaterland muß größer sein«. Schließlich folgt die Auflösung mit dem Satz: »Das ganze Deutschland soll es sein.«

B.: Ach, wirklich? Das hat doch die CDU gleich 1949 als Wahlkampfslogan benutzt. Mit Erfolg. Wir sind Adenauer als Kanzler gar nicht mehr losgeworden. Auch später hat die CDU sich immer wieder mit dem Wort ›Deutschland‹ geschmückt. Da hieß es dann: ›Aufwärts mit Deutschland‹, ›Aus Liebe zu Deutschland: Freiheit statt Sozialismus‹, ›Weiter so Deutschland‹ (womit eigentlich die CDU gemeint war, die allein berechtigt schien, Deutschland politisch weiter zu führen), ›Entscheidung für Deutschland‹ (erneut heißt der Subtext: Entscheidung für die CDU), ›Ja zu Deutschland – Ja zur Zukunft‹, ›Weltklasse für Deutschland‹, ›Gemeinsam für Deutschland‹, ›Kompetenz für Deutschland‹, ›Deutschland ist stark‹.

A.: Das ist schon starker Toback. Die Partei hat ja praktisch so getan, als sei allein bei ihr Deutschland in sicheren Händen.

B.: Dazu tendieren alle politischen Parteien. Sie wollen ihren partikularen Willen zum Gesamtwillen eines Landes machen und sich so zum alleinigen Souverän aufschwingen.

A.: Das ist mir bekannt und deshalb verabscheue ich auch alle diese Slogans auf das tiefste. Sie tun auch so, als ob der Wähler ein Idiot sei, der nur auf banale, nichtssagende Sprüche reagiert und nur so sich dazu bewegen läßt, zur Wahl zu gehen.

B.: »Ganz Deutschland fiebert mit der Nationalmannschaft.« Das wird doch immer dann von den Medien behauptet, wenn der internationale Fußball rollt. Ein Teil wird für das Ganze ausgegeben, ein sehr beliebtes Verfahren nicht nur bei den politischen Parteien. Ein Zustand, der gar nicht gegeben ist und auch niemals gegeben sein kann, wird postuliert und so getan, als bedürfe es nur des Anschlußes an eine imaginär vorgegebene Mehrheit, damit der Satz Wirklichkeit wird.

A.: Zurück zu dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Halle. Wenn ein Satz wie der inkriminierte Satz ›Alles für Deutschland‹ strafwürdig sein soll, dann fragt man sich, ob bei der verwaschenen Allgemeinheit dieser Aussage es möglich sein wird, dazu einen Straftatbestand zu konstruieren.

B.: Vor Gericht werden in Deutschland gern politische Konflikte ausgetragen. Man verklagt lieber, als sich geistig mit einem Thema auseinanderzusetzen. Statt der Argumente hofft man bei uns stets auf den alle und alles versöhnenden Richterspruch. Die oberste Instanz ist hier immer das Gottesgericht, dem sich alle liebend gern unterwerfen. Nicht der politisch diskutierende Bürger ist gefragt, sondern der Argumente abwägende Richter. Und mit einem Richter wird es auch in diesem Verfahren nicht abgehen, am Ende, so spekulieren die Medien, werden wohl mehrere Instanzen mit der Sache befaßt werden.

A.: Ich hätte gleich zu Anfang der Parteigründung der ›Alternative für Deutschland‹ schon Einspruch einlegen mögen, denn eine solche Vereinigung als ›Alternative‹ zu bezeichnen, ist mehr als politischer Größenwahn, es ist vor allem ein Diebstahl an einem Wort und einer Sache. Als das Buch ›Die Alternative‹ von Rudolf Bahro 1977 erschien, habe ich es sofort gelesen. Im Untertitel heißt es: ›Zur Kritik des realexistierenden Sozialismus‹. Bahro war Bürger der DDR und wurde gleich nach Erscheinen seines Buches verhaftet und später wegen »landesverräterischer Sammlung von Nachrichten« zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR wurde Bahro dann amnestiert und verließ daraufhin die DDR.

B.: Das Wort ›Alternative‹ gab es natürlich schon vor Bahros Buch, aber ich verstehe Ihre Argumentation. Ob diese Partei, bei der ich das Kürzel AfD immer gern ›After‹ ausspreche, berechtigt ist, die Parole ›Alles für Deutschland‹ im Wahlkampf zu benutzen oder nicht, ist eigentlich unbedeutend im Vergleich zu der Frage, wieso überhaupt wegen einer solchen Lappalie ein sich über Monate und mehrere Instanzen hinziehendes Strafverfahren abgehalten wird. Man müßte den anderen politischen Parteien dringend anraten, sich konfrontativ mit den Positionen dieser Partei auseinanderzusetzen und auf das Liebäugeln mit dem Verbot dieser Vereinigung zu verzichten. Es zeugt doch von ungeheurer Schwäche, wenn man sich auf das Juristische zurückzieht und darauf hofft, daß eine Partei verfassungswidrig ist, wo doch die scharfe Auseinandersetzung die beste Lösung in der öffentlichen Arena zu sein scheint.

A.: Tja, da wirkt sicher der damalige Erfolg der NSDAP nach. Man will es nie wieder zum Auftrieb einer solchen kriminellen Vereinigung kommen lassen, und da ist dann das Verbot ein verlockendes Mittel, dies zu unterbinden.

B.: Ich verstehe schon, nur entbindet das die anderen politischen Parteien nicht von ihrer Aufgabe, die von ihnen vertretenen demokratischen Positionen im einzelnen in aller Öffentlichkeit auseinanderzufalten und den Wählern auch durch Entscheidungen in der praktischen Politik zu zeigen, daß sie die besseren Alternativen zu der ›Alternative für Deutschland‹ sind.

A.: Da scheint es duster auszusehen. Die staatstragenden Parteien haben sich schon zu lange in verschiedenen Machtstellungen eingelebt und haben sich so sehr daran gewöhnt, bei Wahlen praktisch durchgewunken zu werden, daß hier ein lebendiger Impuls kaum mehr zu spüren ist. Daß diese Parteien sich immer mehr auf Umfragen und PR-Strategien verlassen, macht die Sache auch nicht besser.

B.: Das beste Buch dazu ist immer noch das von Erwin und Ute Scheuch 1992 publizierte Werk ›Cliquen, Klüngel und Karrieren. Über den Verfall der politischen Parteien‹.

A.: Papier ist geduldig.

B.: Zu Büchern gibt es keine Alternative.