Wilfried Schrettinger, Reporter einer lokalen Fernsehstation: Ja, hallo alle zusammen. Heute haben wir einen ganz speziellen Gast in unserem Studio, den Schweizer Waffenhändler Kuno Raeber. Gruezi, Herr Raeber!
Kuno Raeber: Ja, vielen Dank für Ihren freundlichen Empfang.
Wilfried Schrettinger: Herr Raeber, Sie sind heute zu uns ins Studio gekommen, um uns über eine aufregende neue Geschichte zu berichten.
Kuno Raeber: Ja, das kann man so sagen, nicht wahr, es handelt sich um, ja, wie soll ich das Ihren Zuschauern so schonend wie möglich nahebringen …
Wilfried Schrettinger: Nur zu, unsere Zuschauer sind wettergeprüft. Wir hier im Sender haben uns noch nie vor kontroversen Themen gedrückt, ganz im Gegenteil, das Renommee unseres Senders, und das wird Ihnen der Sendeleiter gern bestätigen, besteht gerade darin, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, und auch die Augen sind bei uns in guten Händen, die Augen kommen bei uns zu ihrem Recht. Wir sind ja Repräsentanten der ›Glotze‹, wenn ich das mal so sagen darf, haha.
Kuno Raeber: Na gut, wie Sie meinen. Ich bin lange mit mir ins Gericht gegangen, weil… mhh… Es ist halt doch ein heikles Thema.
Wilfried Schrettinger: Aber Herr Raeber, Sie als international anerkannter Waffenhändler sind doch wohl in der mentalen Verfassung, auch tabubelastete Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, oder?
Kuno Raeber: Freilich, es ist nur so … Also gut, reden wir nicht mehr drum herum. Dann stelle ich Ihnen und Ihrem Publikum die Frage: Wäre Deutschland in der Lage, Kernwaffen in ausreichender Zahl zu entwickeln, um einen potentiellen Angreifer abzuschrecken?
Wilfried Schrettinger: Hui, Herr Raeber, ich war ja auf alles gefaßt, aber das dann doch nicht.
Kuno Raeber: Es ist ja alles noch sehr hypothetisch, nicht wahr. Eine rein akademische Diskussion, aber doch mit ganz praktischem Hintergrund. Dabei will ich jetzt die rechtlichen Rahmenbedingungen außen vor lassen, nicht wahr? Das ist eine ganz andere Diskussion. Mich als technisch interessiertem Händler fasziniert ausschließlich der technologisch-chemische Aspekt, nicht wahr? Zunächst einmal ist es schon lange kein Geheimnis mehr, wie man theoretisch eine Atombombe baut, wohl aber die Details der technischen Umsetzung. Und da wird es dann schon hochinteressant. Länder wie Pakistan und Nordkorea haben in jüngster Zeit längst bewiesen, daß es möglich ist, Nuklearwaffen zu entwickeln. Dazu muß man nicht dem Club der großen und reichen Staaten angehören. Ob die Bevölkerung gerade solcher Länder wie Pakistan und Nordkorea genug zu knabbern hat, müssen wir auch erst einmal aus dem Fokus der Betrachtung ausschließen, denn würden wir solche sozialen Erwägungen anstellen, kämen wir gar nicht weiter. Das ist ein Faß ohne Boden, nicht wahr?
Wilfried Schrettinger: Ja, Herr Raeber, aber Sie wissen schon, daß in der Bundesrepublik seit einem Jahr kein einziges Atomkraftwerk mehr am Netz hängt. Wo soll denn dann die Produktion von Atombomben vonstatten gehen?
Kuno Raeber: Gute Frage! Zunächst einmal bräuchte man für den Bau einer Kernwaffe, wie ich die Atombombe lieber nenne, ausreichende Mengen an spaltbarem Material. Da kommen vor allem die beiden Isotope Uran–235 und Plutonium-239 infrage. Für Uran-235 liegt die kritische Masse, ab der die Kettenreaktion nicht mehr abreißt, zwischen 30 und 50 Kilogramm, für Plutonium-239 bei etwa zehn Kilogramm. Das scheint nicht viel zu sein.
Wilfried Schrettinger: Plutonium-239 trifft man in der Natur überhaupt nicht an, das müßte künstlich erzeugt werden, etwa in einem Kernreaktor, aber die sind momentan alle vom Netz gehängt.
Kuno Raeber: Meine Hochachtung, Sie haben ja Ihre journalistischen Hausaufgaben gemacht, ich bin schwer beeindruckt, und ja, das stimmt, leider. Während für die Brennstäbe in einem Atomkraftwerk der Anteil von spaltbarem Uran wenige Prozent beträgt, sind für eine Uranbombe Anreicherungsgrade von 90 und mehr Prozent erforderlich. Die Abtrennung von Uran-235 aus Natururan erfolgt üblicherweise in Gaszentrifugen. Zunächst wird Uran in ein Gas verwandelt und dann in schnelle Rotation versetzt. Wie in einer Salatschleuder drückt die Fliehkraft das schwerere Uran-238 an die Wand, Uran-235 bleibt in der Mitte der Zentrifuge zurück, wo es abgetrennt werden kann.
Wilfried Schrettinger: Das geht mir jetzt doch etwas zu sehr ins Detail. Ist das im übrigen überhaupt erlaubt, solche Einzelheiten auszuplaudern. Ich will mich nicht hinterher mit unserer Rechtsabteilung anlegen müssen, Sie verstehen? Wir müssen auch an den Zuschauer denken, der in der Regel ja wohl nicht mitschreibt, um dann heimlich nach der Sendung in seinem Badezimmer damit zu beginnen, Uran für den privaten Atombombenbedarf anzureichern.
Kuno Raeber: Da müssen Sie keine Bedenken haben, das ist kein militärisches Geheimnis, und außerdem verfügt der private Haushalt kaum über die dafür notwendigen Ressourcen. Die sind in diesem Fall exorbitant. Für den Bau einer Uranbombe bräuchte man möglichst viele Zentrifugen, die man hintereinanderschaltet. Waffenfähiges Plutonium-239 wird üblicherweise in Kernreaktoren erzeugt. Es entsteht nach dem Einfang eines Neutrons aus einem Uran-238-Kern. Allerdings wird mit der Zeit auch nicht spaltbares Plutonium-240 gebildet, das für Plutoniumbomben nicht geeignet ist. Es lassen sich relativ schnell Kilogrammmengen waffenfähigen Plutoniums herstellen, weshalb es die großen Atommächte als Material für ihre Kernwaffen bevorzugen. Für Deutschland bliebe als Quelle für Plutonium-239 nur der Weg über die abgebrannten Brennelemente in den Zwischenlagern.
Wilfried Schrettinger: Noch einmal, lieber Herr Raeber, gehen Sie nicht zu sehr ins technische Detail, wir wollen doch nicht, daß unsere Zuschauer abschalten oder, schlimmer noch, den Sender wechseln, gell?
Kuno Raeber: Wie ich bereits eingangs gesagt habe, müssen wir die rechtlichen und insbesondere völkerrechtlichen Voraussetzungen ganz ausblenden. Deshalb konzentriere ich mich ganz auf die technischen Möglichkeiten zur Herstellung einer deutschen Atombombe. Für Uranbomben bietet sich die Kanonenanordnung an. Zum Zünden benötigt man zwei getrennte unterkritische Massen an Uran-235, die, wenn man sie mit herkömmlichem Sprengstoff aufeinanderschießt, eine kritische Masse bilden. Das ist sozusagen die Light Version der Atombombe, weswegen Länder wie Pakistan und Nordkorea vor allem Uranbomben in ihrem Waffenarsenal haben. Für die Plutoniumbombe ist die Kanonenanordnung ungeeignet. Hier greift man auf die Implosionsanordnung zurück. Eine unterkritische Masse wird mit einem Mantel aus hochexplosivem Zündstoff umgeben. Bei dessen Explosion entsteht eine Schockwelle, die die Dichte des Spaltmaterials so weit erhöht, dass die Masse des Plutoniums kritisch wird.
Wilfried Schrettinger: Hochinteressant, hochinteressant! Gleich für welchen Bombentyp man sich auch entscheiden würde, man bräuchte ein geeignetes Testgelände für die ersten Prototypen. Das wird in der Bundesrepublik kaum zu finden sein. Israel hat seine Bombe allerdings ohne bestätigte Tests gebaut. Und will man nukleare Sprengköpfe im Ernstfall an ihren Bestimmungsort transportieren, benötigt man geeignete Trägersysteme. Zwar verfügt die Bundeswehr über ausreichend Kampf-Flugzeuge, die aufgrund der nuklearen Teilhabe mit nuklearen Waffensystemen der USA ausgerüstet werden können, aber sie hat derzeit weder Langstreckenbomber noch Raketen für mittlere und längere Reichweiten.
Kuno Raeber: Da liegt der Hund begraben. Da müssen eben erst einmal weitere technische und politische Voraussetzungen geschaffen werden. Gerade im Bereich Langstreckenbomber könnte ich übrigens der deutschen Bundesregierung ein sehr gutes Angebot machen. Ich will nicht zuviel verraten, aber da stehen auf einem weitläufigen Gelände in einer der vielen Wüsten dieser Erde sehr attraktive Langstreckenbomber, die auf dem allerneuesten Stand der Technik und auch sofort einsatzbereit sind. Sogar geschulte Piloten wären in diesem Deal mit enthalten, ganz ausgezeichnetes Personal, dafür kann ich mit meinem Namen bürgen.
Wilfried Schrettinger: Ja, vielen Dank, Herr Raeber, für diese hochinteressanten Ausführungen. Es ist ja alles noch Zukunftsmusik, aber wir hier im Studio und unsere Zuschauer an ihren Fernsehschirmen sind doch jetzt in die Lage versetzt worden, sich ganz konkret auszumalen, wie so eine Atombombe entsteht und welche Barrieren es noch zu überwinden gilt. Wir blicken in eine strahlende Zukunft. Und damit auf Wiederschaun, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, bis zum nächsten Mal.
(Manfred Lindinger: Deutschlands Weg zur Bombe. Wäre es technisch möglich, hierzulande Kernwaffen zu bauen? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 101, 30. April 2024, Seite 8)