Dr. Anneliese Sendler: Ja, einen schönen guten Abend, meine lieben Zuschauerinnen und Zuschauer. Heute haben wir wieder einen hochinteressanten Themenabend für Sie vorbereitet. Der Sender hat keine Kosten und Mühen gescheut, und deshalb sehen Sie heute auch einmal ein ganz anderes Bühnenbild in unserem Sendestudio. Ja, wird sich vielleicht mancher unter den Zuschauern fragen, was machen denn die vielen Aschenbecher da auf den Beistelltischen? Diese Frage können wir beantworten, denn heute geht es um das Laster des Rauchens. Dazu haben wir hier eine illustre Runde versammelt. Ich darf gleich einmal vorstellen. Zunächst einmal begrüße ich Frau Professor Lydia Scherling, sie hat einen Lehrstuhl für Toxiologie an der Universität Eggenfelden inne.

Prof. Lydia Scherling (locker gekleidet in Blue Jeans und schwarzer, leicht angewetzer Lederjacke): Hi, Frau Sendler! (schnippt dabei die Asche ihrer glimmenden Zigarette in einen Aschenbecher). Lustiger Gag, ihre Sendung heute, am Welt-Nichtrauchertag, zu bringen.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, grüß Gott, Frau Professor! (Zu den Zuschauern im Studio gewandt:) Sie merken schon, wir dürfen heute auch einen ganz lockeren Ton erwarten, aber das ist dem Thema ja auch angemessen. Als nächstes darf ich ebenso herzlich begrüßen Herrn Kuno Raeber, den manche unter unseren Zuschauern vielleicht noch von unserer letzten Sendung in Erinnerung haben, als es um das Thema Wölfe und Bären ging. Auch hier wird man überrascht sein, denn eigentlich ist Herr Raeber im Hauptberuf Waffenhändler und militärischer Berater von vielen kleineren Staaten, die sich im Wettkampf der Nationen gegenüber den großen Nationen zu behaupten versuchen.

Kuno Raeber: Ja, Gruezi, Frau Doktor! Vielen Dank für ihre Einladung. Vielleicht darf ich kurz erklären, weshalb mich der Sender heute hergebeten hat. In den Vereinigten Staaten gibt es, was nicht jeder weiß, eine dem Justizministerium unterstellte Bundesbehörde, die heißt, und ich sage es nun gleich einmal auf deutsch: ›Amt für Alkohol, Tabak, Schußwaffen und Sprengstoffe‹. Sie sehen, der Amerikaner hat Humor, denn diese Zusammenstellung ist für europäische Ohren denn doch sehr merkwürdig. Wir erfreuen uns des Abends zuhause an einem gepflegten Glas Bier oder einem Glas Rotwein und erleben das als kein zu bekämpfendes Verbrechen, aber der Amerikaner denkt da anders. Für ihn ist auch die Zigarette eine verabscheuungswürdige Sache, was allerdings die amerikanischen Firmen nicht davon abhält, die Weltspitze in der Produktion von Zigaretten einzunehmen. Und die Chinesen danken es ihm, denn China ist Hauptabnehmer dieser kleinen glühenden Stangen, der Chinese, vor allem der männliche Chinese raucht nämlich wie ein Schlot.

Dr. Anneliese Sendler: Verehrtester! Wie gewohnt sind Sie ein Born des Wissens, aber ich muß Sie hier unterbrechen, denn wir haben ja noch andere Gäste hier, die ich vorstellen muß. Als da wäre Herr Professor Friedrich Lensing, den wir auch schon in unserer vergangenen Sendung begrüßen durften. Er ist hauptberuflich Philosophieprofessor, aber er hat auch viel Psychologisches geschrieben, darunter einen höchst interessanten Essay mit dem Titel ›Psychologie des Rauchens‹.

Prof. Friedrich Lensing: Guten Abend, Frau Sender! (Zieht an einer Havanna und bläst kleine Ringe in den Raum).

Dr. Anneliese Sendler: Und dann darf ich noch herzlich willkommen heißen Herrn Dr. Hugo Marrobuto. Er ist Repräsentant der Zigarettenindustrie für Europa und den asiatischen Raum.

Dr. Hugo Marrobuto (mit leicht amerikanischen Akzent): Guten Abend, Frau Doktor Sendler.

Dr. Anneliese Sendler: Und dann haben wir noch einen ganze besonderen Studiogast eingeladen, er ist ein Symbol der Anti-Raucher-Bewegung geworden und keine Talkshow kommt ohne ihn aus. Ich begrüße Herrn Jörg Wollseif.

Jörg Wollseif: Mpf. Mpf. Mpf.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, freilich, meine lieben Zuschauer, Herr Wollseif hat nach einer Kehlkopfkrebserkrankung sich einer totalen Laryngektomie unterziehen müssen. Für die Nichtmediziner unter unseren Zuschauern möchte ich erklären, daß Laryngektomie bedeutet, daß man dem Patienten den Kehlkopf operativ entfernt hat. Was Sie jetzt von Herrn Wollseif hören, ist eine Ösophagusstimme, das ist eine Ersatzstimme, die es dem Patienten ermöglicht, weiter sprechen zu können, wenn auch mit gewissen Einschränkungen.

Dr. Hugo Marrobuto: Well, Ich möchte protestieren gegen diese stimmungmachende Auswahl der Gäste. Das ist eine völlig tendenziöse Linie, die Sie hier einschlagen. Als ob die Zigarettenhersteller auf die Anklagebank gestellt werden sollen und man sie verantwortlich macht für einzelne, sehr zu bedauernde Einzelfälle.

Prof. Lydia Scherling: Rauchen ist für Männer und Frauen in der Geschichte immer etwas ganz anderes gewesen. Warum trinken Männer Wein und Frauen Wasser? Diese Frage hat Virginia Woolf in ihrem Roman ›A room of one’s own‹ gestellt. Alles, was es an Schönem gibt auf der Welt, das kriegen die Männer. Rauchende Frauen galten damals als nuttig und undiszipliniert. Rauchen war aber für die Frauenbewegung ein Teil ihrer Emanzipation. Rauch strömt aus, greift Raum. Und Frauen sind eben traditionell nicht raumgreifend. Rauchen ist eine Form von Souveränität. Ich nehme mir von der Zigarette nur das, was frei und schön daran ist.

Dr. Anneliese Sendler: Wenn ich eben aus meiner Rolle als Moderatorin herausschlüpfen darf? Ich hatte mal einen Freund, der war ein ganz starker Raucher, und ich habe die Beziehung dann auch bald wieder beendet, weil der ja nicht nur die Wohnung verpestet hat, sondern wenn man ihm einen richtigen Kuß geben wollte, dann war das so, daß ich den Nikotingeschmack direkt im Mund zu spüren bekam. Nein, habe ich mir damals gesagt, das brauchst du nicht. Als ich ihn dann aber immerhin noch vor die Wahl gestellt hatte: Entweder die Zigaretten oder mich, da hat er sich sofort für das Rauchen entschieden. Das war eben seine wahre Geliebte.

Prof. Friedrich Lensing: Liebe Frau Sendler, ich fühle mit ihnen, auch wenn ich in meiner ›Psychologie des Rauchens‹ ein Lob auf die Zigarre ausgesprochen habe. Übrigens sind Zigarren ein Sonderkapitel in der Geschichte des Rauchens, es sind eigentlich gar keine Nikotinträger, sondern helfen beim Träumen im Alltag. Es ist nichts Körperliches und zugleich das einzige Mittel, um Leidenschaften zu unterdrücken. Wie der wirkliche Weinkenner nicht den Wein herunterschüttet, sondern zunächst langsam mit der Nase genießt und die Blume prüft, so wird der richtige Raucher nicht während des Rauchens sprechen, sondern wunschlos glücklich versinken.

Dr. Hugo Marrobuto: Was für ein schönes friedliches Bild Sie da uns vor die Augen gestellt haben, Herr Professor! Wir von der Zigarettenindustrie haben ja auch mittlerweile eingesehen, daß die Zigaretten auf lange Sicht für die Menschen nicht verträglich sind und man sie ihnen kaum noch zumuten kann. Deshalb hat unser Executive Officer auch in einer Pressemitteilung vor kurzem bekanntgegeben, daß wir die Produktion traditioneller Zigaretten einstellen werden.

Prof. Lydia Scherling: Waaas? Sind Sie wahnsinnig geworden?

Dr. Hugo Marrobuto: Nein, nein. Wir wollen eine rauchfreie Zukunft, a smoke-free future! Wir werden nur noch risiko-reduzierte Produkte anbieten, aber bei vollem Genuß und mit exzellentem Handling. Tabakerhitzer und elektronische Zigaretten wird es bald ausschließlich zu kaufen geben. Das ist unser Beitrag für ein gesünderes Leben auf unserem Planeten.

Kuno Raeber: Dann müssen Sie ehrlichkeitshalber aber auch die letzten Zahlen nennen. Im Jahr 2021 wurden weltweit noch 927 Milliarden Zigaretten verkauft, 2022 waren es nur noch 622 Zigaretten.

Dr. Hugo Marrobuto: Sind Sie jetzt zu den Kommunisten emigriert oder weshalb machen Sie hier mit Zahlen Propaganda? Warum wird der Industrie immer gleich unterstellt, daß es ihr nur um den Profit geht und man menschliche Motive von vornherein völlig ausschließt?

Dr. Anneliese Sendler: Nun beruhigen Sie sich mal, Herr Doktor Marrobuto, der Herr Raeber ist doch aus ihrem Stall, er legt aber Wert auf Genauigkeit und solche Absatzzahlen sind doch ein Indikator, daß sich etwas bewegt hat auf dem Rauchermarkt, nicht wahr, Herr Raeber?

Kuno Raeber: Als Wirtschaftsfachmann muß man sich an den Zahlen orientieren, und die sprechen eine deutliche Sprache, auch wenn der chinesische Markt sicher noch auf lange Sicht mit den herkömmlichen Zigaretten beliefert werden könnte, aber wer kann denn wollen, daß die vielen Millionen Wanderarbeiter in China irgendwann für die Produktion ausfallen, weil der Kehlkopfkrebs zugeschlagen hat?

Jörg Wollseif: Daß sich die … Zigarettenindustrie als Retter der Raucher … der ganzen Welt ausgibt, ist doch … ein Witz der Weltgeschichte. (Die rumpelnde Ersatzstimme bricht ab, man hört nur noch ein knisterndes Rauschen). Mpf. Mpf. Mpf.

Prof. Lydia Scherling: Schon als Jugendliche, spätestens mit der Lektüre des ›Steppenwolf‹, habe ich Rausch und Rauschmittel als etwas Gutes verstanden. Ich habe damals gemerkt, daß Rauchen helfen kann beim Runter- und Rauskommen. Ja, ich weiß, nach vielen Jahren des regelmäßigen Rauchens sieht man das im Gesicht, wie es langsam ledern wird, aber ich finde es cool, wenn ich solche ledernen Typen sehe. Die Zigarette ist für mich ein Memento mori und zugleich Memento vivere. Bedenke, daß du sterben mußt, und: Vergiß nicht zu leben!

Dr. Hugo Marrobuto: Darf ich vielleicht einmal auf die Alternativen kommen, die wir statt der konventionellen Zigarrette anbieten? Viele kennen sicher die E-Zigarette, die wir natürlich auch herstellen, aber die 2016 zuerst auf den Markt gebrachten sogenannten Tabakerhitzer sind wirklich eine vollwertige Alternative für das bisherige Päckchen Zigaretten. Der Zug an einem Tabakerhitzer kommt dem an einer Tabakzigarette deutlich näher. Wir registrieren eine Zunahme beim Verkauf dieses Produkts, man sieht in den Aschenbechern vor den Bankzentralen und Versicherungsgesellschaften schon wesentlich mehr Tabaksticks als die bisher übliche Zigarettenkippe.

Prof. Friedrich Lensing: Sie haben vergessen, hinzufügen, daß auch diese Produkte nicht gesundheitsfördernd sind, ja, sie schädigen auch und sie machen auch abhängig. Wenn man wirklich gesund leben will, muß man aufs Rauchen ganz verzichten, oder es wie ich mit meiner Havanna machen: ich rauche nicht, ich paffe! Und während ich den aus meiner Zigarre entweichenen Rauchkringeln nachschaue, komme ich in eine philosophische Stimmung.

Dr. Anneliese Sendler: Da hat unser Professor aber einen schön Abschluß für unsere heutige Sendung am Welt-Nichtrauchertag gefunden! Ich bedanke mich bei allen Gesprächsteilnehmern und wünsche unseren Zuschauerinnen und Zuschauern noch einen geruhsamen Abend.