Einer der »erfolgreichsten Choreografen der Welt und seiner Generation« (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 14.02.2023) entnimmt seiner Tasche einen Papierbeutel mit dem Kot seines Dackels Gustav und drückt diesen einer Ballettkritikerin der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ ins Gesicht.  So geschehen in den Räumen der hannoverschen Staatsoper. Die letzten Kritiken waren durchweg negativ ausgefallen, der Künstler fühlte sich davon dermaßen gekränkt und verletzt, daß er, wie er später eingestand, »eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion« ausführte. In der Öffentlichkeit ist man sich einig, daß diese Tat nur Ekelreaktionen auslösen kann, und man könnte einfach abschließend sagen: So etwas tut man einfach nicht. »Die meisten Leute auf der Welt essen für kein Geld der Welt Gebäck, das die Form von Hundehäufchen hat« (Steven Pinker: Wie das Denken im Kopf entsteht, München 1998, 468). Stimmen aus der Lokalpolitik bewerteten den Angriff als entwürdigend, »insbesondere für eine Frau« (SPD), so als würde einem Mann die von der Natur eingebauten Abwehrinstinkte davor bewahren, sich vor Hundekot nicht zu ekeln, und das Urteil einer grünen Politikerin begnügte sich damit, zu konstatieren, daß es sich hierbei um das »Patriarchat und toxische Männlichkeit« gehandelt habe. Für den Feuilletonchef der ›Hannoverschen Allgemeinen Zeitung‹ gab es daher nur eine Lösung: Berufsverbot, und das gleich »überall«, also weltweit. Es kam, wie es kommen mußte: der Choreograf wurde mit sofortiger Wirkung suspendiert und die Staatsoper löste sodann seinen Vertrag, behielt sich aber das Recht vor, seine Inszenierungen weiter auf die Bühne zu bringen.

Es gibt seit vielen Jahren die Tradition des Tortenwerfens. Die gerechte Strafe für den Übeltäter wäre die: auf seine Kosten werden Sahnetorten hergestellt, die im übrigen nicht aus Mehl und Sahne bestehen, sondern aus Sägemehl und Seife, da der Flug einer geworfenen konventionellen Torte wesentlich ungünstiger verläuft als der aus Sägemehl und Seifenschaum. Und dann, vor Vorstellungsbeginn, stellt sich der Choreograf vor den Vorhang und ein per Computer ausgewähltes Mitglied des Publikums betritt die Bühne und wirft ihm die Torte ins Gesicht. Mit dem vorweg garantierten Tortenwurf wird das Haus immer voll sein, und darum ging es ja auch eigentlich, und gleich nach dem Eklat raunte die Lokalzeitung denn auch: »Man sollte sich beeilen, die Vorstellung ist fast ausverkauft.« (HAZ, 14.02.2023). Der Stanley Kubrik-Film ›Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb‹ sollte mit einer zehnminütigen Tortenschlacht enden, und diese wurde auch innerhalb von zwei Wochen abgedreht, aber bei der Endmontage entschied der Regisseur, diese Sequenz wegzulassen, weil es die Balance des Film gestört hätte. Wie schade! Man hätte diese Szene als Kurzfilm herausbringen sollen. Man sieht darin (so Georg Seeßlen und Ferdinand Jung in ihrem Buch ›Stanley Kubrik und seine Filme‹, Marburg 2008, 156), wie der russische Botschafter, der amerikanische Präsident und andere Anwesende im ›War Room‹ sich mit Torten bewerfen. Das gestörte Rechtsempfinden wird durch nichts friedlicher wiederhergestellt als durch einen herzhaften Tortenwurf. Niemand wird verletzt und gekränkt und der Sünder dokumentiert vor allen Leuten, daß er nicht nur seine Tat bereut und damit als ganze Person in aller Öffentlichkeit Reue empfindet, sondern der Tortenwurf versöhnt auch alle Beteiligten im Medium des Humors.