Dr. Anneliese Sendler: Ja, Grüß Sie Gott aus dem Fernsehstudio in Unterföhring, meine Damen und Herren und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe unserer Sendung ›Deutsche Demokratie jetzt!‹. Und es ist mir eine ganz besondere Freude heute in unserer Sendung einen Ehrengast begrüßen zu dürfen, unseren derzeitigen Bundespräsidenten, Herrn Frank-Walter Steinmeier!

Frank-Walter Steinmeier: Ja, guten Abend Frau Doktor Sendler, vielen Dank für Ihre Einladung.

Dr. Anneliese Sendler: Ich darf gleich noch unsere anderen Gäste in unserer heutigen Talk-Runde vorstellen. Da haben wir zunächst Herrn Dr. Ludolf von Mannstein, stellvertretender Vorsitzender des Vereins ›Gemeinnutz e. V.‹

Dr. Ludolf von Mannstein: Äh, ja, guten Abend, Frau Doktor Sendler.

Dr. Anneliese Sendler: Als weiteren Gast begrüße ich Herrn Professor Rolf Papperger vom ›Zentralinstitut für soziales Wesen‹.

Prof. Rolf Papperger: Guten Abend.

Dr. Anneliese Sendler: Und schließlich noch als Vertreter des ›Luhmann meets Nietzsche-Forums‹, Herrn Dr. Ulrich Ohneigen.

Dr. Ulrich Ohneigen: Ja, vielen Dank für ihre Einladung.

Dr. Anneliese Sendler: So, nun aber gleich zu heutigen Thema: Sozialer Pflichtdienst. Herr Bundespräsident, Sie haben vor einem Jahr dieses Thema in die Öffentlichkeit gebracht und wollen nun für eine Verfassungsänderung werben, damit junge Menschen die Gelegenheit erhalten, freiwillig in den Dienst der Demokratie treten zu können.
Frank-Walter Steinmeier: Ja, das ist richtig. Und wissen Sie, seit diesem Jahr habe ich folgende Erfahrung gemacht. Viele Menschen sind regelrecht elektrisiert von der Vision: eine Zeit des Miteinanders, eine gleiche Pflicht für alle, ein Dienst für unsere Demokratie.

Dr. Ludolf von Mannstein: Lassen Sie mich hier gleich einhaken, Frau Doktor! Das haben wir vom Verein ›Gemeinnutz e.V.‹ schon seit vielen Jahren vorgeschlagen, sind aber immer wieder durch beleidigende Äußerungen gerade auch von Vertretern ihrer Partei, Herr Bundespräsident, der SPD, verunglimpft worden. Man hat uns Nazis geschimpft, weil wir Arbeitsdienste anbieten wollten, und das nur, weil damals die nationalsozialistische Regierung den so genannten ›Reichsarbeitsdienst‹ eingeführt hat. Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Wir wollen doch keine Arbeitslager haben, wo die jungen Menschen militärisch gedrillt werden, weit davon entfernt, das soll doch freiwillig auf gesetzlicher Grundlage geschehen, die zeitlich begrenzte Verpflichtung im Dienste des sozialen Gemeinwesens.

Prof. Rolf Papperger: Wenn ich dazu ergänzend zu den völlig richtigen Ausführungen meines Vorredners anfügen darf: Den Arbeitsdienst hat doch nicht die NSDAP erfunden, das war doch schon gegen Ende der Weimarer Republik eine verdienstvolle Tat des damaligen Reichskanzlers Brüning, der damit die verheerende Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen wollte. Der FAD, der Freiwillige Arbeitsdienst bestand schon seit 1931. »Zum Nutzen der Gesamtheit in gemeinsamen Dienste freiwillig ernst Arbeit leisten«, das war das Motto damals, und viele junge Menschen waren dem Staat dankbar, daß er ihnen die Möglichkeit gab, etwas zu leisten und den sozialen Zusammenhalt damit zu stärken.

Dr. Ulrich Ohneigen: Sie dürfen aber nicht unterschlagen, daß Brüning das damals gemacht hat als ein politisches Zugeständnis an die NSDAP, die seit Beginn der Wirtschaftskrise 1929 immer wieder eine Arbeitsdienstpflicht gefordert hat und daß die rechtliche Grundlage nur auf einer verfassungsrechtlich problematischen Notverordnung beruht hat.

Frank-Walter Steinmeier: Und das ist auch der Grund, weswegen ich um eine verfassungsändernde Mehrheit in unserem Parlament werbe. Dies soll keine diktatorische Maßnahme des demokratischen Staates sein, es soll auf der Zustimmung einer großen Mehrheit der Bürger beruhen. Meine Meinungsforscher haben mir mitgeteilt, daß inzwischen schon 65 Prozent der Gesamtbevölkerung sich für die soziale Pflichtzeit aussprechen, bei den jungen Menschen fällt die Zustimmung etwas geringer aus, bei knapp über 50 Prozent. Das ist für mich ein ermutigender Ansporn.

Dr. Ludolf von Mannstein: Da muß sich nun aber bald etwas bewegen, die demokratischen Parteien müssen endlich Flagge zeigen und ihre Mitglieder mobilisieren, damit das Ganze nicht im medialen Zirkus untergeht. Wir haben doch heute Themen in der Öffentlichkeit, da fragt man sich: ja, brauchen wir jetzt noch diese Diskussion über den Wolf, der sich über ein paar Schafe hermacht, ja wo sind wir denn?

Prof. Rolf Papperger: Naja, Sie können aber auch nicht ein anderes Thema besetzen und monopolisieren, das wäre dann genauso einseitig. Aber lassen Sie mich zum heutigen Thema noch etwas Historisches beitragen. Es war nicht der Nationalsozialismus, der dann auch die jungen Mädchen der ›Frauendienstpflicht‹ unterwarf, das gab es als Idee schon in der bürgerlichen Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg. Übrigens waren es die Bulgaren, die zuerst einen nationalen Pflichtdienst eingeführt haben, 1920 war das, und auch in konservativen und linken Kreisen fand man, daß staatsbürgerliche Erziehung und körperliche Ertüchtigung durchaus in Ordnung waren.

Dr. Ulrich Ohneigen: Auffällig war damals wie heute die Tatsache, daß immer von Freiwilligkeit geredet wurde, dabei war das überhaupt keine freie Entscheidung der jungen Leute, wenn sie plötzlich einen Spaten in die Hand gedrückt bekamen und im Rahmen eines Programms zur Bodenverbesserung herangezogen wurden. Auch heute tut man so, als ob dann, wenn es einen im Grundgesetz verankerten Artikel gibt, damit die Tätigkeit eine Wahlfreiheit enthält. Das ist nicht zutreffend, und wenn Sie, verehrter Herr Steinmeier, in einem Beitrag für die ›Frankfurter Allgemeine‹ schreiben: »Eine Pflicht ist nicht einfach nur Zwang.«, so ist das bloße Wortklauberei und eine Spitzfindkeit, die so tut, als würde sie differenzieren, dabei aber nur die bestehende Differenz zwischen Freiheit und Zwang einebnet.

Frank-Walter Steinmeier: Mit der Pflicht sagt der demokratische Staat: Du zählst, du trägst Verantwortung, und du bist Teil dieser Demokratie! Du wirst gebraucht! Und zwar für eine gerechtere, menschliche und nachhaltige Gesellschaft. Die Pflichtzeit ist praktischer Einsatz für die Demokratie und für eine lebenswerte Zukunft. Wir geben mit der sozialen Pflichtzeit eine Antwort auf die destruktiven Auswirkungen sozialer Zersplitterung. Ich mache mir Sorgen, daß die Abwendung der Menschen voneinander früher oder später die Grundlage unserer Demokratie aushöhlt.

Dr. Ludolf von Mannstein: »Du bist Deutschland« Das war doch vor vielen Jahren, ich glaube das lief zwischen den Jahren 2005 und 2006, eine tolle Kampagne, die mein alter Freund von der Bertelsmann AG, Gunter Thielen, initiiert hat. Da gab es TV-Spots auf allen Fernsehkanälen und in den Kinos, großformatige Anzeigen in den Printmedien, Flugblätter, Plakate. Das war die bisher größte Social-Marketing-Kampagne in der Bundesrepublik. Es sollte für mehr Zuversicht und Eigeninitiative in Deutschland geworben werden und die Bundesbürger zu mehr Selbstvertrauen und Motivation anstoßen. Man hat sich auch nicht gescheut, etwas volkstümlich zu werden, wie etwa in dem Slogan: »Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern«. Na, wer sagts denn, es muß auch mal urig und spaßig zugehen, sonst kommt man bei den Leuten nicht an.
Dr. Ulrich Ohneigen: Einer dieser von Ihnen so gelobten Slogans hieß: »Behandle Dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn. Du bist Deutschland.« Der Meckerer war im nationalsozialistischen Deutschland eine von der Propaganda aufgebaute Feindfigur. Das hieß damals ›Aktion gegen Miesmacher und Kritikaster‹. 1934 hielt Goebbels persönlich im Berliner Sportpalast eine Hetzrede gegen »Miesmacher und Kritikaster, gegen Gerüchtemacher und Nichtskönner, gegen Saboteure und Hetzer.« Die Identifikationsformel ›Du bist Deutschland‹ gab es damals auch schon, sie wurde 1935 auf den ›Führer‹, Adolf Hitler, angewandt.

Dr. Anneliese Sendler: Meine lieben Talkgäste, bitte versuchen Sie doch sachlich zu bleiben und solche Ausflüge in die Historie zu vermeiden.

Dr. Ulrich Ohneigen: Was heißt hier unsachlich? Ohne historische Vergleiche und Analysen darüber, woher ein politisches Phänomen herkommt, ist doch jede Diskussion zum oberflächlichen Geschwafel verurteilt. Wir müssen doch Parallelen zur Vergangenheit ziehen, sonst bleiben wir an der Oberfläche der tagesaktuellen Politik kleben. 2006 fand die Fußballweltmeisterschaft in der Bundesrepublik statt, das war doch kein Zufall, daß die Bertelsmann AG im Vorjahr mit der nationalistischen Kampagne ›Du bist Deutschland‹ den Äther verschmutzt hat.

Prof. Rolf Papperger: Ich muß Ihnen zugestehen, das an ihrem Argument was dran ist, aber wie soll man die Menschen heute anders mobilisieren als durch auf die Einheit der Nation zugeschnittene Aktionen. Die Massengesellschaft ist kein Kammerspiel, da muß grob geklotzt werden, sonst dringt man nicht durch. Emotionen sind das Hartgeld jeder Werbung, das mag man beklagen, aber ändern werden sie daran nichts. Das haben uns die Franzosen vorgemacht, seit 1789 ist die politische Sprache eine andere geworden, da wird auf dem Altar des Nationalen die Vernunft geopfert. Alles im Dienst des Gemeinwohls, der einzelne verschwindet in einem Dunst des Allgemeinen, des Vaterlands.

Frank-Walter Steinmeier (räuspert sich vernehmlich): Ahem, damit unsere Demokratie funktioniert, sind Fähigkeiten nötig, die lebendige Beziehungen zu anderen Menschen herstellen, und das soll man nicht nur durch Worte, sondern durch Taten und damit alles stärken, was uns miteinander verbindet. Eine allgemeine Pflichtzeit führt zur Begegnung mit Leuten, denen wir sonst wenig oder nie begegnen oder die wir nur im Vorbeigehen in ihrer beruflichen Funktion erleben, aber nicht in ihrer Menschlichkeit. Die Pflichtzeit wäre ein Gewinn für die innere Festigkeit unserer demokratischen Lebensweise in unsicheren Zeiten.

Dr. Ulrich Ohneigen: Lieber Herr Steinmeier! Ich bin mir sicher, daß Sie das alles ganz ernst meinen und auch an ihre Argumente, die Sie vorzubringen versuchen, fest glauben, aber was Sie da sagen, ist soziologisch naiv. Die moderne Gesellschaften sind so organisiert, daß der ökonomische Sektor am besten weiß, wie er ökonomisch vorgeht, das Recht wird nach internen Regeln gehandhabt, die Kunst geht nach ihren immanenten Strukturen vor, die Politik handelt innerhalb eines ihr eingeschriebenen Gesetzes, und auch wenn die einzelnen Bereiche einer Gesellschaft notwendigerweise miteinander interagieren und interagieren müssen, so heißt das noch lange nicht, daß zum Beispiel die Politik befugt werde, Entscheidungen der Ökonomie für sich zu reklamieren, was daraus geworden ist, hat man am Beispiel der Sowjetunion und der DDR erlebt. Und so sind auch Steuerungsversuche des Staates, in der Gesellschaft ein Gemeinschaftsprinzip durchsetzen zu wollen, entweder per Diktat oder per Verfassungsänderung, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dies verkennt einfach die Eigengesetzlichkeit der Moderne. So funktionieren Gesellschaften nicht mehr, das ging noch, als es Ordungsmodelle gab wie im Mittelalter, als es allgemeingültige Verpflichtungen gab, die an eine Ständeordnung gebunden waren. Doch schon der nationalsozialistische Staat konnte nur mithilfe von extremer Gewalt und Terror die so genannte Volksgemeinschaft partiell durchsetzen. Letztlich blieb es ein ideologisches Schauspiel, denn hinter den Kulissen ging die Ausbeutergesellschaft munter weiter, ja, sie wurde durch die Vermehrung der bürokratischen Stellenhierarchien noch um einiges vergrößert.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, Herr Doktor Ohneigen, das ist ja sehr interessant, was Sie da so vorbringen, aber doch halt eher etwas für Ihr Seminar, gelt?

Dr. Ludolf von Mannstein: Ganz ihrer Meinung, Frau Doktor Sendler! Die Pflicht ruft, wenn ich mal etwas Humor in die Debatte werfen darf. Wir kommen um die Pflichtzeit nicht herum. Wir vom Verein ›Gemeinnutz e. V.‹ stehen voll und ganz hinter der Forderung unseres Bundespräsidenten. Es sollte aber nicht beim bloßen Antichambrieren von Abgeordneten bleiben, es muß eine nationale Kampagne in der Größenordnung von ›Du bist Deutschland‹ auf die Beine gestellt werden. Das muß jetzt Schlag auf Schlag kommen, da darf nicht lange gefackelt werden. Wir als Verein stehen Gewehr bei Fuß und haben schon eine lange Liste von Wünschen, die erst durch die nationale Pflichtzeit in Erfüllung gehen können.

Frank-Walter Steinmeier: Mein Wunsch wäre, daß die soziale Pflichtzeit länger dauert als ein Praktikum, aber sechs Monate sollten es schon sein. Sie sollte in unterschiedlichen Phasen des Lebens absolviert werden können, nicht nur als Orientierungshilfe gleich nach dem Schulabschluß oder der Berufsausbildung, sondern auch später, als Auszeit im Beruf.

Dr. Ulrich Ohneigen: Dann soll man also, wenn ich den von Ihnen gewählte Euphemismus ›Auszeit im Beruf‹ ins Deutsche übersetzen darf, auch als Arbeitsloser in die Pflicht genommen werden statt das gesetzlich jedem Arbeitslosen zustehende Arbeitslosengeld in Empfang nehmen zu dürfen. Das ist dann aber staatlich erzwungener Arbeitsdienst im nationalsozialistischen Sinne.

Dr. Anneliese Sendler: Sachte, sachte, Herr Doktor Ohneigen! Immer ruhig Blut und nicht die Pferde scheu machen, nicht wahr?

Dr. Ludolf von Mannstein: Es ist unglaublich, was man sich hier von diesem dahergelaufenen, sich Soziologen schimpfenden Herrn gefallen lassen muß. Unerhört! sage ich. Unerhört!

Prof. Rolf Papperger: Wir sollten uns alle wieder beruhigen und daran denken, daß es zum Wesen eines sozialen Gemeinwesens gehört, auch unerträgliche Positionen zu tolerieren und die gegnerische Meinung ruhig anzuhören, auch wenn es schmerzen sollte.

Dr. Anneliese Sendler: Sehr schön gesagt, Herr Professor. Vielleicht wird Herr Dr. Ohneigen später, wenn er etwas älter geworden ist und die soziologischen Scheuklappen abgeworfen hat, einsehen, daß er sich hier eben vergaloppiert hat. Wir sind aber tolerant, nicht wahr, und lassen auch ganz unsinnige Meinungen zu Wort kommen.

Prof. Rolf Papperger: Darf ich vielleicht mit einem Zitat von Johann Gottlieb Fichte aushelfen? Er schrieb 1798: »Was du zufolge der Pflicht wahrnimmst, hat Realität, die einzige, die dich angeht, und die es für dich gibt; es ist die fortwährende Deutung des Pflichtgebots, der lebendige Ausdruck dessen, was du sollst, da du ja sollst. Unsere Welt ist das versinnlichte Material unserer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung.«

Dr. Ludolf von Mannstein: Sehr hübsch, Respekt, ich kenne von diesem Fichte praktisch gar nichts, aber das hier zeigt doch deutlich, daß er ein echt deutscher Mann gewesen sein muß, dieser Fichte.
Dr. Anneliese Sendler: Ja, und damit geht leider unsere heutige Sendung auch schon wieder ihrem Ende entgegen. Allen Teilnehmern danke ich für ihre beherzten Beiträge. Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt ›Deutsche Demokratie jetzt!‹ Wiederschaun!

Dr. Ulrich Ohneigen (ruft in den Abspann hinein): Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!