Die Apokalypse hat eine lange Geschichte. Nimmt man sich irgendein Ereignis der Gegenwart vor, so kann man meist ohne Mühe daran ablesen, daß, wie es in gängiger Alltagsrede heißt, »alles den Bach runtergeht«. In dieser Rubrik sollen solche Alltagserscheinungen beleuchtet und interpretiert werden, dabei prüfend, ob nicht doch ein Ende erreicht werden wird und welche Vorteile dies für die Erde dann doch hätte: »Eines ist auf jeden Fall gewiß: der Mensch ist nicht das älteste und auch nicht das konstanteste Problem, das sich dem menschlichen Wissen gestellt hat. Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende. Wenn diese Dispositionen verschwänden, so wie sie erschienen sind, wenn durch irgendein Ereignis diese Dispositionen ins Wanken gerieten, dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.« (Michel Foucault: Les mots et les choses, 1966)

Houston, we have a problem

Die sich unterhaltende Menschheit verfügt über gewisse Redensarten, die Ihr dabei helfen, sich ohne Umschweife und Zeitverlust zu verständigen. Wenn eine Nachbarin zur anderen Nachbarin sagt: »Wissen sie, der Junge von meinem Schwager hat solche Last mit den Zähnen.« — dann weiß die Nachbarin gleich Bescheid und nickt verständnisvoll. Wenn es in einem Presseartikel heißt: »Versinken nordamerikanische Großstädte allmählich unter ihrer eigenen Last?« kann man sich dessen nicht so sicher sein und ist gezwungen, den ganzen Artikel bis zum Ende zu lesen. Dabei lernt man Neues über bislang unbekannte fliegende Gerätschaften. So weiß wohl nicht jeder, was der ›Sentinel-Satellit‹ genau macht, der Artikel erklärt es ihm. US-amerikanische Geowissenschaftler haben diesen über der Erde fliegenden Satelliten dazu benutzt, Meßdaten zu sammeln, die nachweisen, daß US-amerikanische Großstädte um bis zu fünf Zentimeter abgesunken sind. Diese Information übersteigt zunächst einmal jede Vorstellungskraft. Wenn man vom Untergang des römischen Weltreiches spricht, stehen manchem die Ruinen der einstigen Herrlichkeit vor Augen, die das gewaltige Imperium hinterlassen hat. Vielleicht auch, daß mit dem Untergang das sich in der Zeit abspielende Ende der Weltherrschaft Roms gemeint sein könnte. Aber daß die Hauptstadt Rom um fünf Zentimeter in den Boden abgesackt sein könnte, erscheint erst einmal als sehr unwahrscheinlich, weil man mit dem Niedergang einer Zivilisation immer noch zuallererst das zeitliche Ende in Verbindung bringt. Die Meßdaten des geodätischen Satelliten aber lügen nicht. Im Großraum um Houston, der größten Stadt im Bundesstaat Texas, sinkt das Land um bis zu fünf Zentimeter pro Jahr. »Houston, wir haben ein Problem.« So lautete der Funkspruch der Raumkapsel Apollo 13 im Jahre 1970 an die ›Missionskontrollstelle‹ in Houston, um damit eine schwierige Situation zu beschreiben, in der ein unerwartetes Problem aufgetreten war. Auch Las Vegas und Phoenix gehören zu den betroffenen Regionen; und dort beträgt die jährliche Sinkrate sogar neun Zentimeter. Die die Erdkruste kontinuierlich abtastenden Radarstrahlen des Sentinel-Satelliten haben Höhenunterschiede ermittelt. Das Verfahren ist von schwindelerregender Genauigkeit:  Die sogenannte Interferometrie kann Höhenveränderungen von wenigen Millimetern pro Jahr zuverlässig messen. Wie steht es nun mit den Ursachen? Ganz neu ist das Phänomen nicht, denn schon in der Zeit, als im Ruhrgebiet in Deutschland noch Steinkohle in großem Umfang abgebaut wurde, kam es zur Bildung von Hohlräumen, die irgendwann kollabierten und zu Erdsenkungen führten. Kaum eine Stadt im Ruhrgebiet war von diesem Vorgang verschont geblieben. In Texas ist es vornehmlich die Förderung von Erdöl und Erdgas, die zu einer Absenkung führt. Hingegen wird in Arizona, Nevada und Kalifornien durch das Abpumpen von Grundwasser das Erdreich unter der Erdoberfläche regelrecht zusammengepreßt und damit kommt es zu teilweise schweren Erdsenkungen. Küstenstädte wie Miami und New York sinken ab, weil der Meeresspiegel aufgrund der weltweiten Erderwärmung ansteigt. In einem aber sind sich die Geodäten alle einig: Mit dem Absinken der Erdschichten wird es in zunehmenden Maße nach schweren Regenfällen zu immer größeren Überflutungen der Städte und Landschaften kommen. Man geht zu Grunde, indem man versinkt. Man geht der Sache auf den Grund, indem man sich in sie versenkt. […] Das menschliche Gebäude verlangt […] für seine Fundamente die felsennahe Dichte und Unlösbarkeit dessen, worauf sie beruhen. […] Fundamente, kaum daß sie gelegt sind, verschwinden unter der Verborgenheit ihrer Funktion; man legt sie erst frei, wenn das Bauwerk Risse zeigt. […] Der Stein liegt auf dem Boden; er genügt damit, solange andere Kräfte nicht auf ihn wirken, dem Trägheitsprinzip und der auf ihn stetig einwirkenden Schwerkraft. […] Insistenz auf Prüfung von Grund und Boden, von Gründbarkeit und Tragfähigkeit ist prägend für die theoretische ›Gründlichkeit‹ der Neuzeit.
(Hans Blumenberg: Grund und Boden: Zugrundegehen, auf den Grund gehen, auf einem Boden stehen; Stand und Bestand; Der Baugrund. In: ders.: Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt/M. 1987, 97f., 101, 103)