Heiratet nicht! Werdet Hetären! (Theodor Lessing an seine Studentinnen während einer Vorlesung in den 1920er Jahren)

Dr. Anneliese Sendler: Ja, einen schönen guten Abend, meine lieben Zuschauer. Heute haben wir ein Thema für Sie vorbereitet, das sicher keinen von Ihnen kalt lassen wird: die Heirat. Auch wenn manche unter unseren Zuschauern vielleicht noch nicht verheiratet sind, oder durch eine Scheidung die Ehe hinter sich gelassen haben, so wird man gewiß davon ausgehen können, das dieses Thema niemanden gleichgültig sein läßt. Wir haben, um mehr über das Thema zu erfahren, wieder eine Reihe ausgewählter Experten und Zeugen eingeladen, die ich jetzt kurz vorstellen möchte. Da ist zunächst, unseren Sender regelmäßig einschaltenden Zuschauern ein wohlbekannter Gast, Professor Friedrich Lensing, der zum Thema Heirat mehrere hochinteressante Aufsätze veröffentlicht hat, darunter die sich ergänzenden Beiträge mit den Titeln ›Theater der Liebe‹ und ›Theater der Ehe‹.

Prof. Friedrich Lensing: Ja, guten Abend, Frau Doktor. Wenn ich gleich eine Eingangsthese aufstellen darf? »Liebe ist der Vorgang der Illusion einer Person bezüglich einer andern.« »Ehe ist ein Vorgang (nicht Zustand) der Desillusionierung einer Person bezüglich einer andern.« Dr. Anneliese Sendler: Hui, das wird aber eine kontrovers geführte Diskussion heute abend werden. Shocking! Aber nun gleich zu unserem nächsten Gast. Ich begrüße Herrn Tobias Knopp, der schon auf eine lange Reihe von Ehejahren zurückblicken kann und als Augenzeuge der ehelichen Gemeinschaft sicher einiges Wissenswertes dazu beitragen wird.

Tobias Knopp: Guten Abend, Frau Doktor Sendler! Vielen Dank für Ihre Einladung. Ja, ich kann mich noch recht genau an meinen Hochzeitstag erinnern. Ach Gott, wie lang ist das her! Meine Frau, Gott hab sie selig, weilt ja schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Sie war meine einzige große Liebe.

Dr. Anneliese Sendler: Als nächsten Gast darf ich begrüßen Herrn Olaf Pfeiffer. Er ist Repräsentant der niedersächsischen Firma ›Wedding Event‹, die sich auf ungewöhnliche Hochzeiten spezialisiert hat. Herr Pfeiffer, nennen Sie uns doch einmal ein paar Beispiele!

Olaf Pfeiffer, Wedding Event KG: Sehr gerne, Frau Sendler! Wir wollen ja wegkommen von den langweiligen kirchlichen Trauungszeremonien, womit ich absolut nichts gegen unsere Kirchen gesagt haben will! Aber es ist doch all die Jahre ein bißchen dröge gewesen, dieser Gang zum Traualtar und die steifen Gesten des Pastors oder Pfarrers. Das wird zwar immer noch gemacht, aber es kommt bei unseren jüngeren Kundinnen und Kunden doch nicht mehr so gut an. Ein ganz großer Trendsetter war bekanntlich Mick Jagger, der schon 1971 seine damalige Freundin Jerry Hall auf Bali am Strand geheiratet hat. Das war damals das Privileg von Rockstars, aber heute kann das bei uns jede Frau und jeder Mann haben. Und man muß dazu auch gar nicht bis Bali fliegen, denn wir in Niedersachsen haben auch schöne Strände, und vielleicht sind die auch ein bißchen sauberer als die in Indonesien, naja, man weiß es nicht so genau. Was Mick und Jerry Bali war, das ist unseren Kunden die Insel Juist, wo das Standesamt Strandhochheiten anbietet und wo man unter freiem Himmel und in der untergehenden Abendsonne ja zueinander sagen kann.

Prof. Friedrich Lensing (ironisch zitierend): »In der untergehenden Abendsonne« … Ja, freilich, da ist schon das passende Vorzeichen gesetzt.

Dr. Anneliese Sendler: Na, lieber Herr Professor, Sie müssen doch nicht gleich zu Anfang hier die Saalstimmung herunterdrücken! Das ist doch romantisch, in der untergehenden Abendsonne den Bund fürs Leben zu schließen.

Prof. Friedrich Lensing: Bei Nestroy beruhigt sich ein verdachtschöpfender Bräutigam immer mit den Worten: »Sie hat mir ja ewige Liebe geschworen!« Dr. Anneliese Sendler: Nun geben Sie aber Ruhe, Herr Professor, wir haben Sie hier doch nicht als kaspernden Zwischenrufer engagiert. So! Dann wollen wir mal! Herr Knopp, Sie als erfahrener Ehemann können uns bestimmt einiges über ihre Heirat und Ehe mit ihrer Frau berichten.

Tobias Knopp: Ja, gerne. Ich will aber doch gleich sagen, daß mich die Äußerungen des Herrn Professors ein bißchen schmerzen, denn so negativ, wie er die Ehe darstellt, ist sie doch ganz gewiß nicht. Ich kann ja nur von mir erzählen, das ist ja naheliegend, aber was so alles in den Büchern steht, nicht nur von dem Herrn Professor, sondern auch in diesen Romanen, die die Ehe behandeln, also ich weiß nicht, das ist doch zum Großteil alles erfunden, nicht wahr? Vor allem diese Darstellung von diesem Wilhelm Busch, der diese Zeichnungen gemacht hat mit diesen witzig sein sollenden beigeschriebenen Versen und dessen Hauptfigur zufälligerweise meinen Namen trägt, nein, das ist doch eine grobe Entstellung des normalen ehelichen Zusammenlebens. Die Zeiten haben sich doch auch geändert, das waren doch ganz andere Verhältnisse um 1875, als dieser Busch diese Bildergeschichten gemacht hat.

Olaf Pfeiffer, Wedding Event KG: Darf ich darauf gleich antworten? Herr Knopp hat völlig recht, die Zeiten, sie haben sich geändert, wie Bob Dylan schon vor vielen Jahren gesungen hat. Das gilt jedenfalls insbesondere für Niedersachsen, wo unsere Wedding Event KG eine ganze Menge toller Sachen auf die Beine stellt. Das wäre für den Spießer der damaligen Gesellschaft, so um 1875, ganz bestimmt nichts gewesen. Man sagt heute auch nicht mehr militärisch ›Jawoll!‹, sondern ganz zivil ›Ja!‹. Und was gibt es Schöneres als das Bejahren. Das wußte schon Nietzsche, der sich damit gegen den pessimistelnden Schopenhauer absetzte. Sie sehen, unsere Wedding Event KG ist auch philosophisch unterfüttert und überhaupt immer auf dem letzten Stand der Dinge. Es darf auch ein klein bißchen verrückt sein. So haben wir in Osnabrück jetzt die Möglichkeit geschaffen, sich im Schimpansenhaus des hiesigen Zoos trauen zu lassen.

Prof. Friedrich Lensing: Der Kasus macht mich lachen, könnte man mit Goethes ›Faust‹ darauf erwidern. Aber Spaß beiseite, ich habe in einem Büchlein, benannt ›Jäö. Studienblätter. Humoristische hannoversche Sitten- u. Sprachstudien‹ eine Szene im Raubtierhause spielen lassen, wo ein kleiner französischer Junge namens Théodore die hiesige hannoversche junge Dame Helene trifft und unter vielen Qualen versucht, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Da ist eine Trauung im Schimpansenhaus nur die Fortsetzung meiner kleinen erdachten Geschichte, wenn auch mit einem kleine Schwenk ins Groteske. Aber Affen sind ja vielleicht die besseren Menschen. Kein Tier ist so sehr Affe als der Mensch, heißt es bei Nietzsche. Affen sind sehr empfindlich gegen das Lachen der Menschen. Sie haben ein genaues Wissen davon, ob sie ernst genommen werden. Sie gesellen sich nie zu Leuten, die über sie lachen. Der Schimpanse besonders wünscht fortwährend bewundert zu werden. Jedoch: Humor setzt eine größere und kühlere Distanz zu den Dingen voraus, und das geht dem Schimpansen doch ab. Man stelle sich die Menschenseele im Bilde eines riesenhaften botanisch-zoologischen Gartens vor.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, vielen Dank, Herr Professor Lensing, ihr Wissen und ihre Einsicht in die komplexe Seele des Menschen ist immer wieder überwältigend und ganz enorm.

Olaf Pfeiffer, Wedding Event KG: Wenn ich hier noch kurz unsere anderen Angebote erwähnen darf. Hier kommt noch ein weiteres Highlight der ganz besonderen Art. Nicht jeder will sich eine frische Brise um die Nase wehen lassen und meidet daher den Strand und die Insel. Und der geht dann tiefer, im buchstäblichen Sinne. Es gibt nämlich auch die Möglichkeit, in einem Bergwerksstollen zu heiraten. Und zwar im Harz, genauer gesagt: Im Rammelsberg.

Tobias Knopp: Hoho, ähem, das ist aber … mpf … delikat.

Olaf Pfeiffer, Wedding Event KG: Wir können gegen historisch entstandene Namen keinen Widerstand aufbauen. So heißt er nun einmal: Rammelsberg.

Prof. Friedrich Lensing: Na ja, lassen wir Herrn Knopp diese kleine frivole Wortassoziation, das ist harmlos. Was aber passiert, wenn die Hoch-Zeit der Hochzeit vorüber ist, wenn der Ehealltag eingekehrt ist? Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant hat es gewußt. Er sagt über die Ehe: »Am Tag der Austausch schlechter Launen, bei Nacht der Austausch schlechter Gerüche.« Nicht jede neugegründete Familie besitzt ein Schloß, wo die Ehepartner in einander gegenüberliegenden Flügeln wohnen und so die Distanz bewahren, die für das Funktionieren einer Ehe unabdingbar ist.

Tobias Knopp: Hören Sie doch auf, die Ehe schlecht zu machen. Diese gemeinen Geschichten, die dieser Wilhelm Busch geschrieben und gezeichnet hat, wie in seiner erfundenen Familie Knopp die Ehepartner sich gegenseitig quälen und daran auch noch eine besondere Freude haben, das ist doch erstunken und erlogen!

Prof. Friedrich Lensing: »Die Dichter lügen so viel« hat schon Platon gesagt. Aber beruhigen Sie sich doch, werter Herr Knopp, ich glaube nicht, daß hinter den Darstellungen der bürgerlichen Ehe eine gemeine und hinterhältige Absicht steckt. Im übrigen gilt der Grundsatz: Jeder Jeck ist anders. Was Sie als Herabsetzung empfinden, ist in vielen anderen gleichgelagerten Fällen die reine Wahrheit. Denken Sie an die berühmten Ehedramen, die Ibsen und Strindberg auf die Bühne gebracht haben. Wenn die Ehepartner nur mit etwas praktischer Phantasie ins Theater gehen würden, dann könnten Sie von diesen dramaturgischen Großmeistern eine Menge für ihren Ehealltag lernen und gewisse, beide anödende Gewohnheiten aufgeben.

Dr. Anneliese Sendler: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im vergangenen Jahr rund 390.800 Paare geheiratet. Das sind fast zehn Prozent mehr als im Vorjahr. So gesehen, scheint die Heirat doch weiter eine Zukunft zu haben. Und ohne sie wären die daraus hervorgehenden Kinder auch gar nicht lebensfähig.

Prof. Friedrich Lensing: Dann müssen Sie aber daneben die Scheidungsraten stellen, sonst ergibt das ein falsches Bild.

Tobias Knopp: Bis daß der Tod uns scheidet! Das ist doch immer noch die beste Anleitung für eine glückliche Ehe!

Olaf Pfeiffer, Wedding Event KG: Habe ich schon erwähnt, daß wir auch Trauungen im Space planen?

Prof. Friedrich Lensing: Nach dem Moto: Ehen werden im Himmel geschlossen, aber auf Erden gelebt.

Dr. Anneliese Sendler: Ja, meine lieben Zuschauerinnen und Zuschauer. Und schon ist unsere Zeit wieder um. Oder, wie es bei Wilhelm Busch heißt: »Einszweidrei, im Sauseschritt, Läuft die Zeit; wir laufen mit.« Bis zum nächsten Mal. Allen verheirateten und noch nicht verheirateten Paaren wünsche ich eine gute Zeit!

Prof. Friedrich Lensing (in den Abspann hineinrufend): »Na, jetzt hat er seine Ruh! Ratsch! Man zieht den Vorgang zu.«