Wir waren die Leoparden, die Löwen: unseren Platz werden die kleinen Schakale einnehmen, die Hyänen. (Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Il Gattopardo, 1958)

Prof. Friedrich Lensing (steht am Gartenzaun und sieht seiner Nachbarin, Frau Pannemeyer dabei zu, wie sie mit einer Harke das Herbstlaub unter den Bäumen zusammenkehrt): Tag, Frau Pannemeyer, na, der Sommer ist wohl vorbei. Es wird zwar an manchen Tagen noch etwas wärmer als man es vom Herbst gewöhnt ist, aber die Zeichen sind deutlich, die Blätter fallen von den Bäumen und die Herbstwinde stellen sich ein.

Frau Pannemeyer: Ach Gott, ja, Herr Professor, es fällt mir jedes Jahr schwerer, vom Sommer Abschied zu nehmen, das ist wohl das Alter. Man braucht mehr Wärme, während die Jungen jedes Wetter vertragen und sich über jede Jahreszeit freuen können. Ich nicht. Aber schon als junges Mädchen habe ich die Sommerzeit über alles geliebt, allein schon wegen der vielen Sonne und den Früchten, die der Garten hervorbringt.

Prof. Friedrich Lensing: Das geht mir auch so. Wir sind hier in Hannover auch nicht gerade gesegnet mit einem milden Klima, auch wenn durch die Erderwärmung es dieses Jahr doch außerordentlich heiß während der Sommermonate war. Für mich ist das Ende dieser schönen Jahreszeit immer mit den Gartenschläfern verbunden, den Bilchen, wie sie auch genannt werden, Murmeltierverwandte. Hellgraue Köpfchen mit großen dunklen Perlaugen wie Glasknöpfe, müßiggängerisch und raubgierig, lüstern und böse, menschenscheu und lichtfern, aber von ausgeprägter adeliger Schönheit.

Frau Pannemeyer: Gehen Sie mir los mit diesen Nagetieren! Dieses Gesocks! Dieses Gesindel! Siebenschläfer! Die brauche ich nicht in meinem Garten.

Prof. Friedrich Lensing: Mögen Sie mir verzeihen, aber ich liebe alles, was schön, zierlich und unnütz ist und sogar dann, wenn es einen so hundsmiserablen schlechten Charakter hat wie die Gartenbilche. Sieben Monate lang, von Oktober bis Mai, schlafen sie. Es gibt kein Nagetier, das es ihnen an Gefräßigkeit zuvortut. Sie fressen, solange sie fressen können: Eicheln, Haselnüsse, Bucheckern, Walnüsse, Kastanien, Eier, Weißbrot, Schinken. Und wenn nicht genug da ist, fressen sie auch ihre Verwandten, am liebsten das Murmeltier. Es ist noch niemals gelungen, sie zu zähmen. Ihre größte Tugend ist ihre Schönheit.  Sie sind unendlich schöne und reinliche, aber langweilige Tiere.

Frau Pannemeyer: Sie brechen in die Wohnungen ein und mopsen Eier, Brot, Speck und Schinken. Schöne adelige Existenzen sind das!

Prof. Friedrich Lensing: Sie haben recht, es sind gemeine Verbrecher, Diebe und die verwöhntesten Gourmets! Nur die besten und saftigsten Früchte wählen sie, beißen aber probeweise auch alle andern mal an und zerstören somit mehr, als sie zum Leben nötig haben. Es gibt kein Mittel, sie abzuhalten. Sie vereinen den Blutdurst des Wiesels mit der Nagefreudigkeit der Ratte. Die Bauern und die ganze arbeitende Menschheit hat sich verschworen, die schönen Geschöpfe auszurotten. Man kann schließlich diesen Haß verstehen, denn  sie haben keinen guten Charakter. Aber wer die schönen Geschöpfe in ihrer vornehmen Zurückgezogenheit in den verschollenen Parks und versunkenen Adelsgärten gesehen hat, wer die Schönheit der alten Erde liebt und die Häßlichkeit der neuen durchschaut, der muß meinen Seufzer nachfühlen: »Geliebter Herr v. Bilch, wie schade, daß nun auch Sie aussterben.«