Aber es gibt ein Reservoir, eine unendliche Stoffquelle, die noch Niemand vor mir ausgeschöpft haben kann : meine eigene Zeit nämlich! Die ist immer neu, mit neu zu schildernden kuriosen Geräten : das Erlebnis eines Düsenjägers kann Goethe mir nicht vorweggenommen haben! (Arno Schmidt, Die Meisterdiebe, 1958)
Dr. Anneliese Sendler: Einen wunderschönen guten Abend, meine meine lieben Zuschauer und hoffentlich auch viele Zuschauerinnen, zu unserer heutigen Sendung, die diesmal nicht aus unserem gewohnten Studio in Unterföhring kommt, sondern aus einem Hangar in der Nähe von Wunstorf. Das liegt etwa 25 Kilometer westlich von Hannover, also in Norddeutschland. Wunstorf ist eine Stadt mit etwas über 41. 000 Einwohnern. Wunstorf ist berühmt durch seine psychiatrische Fachklinik, aber vor allem, und deswegen sind wir heute hier, wegen des Fliegerhorsts, der 1934 für die Reichsluftwaffe angelegt wurde. Wie Sie sicher aus den Medien wissen, läuft hier seit einigen Tagen die große Flugübung ›Air Defender‹, und für unsere Zuschauer, die nicht des Englischen mächtig sind — das heißt übersetzt: Luftverteidigung. So, dann möchte ich gleich unseren ersten Gast begrüßen, bei dem ich mich zuerst einmal herzlich bedanken möchte für die große Gastfreundschaft, die er unserem gesamten Team erwiesen hat. Herr Joachim Hartlaub, Oberstleutnant bei der Bundeswehr und Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Keine Ursache, Frau Doktor Sendler, wir freuen uns, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, alles war zu Ihrer Zufriedenheit.
Dr. Anneliese Sendler: Hach, Herr Oberstleutnant, wo denken Sie hin. Vor der Sendung wurden wir hier ganz fürstlich bewirtet, das glaubt man gar nicht, was da an Speisen aufgetragen wurde. Keine Rede von bundeswehrtypischer Gulaschkanone, nein, ich habe vorhin ein Boeuf à la mode zu mir genommen, also sowas von zart, das zerfiel ja praktisch im Mund. Ein Hochgenuß! Ja, da müssen sich manche dann doch von der überholten Vorstellung, daß man bei der Bundeswehr nur von Kommißbrot und Eintopf lebt, verabschieden.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Oder Fischstäbchen mit Bratkartoffeln in Remouladensauce. Haha.
Dr. Anneliese Sendler: Ja, man kann sagen, die Bundeswehr hat kulinarisch aufgeholt, sie ist richtig cool. Und das ist es ja auch, was sie bei der Nachwuchswerbung versucht: Ein zwar realistisches Bild vom Leben als Soldat zu zeichnen, aber doch auch die großen Möglichkeiten den jungen Menschen, gerade auch den jungen Mädchen, vorzuführen.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Der alte OKW-Stil ist passé. Wir sind schon seit langem in der Gegenwart angekommen. Wir sind ein patriotischer Dienstleister. Da die Wehrpflicht abgeschafft wurde, müssen wir uns auch um die jungen Menschen bemühen und ihnen eine Orientierung mit auf den Lebensweg geben. Dazu bieten wir auf unseren Truppenübungsplätzen Camps an, wo man an drei Tagen testen kann, wie ein Leben als Soldat aussieht. Da heißt es dann zwar immer noch: Stillgestanden! Rührt euch! Aber es wird nicht mehr gebrüllt und der junge Mensch zu einem willenlosen Glied degradiert wie das früher der Fall war. Auch für junge Mädchen haben wir einiges zu bieten. Man kann bei uns Tierärztin oder Hufschmiedin werden und zugleich am regulären militärischen Ausbildungsgang teilnehmen. Denn den Dienst an der Waffe wollen wir natürlich nicht den Männern vorbehalten, wir sind da für die volle Gleichberechtigung und weibliche Emanzipation.
Dr. Anneliese Sendler: Ja, freilich, Herr Hartlaub, nur müssen wir für die jüngeren unter unseren Zuschauer doch erklären, was OKW bedeutet. Es heißt ausgeschrieben: Oberkommando der Wehrmacht. Das liegt gottseidank hinter uns. Aber jetzt schnell wieder in die Gegenwart geschaltet. Wir haben ja noch weitere Gäste, die darauf warten, vorgestellt zu werden. Ich darf begrüßen Frau Renate Meusel von der Friedensinitiave ›Diplomatie statt Luftkrieg‹.
Renate Meusel: Guten Abend, Frau Sendler. Die Wehrbeauftragte, die der SPD angehört, hat unlängst in einem Interview vorgeschlagen, zwar nicht die Wehrpflicht wieder einzuführen, aber sie sagt, man müsse künftig alle jungen Menschen eines Jahrgangs zur Musterung einladen. Das kommt doch sehr einem Etikettenschwindel nahe, wenn ich das mal so sagen darf, denn zugleich will die Wehrbeauftragte ein verpflichtendes ›Dienstjahr für Deutschland‹ einführen. Das ist doch Wehrpflicht durch die Hintertür, wenn Sie mich fragen.
Dr. Anneliese Sendler: Ja, danke für ihre Meinung. Nun aber zu meinem nächsten Gast, Herrn Wilfried Neugebauer von der Wehrsportgruppe ›Endkampf‹ …
Wilfried Neugebauer. Wehrsportgruppe ›Erdkampf‹: Erdkampf! Erdkampf!! Erdkampf!!! Es heißt Erdkampf.
Dr. Anneliese Sendler: Sie müssen hier nicht alles wiederholen. Wir sind hier nicht beim Militär. Ach, übrigens, wie ich gerade meinen Notizen entnehme: Ganz genau so heißt eins der beteiligten Air Fighter: ›Erdkampfflugzeug A-10‹. Na sowas. Das dürfte Sie doch freuen, Herr Neugebauer. So, und zuguterletzt darf ich herzlich begrüßen Herrn Professor Martin Wettbergen. Er lehrt Militärgeschichte an einer unserer Bundeswehrhochschulen. In München, nicht wahr?
Prof. Martin Wettbergen: So ist es. Ja, vielen Dank für ihre Einladung, Frau Dr. Sendler.
Dr. Anneliese Sendler: So, nachdem nun alle Teilnehmer vorgestellt worden sind, nun aber gleich zum Thema, das gerade hier in Wunstorf und Umgebung manche Anwohner etwas verstört hat. Herr Hartlaub, vielleicht erläutern Sie uns und unseren Zuschauern an den heimischen Schirmen einmal, was mit dieser militärischen Großveranstaltung eigentlich bezweckt werden soll.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Jawoll, ähem …
(Frau Meusel hat kurz zuvor aus ihrer Handtasche eine Brötchentüte gezogen, entleert sie, legt vier Brötchen auf den neben ihr stehenden Beistelltisch, führt die Papiertüte zum Mund, bläst hinein, die Tüte bläht sich, und dann nimmt sie beide Hände und zerknallt mit einem parallel geführten kurzen harten Schlag die Tüte. Peng!!! Alle Gäste im Hangar schrecken zusammen. Flugsicherheitsstabsoffizier Hartlaub schaut sich blitzartig nach allen Seiten um und scannt schlagartig das Umfeld.)
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Na, wissen Sie, verehrte Frau Meusel, das wäre nun aber nicht nötig gewesen, uns hier auf diese kindische Weise so zu erschrecken. Was sollte das denn?
Renate Meusel. Sprecherin der Friedensinitiative ›Diplomatie statt Luftkrieg‹: Lärm! Herr Oberstleutnant. Lärm! Und nicht zu knapp. Wir Anwohner hier müssen seit Tagen unter dem unerträglichen Flugzeuglärm leiden. Aber das ist nicht alles. Nach Berichten der Medien werden innerhalb dieses militärischen Abenteuers 2,4 Millionen Kerosin verbrannt, das sind, ich habe die exakten Zahlen hier: 35. 235 Tonnen CO2. Eine Luftverpestung sondergleichen und eine Gefährdung unserer aller Gesundheit! Ich protestiere auf das entschiedenste gegen diesen militärischen Aufmarsch in der Luft, diese wahnwitzige Vorstellung, man könnte für den nächsten Krieg proben.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Nur immer sachte, werte Madame. Die multinationale Großübung Air Defender 23 dient unser aller Sicherheit und ist unerläßlich für eine noch sichere Zukunft. Ein guter Grund, um sich auch auf den im schlimmstmöglichen Fall bestmöglichst vorzubereiten. Wenn es zu einem Zwischenfall oder einem Flugunfall kommt, müssen Meldewege funktionieren und die richtigen Personen zur richtigen Zeit alarmiert werden, damit effektive Hilfe geleistet werden kann. Dafür müssen alle Zahnräder ineinandergreifen. Die Übung Air Defender 23 ist die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der NATO. Sie demonstriert Solidarität im Bündnis und transatlantische Verbundenheit: Vom 12. bis 23. Juni trainieren bis zu 10.000 Übungsteilnehmer aus 25 Nationen mit 250 Luftfahrzeugen unter der Führung der Luftwaffe Luftoperationen im europäischen Luftraum. 25 Nationen und die NATO üben die gemeinsame Reaktionsfähigkeit ihrer Luftstreitkräfte in einer Krisensituation. Deutschland übernimmt dabei die führende Rolle und ist logistische Drehscheibe.
Wilfried Neugebauer. Wehrsportgruppe ›Erdkampf‹: Das ist alles schön und gut und ich befürworte diese kämpferische und entschlossene Einstellung. Nur: Man darf sich bei einem Krieg eben nicht nur auf die Luftüberlegenheit verlassen und alles auf eine Karte setzen. Das geht nach hinten los. Es gibt eben auch die Infanterie bei einem Krieg, und wir von der Wehrsportgruppe ›Erdkampf‹ bereiten uns schon jetzt auf eine Unterstützung der fliegenden Einheiten auf dem Boden vor. Letzten Endes muß ja das Terrain erobert werden, das kann man aus der Luft nicht, es müssen doch Bodentruppen vorhanden sein, die nach erfolgter Luftschlacht gezielt ins feindliche Gebiet vorrücken und Brückenköpfe bilden, damit der errungene Sieg nicht bald schon wieder verlorengeht. Deshalb üben wir von der Wehrsportgruppe schon jetzt den Ernstfall, der ja irgendwann sich einstellen wird, das können diese friedensliebenden Vereinigungen mit ihrem pazifistischen Gesäusel nicht verhindern.
Renate Meusel. Sprecherin der Friedensinitiative ›Diplomatie statt Luftkrieg‹: Halten Sie doch den Mund! Das ist ja unglaublich, wie dieser Mensch hier daherschwafelt und Kriegsstimmung verbreitet. Wo kommen Sie denn her? Aus einem Erdloch? ›Wehrsportgruppe Erdkampf‹!! Hören Sie doch auf, Sie Hinterwäldler!!!
Prof. Martin Wettbergen: Wenn ich da vielleicht einhaken darf. Es gab tatsächlich von 1973 bis 1982 die ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹, eine rechtsterroristische Vereinigung, die 1980 als verfassungsfeindlich verboten wurde. Ich kann mich noch daran erinnern, wie die ›Frankfurter Allgemeine‹ in Gestalt des damaligen Politikredakteurs Friedrich Karl Fromme laufend rechtfertigende Artikel über diese sogenannte Wehrsportgruppe publiziert hat. Das war keine Glanzleistung des deutschen Qualitätsjournalismus.
Dr. Anneliese Sendler: Meine lieben Teilnehmer, bitte schweifen Sie doch nicht zu weit von unserem heutigen Thema ab. Es geht doch um das gerade stattfindene Verlegemanöver ›Air Defender‹, nicht um irgendwelche Splittergruppen der rechtsradikalen Szene.
Renate Meusel. Sprecherin der Friedensinitiative ›Diplomatie statt Luftkrieg‹: Aber Sie sehen doch, das wir das eine vom anderen nicht trennen können, die Vergangenheit und die Gegenwart bilden doch ein Ganzes. Und von dem von der Bundesregierung angekündigten sogenannten ›Sondervermögen‹ von sage und schreibe einhundert Milliarden Euro sollen allein 40,9 Milliarden Euro für das Nachfolgemodell des Tornado, den amerikanische Tarnkappen-Jet F-35, angeschafft werden. Was viele Menschen aber nicht wissen: Dieser Jet ist auch Teil der sogenannten ›nuklearen Teilhabe‹. Das wiederum geht aus dem von der NATO entwickelten Abschreckungskonzept hervor, wonach die Verbündeten Zugriff auf US-Atombomben haben und diese im Ernstfall transportieren. Wir von der Friedensinitiative ›Diplomatie statt Luftkrieg‹ lehnen diese Schritte zur Vorbereitung eines Atomkriegs kategorisch ab. Es gibt genug gut ausgebildete Diplomaten im Auswärtigen Amt, die ihre Intelligenz dazu verwenden sollten, damit ein solcher Albtraum niemals Wirklichkeit wird.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Mit dieser Art von Polemik kommen wir nicht weiter. Sie tun ja gerade so, werte Frau Meusel, als ob die Bundeswehr es gar nicht erwarten kann, einen Atomkrieg auszulösen. Unsere Generalität besteht nicht aus suizidalen Wahnsinnigen. Nur müssen wir unserer vom Staat vorgegebenen Aufgabe gerecht werden und dazu gehören in gewissen Abständen eben Manöver und diese transatlantische Großübung ›Air Defender‹. Es geht doch niemals um Angriff und Krieg, sondern immer um Verteidigung und den Erhalt des Friedens. Mit Air Defender 23 zeigen wir, beweisen wir, und demonstrieren wir die Verteidigungsfähigkeit dieses Bündnisses. Diese Übung ist im Signal gegen niemanden gerichtet. Es ist ein Signal an uns, nach innen gerichtet. In die NATO hinein. Es sind überwiegend NATO-Staaten, die sich an der deutsch-geführten Übung beteiligen. Es ist ein Signal gegen niemand.
Prof. Martin Wettbergen: Das ist, bitte entschuldigen Sie den Ausdruck, semiotischer Kokolores. Ein Signal ist niemals gegen niemanden gerichtet. Das Wort Signal schließt das von vornherein aus. Ein Signal kann niemals nur nach innen gerichtet sein. Ohne ein Außen gibt es auch kein Innen. Das Szenario von ›Air Defender‹ besteht nach offiziellen Angaben darin, daß ein östliches Militärbündnis mit dem fiktiven Namen ›Occasus‹ nach jahrelanger Konfrontation das Bündnisgebiet der NATO angreift. Occasus hatte zunächst seine Energielieferungen verknappt und über Sympathisanten in Deutschland die öffentliche Debatte manipuliert. Dann überfiel Occasus das Land Otso, das nicht zur NATO gehört. Nun greifen die regulären Truppen von Occasus zusammen mit der ›Organisation Brückner‹ Deutschland an. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? Also militärische Phantasie wurde in dieses Szenario nicht investiert, es ist eine platte Kopie der heutigen Lage, eine schlichte Nachahmung, und nicht einmal eine Überraschungsvariante wurde eingebaut. Und dennoch verkünden die politisch und militärisch Verantwortlichen allen Ernstes, und ich zitiere: »Ähnlichkeiten mit real existierenden Machthabern oder echten Staaten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.« Ja, für wen halten diese Leute die Öffentlichkeit eigentlich, uns etwas dermaßen primitiv Gestricktes aufzutischen? Aber von dieser durchsichtigen Beschwichtigungstaktik einmal abgesehen, schmerzt es mich als alter Sozialdemokrat, wenn ich sehen muß, wie ein sozialdemokratischer Bundeskanzler das viele Geld so ohne weiteres auszugeben bereit ist, nur weil die russische Politik sich für einen für alle Beteiligten verheerenden Krieg entschieden hat. Das hängt natürlich mit dem alten Vaterlandskomplex zusammen, damals, als die SPD noch als innerer Feind von den regierenden Klassen des wilhelminischen Kaiserreichs angesehen und auch so behandelt wurde. Das hat jahrzehntelang auf die sozialdemokratische Psyche eingewirkt, und im August 1914, als die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die Kriegskredite bewilligte, meinte man, nun endlich vom deutschen Vaterland aufgenommen worden zu sein, aber denkste! Es hat ihnen nicht viel genützt und nach dem Zusammenbruch 1918 ging es dann erneut darum, vaterlandsgetreu sich zu verhalten. Und so haben führende Sozialdemokraten dann mit dem Militär und den Freikorpsverbänden die deutsche Revolution von 1918 in einem Blutbad enden lassen. An dieser Mentalität hat sich auch nach 1945 nichts geändert. Die SPD war immer national, und dennoch hat man sie über einen langen Zeitraum als international orientierte Partei angesehen, dabei war sie nur die größte und am besten organisierte politische Partei der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Manchmal habe ich schon gedacht, daß nur eine am Parteikörper vorgenommene Elektroschocktherapie diesen von dem nationalistischen Wahn befreien könnte.
Renate Meusel. Sprecherin der Friedensinitiative ›Diplomatie statt Luftkrieg‹: Ja, sehr schön gesagt, Herr Professor. Der Kanzler kriegt die Krise und schleudert 100 Milliarden Euro in die Atmosphäre! Und welche gesellschaftlichen Strukturen werden damit zum Guten verändert, wenn die eine Hälfte für atomwaffentragende Düsenjäger ausgegeben werden, und die andere Hälfte auch militärischen Zwecken dienen wird. 19,3 Milliarden Euro sollen für weitere Korvetten und Fregatten zur Verfügung stehen, ein neues Jagd-U-Boot steht ebenso auf der Liste wie Mehrzweckkampfboote. Und natürlich Raketen, marinetaugliche Raketen und U-Boot-Flugabwehrkörper. Das ist noch nicht das Ende. Den Landstreitkräften hat man 16,6 Milliarden Euro versprochen, damit Nachfolgemodelle für den Schützenpanzer Marder und den Truppentransporter Fuchs produziert werden können. Und Mittel für die Entwicklung des Nachfolgers des Leopad-2-Panzers. Und weiter im Text. Für die sogenannte Führungsfähigkeit der Bundeswehr werden 20,7 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, dabei geht es um Digitalisierungsprojekte, neue Funkgeräte und Verbesserung der Satellitenkommunikation. 500 Millionen Euro werden bereitgestellt für die militärische Forschung, darunter zählen neue Navigationssysteme zu Land und zu Wasser sowie die Bereitstellung von Überwachungsapparaten zur Sicherung großer Räume mittels Künstlicher Intelligenz. Schließlich bleiben noch 2 Milliarden für die Bekleidung und persönliche Ausrüstung, dazu gehören neue Nachtsichtgeräte und sogenannte Sprechsätze mit Gehörschutz, die im ›Gefechtshelm‹ untergebracht sind. Und da die Soldatinnen und Soldaten Menschen sind, die immer noch auf zwei Beinen gehen, werden neue Stiefel der Bundeswehr angeschafft, die den albernen Namen ›Kampfschuhsystem Streitkräfte‹ tragen. Wohin man auch sieht, hier wird der alte Satz »Si vis pacem para bellum«, auf deutsch: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor, aufs Greulichste bestätigt und zugleich in Frage gestellt. Wenn man ins Endlose Kanonen und Maschinengewehre baut, gehen sie eines Tages von selber los.
Oberstleutnant Joachim Hartlaub, Flugsicherheitsstabsoffizier beim Taktischen Luftwaffengeschwader: Sie sind ja bestens informiert. Ihre Schlußfolgerungen teile ich selbstverständlich nicht.
Wilfried Neugebauer. Wehrsportgruppe ›Erdkampf‹: Wenn so viel Geld für die Streitkräfte übrig ist, warum zweigt man dann für solche paramilitärischen Verbände wie unsere Wehrsportgruppe nicht einen kleinen Betrag ab? Es wird glatt übersehen, daß wir hier am Boden direkte Aufklärung betreiben und die Bevölkerung einstimmen auf bestehende Gefahrensituationen.
Dr. Anneliese Sendler: Ja, meine lieben Zuschauer, ein Blick auf unsere Uhr sagt uns, daß unsere Zeit um ist …
Renate Meusel. Sprecherin der Friedensinitiative ›Diplomatie statt Luftkrieg‹: Sehr witzig, bemerken Sie nicht die unfreiwillige Ironie in Ihrem Satz?
Dr. Anneliese Sendler: … daß unsere Sendezeit um ist, und wir leider die recht lebhaft gewordene Diskussion nicht mehr fortsetzen können. Aber das ist auch gar nicht nötig, denn es sind ja unsere Zuschauer, die wir zu Gesprächen anregen wollen, und das haben wir dann heute wohl doch erreicht. Also, einen herzlichen Dank an alle Teilnehmer unserer Talkrunde, und Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, noch einen schönen Abend. Wiederschaun!
(Während der Abspann läuft, entrollt Renate Meusel ein großes Spruchband, das zwischen zwei Holzstäben befestigt ist): Wissen Sie vielleicht — im baldigen dritten Weltkrieg – – : n sicheres Eckchen ? ?
(Arno Schmidt, 1957)