Streets full of people, all alone
Roads full of houses, never home
Church full of singing, out of tune
Everyone’s gone to the moon
(Jonathan King: Everyone’s gone to the moon, 1965)

Der indische Staatspräsident schwenkte ein indisches Fähnchen und rief den versammelten Medien der Welt zu: »India is now on the Moon. We have reached where no other country could.« Die indische Raumsonde ›Chandrayaan-3‹ hatte kurz zuvor auf einer bisher wenig erforschten Gegend des Mondes sicher aufgesetzt. Weltraumflüge sind kostspielige Transaktionen des weltweiten Nationalismus. Vor Indien gelang es nur den USA, der UdSSR und China, auf dem Mond zu landen. Man spricht in Medienkreisen von einem ›Elite-Club‹. Natürlich sind weder Indien noch die anderen genannten Staaten wirklich auf dem Mond, sie erheben jedoch unmißverständlich kommerzielle und politische Ansprüche auf dieses extraterristrische Terrain. Die Lebensbedingungen in diesen Staaten zu verbessern, ist für die politischen Entscheidungsträger weniger wichtig als solche Prestigeprojekte, die zugleich dem nationalen Narzißmus huldigen. Ausgerechnet Indien, in dem es sehr viele Menschen und nicht so viele Möglichkeiten gibt, ein menschenwürdiges Dasein zu fristen, ist auf dem Mond. Im April 2021 las man, daß wohlhabende indische Familien fünfzigtausend Euro für ein Charterflugzeug bezahlten, nicht um bis zum Mond zu fliegen, aber um ihr Land schnellstens zu verlassen, auf der Flucht vor dem Corona-Virus. Die damals auf dem Markt angebotenen Impfstoffe überstiegen die 2000 Rupien (22,15 €), die ein Inder auf dem Land im Durchschnitt verdient, bei weitem.

Der indische Staatspräsident aber schwadroniert im August 2023 über Indiens Staatsziele: »The sky is not the limit.« Indien verfolgt damit das Konzept, anderen Staaten, die nicht die enormen Startkosten vorschießen können, Wege in den Weltraum zu bereiten. Der globale Markt für Weltraumstarts ist ein Milliardengeschäft. 2023 belief sich der Etat auf 9 Milliarden US-Dollar, im Jahr 2030 sollen es zwanzig Milliarden US-Dollar sein. Und alles zielt ab auf eine Rückkehr zum Mond.

1979 kam der elfte Film aus der James Bond-Serie, ›Moonraker‹, in die Kinos. Die Titelsequenz zeigt ein wiederkehrendes Bild des Mondes, davor schweben Silhouetten von Frauenkörpern schwerelos im Weltraum. Das war eine für sehr viel Geld produzierte Illusion, die durch den ganzen Film erhalten wurde und bei der man keinen special effect scheute: Für die Kulissen der Raumstation gab die Produktionsfirma fünfhunderttausend US-Dollar aus und für den Sprengstoff, der zu den dramatischen Explosionen im Film gebraucht wurde, zwanzigtausend US-Dollar. Winzige Beträge im Vergleich zu dem, was die sogenannten Weltraum-Nationen für ihre bisherigen Himmelfahrtskommandos verpulvert haben. Man kann sich den Film im Kino oder zuhause per Stream oder digitaler Kopie immer wieder ansehen und teilhaben an der elektronisch erzeugten Weltraum-Illusion, man sitzt selber im Raumschiff und schwebt durch einen imaginären Raum. Schwarzer Samt im Wert von sechzigtausend US-Dollar wurde verwendet, um die im Weltall spielenden Szenen aufzunehmen. So schön und sanft und resourcenschonend kann die Raumfahrt sein. Man erlebt einen Schiffbruch mit Zuschauer, und ganz unverletzt geht man aus dem Spielwerk der cinematographischen Illusionsbühne wieder hervor. Anders als der moderne Ikarus, der in seiner Rakete sitzt und damit rechnen muß, daß sie schon kurz nach dem Start explodiert (sieben Astronauten starben am 28. Januar 1986 kurz nach dem Start des ›Space Shuttle Challenger OV-099‹), hingegen ist man als Zuschauer von ›Moonraker‹ sicher. Kein Übermut verleitet uns dazu, höher der Sonne entgegenzufliegen, um das Risiko des Absturzes einzugehen, keine Strafe der Götter ereilt uns für den Griff nach den Sternen, nach Sonne und Mond.

1865 erschien der Science-Fiction-Roman ›De la Terre à la Lune‹ von Jules Verne, 1870 folgte die Fortsetzung ›Autour de la Lune‹. Statt einer Rakete wird eine Kanone eingesetzt. Ein ›Kanonenclub‹ in Baltimore, dessen Mitglieder den Club während des Sezessionskrieges gegründet hatten, fühlt sich nach dem Ende des Bürgerkrieges nicht ausgelastet und so plant man einen neuen Krieg, damit neu entwickelte Waffen zum Einsatz kommen können. Für die Finanzierung sammelt man Geld in der ganzen Welt. Das abgefeuerte Geschoß landet nicht auf dem Mond, es umkreist ihn in einer Umlaufbahn. Jules Verne schrieb diese Romane, die manche Details der hundert Jahre später (1969) erst stattfindenden Mondlandung vorwegnahmen, auch mit der Absicht, den damals in den USA grassierenden Kanonenwahn zu persiflieren. In ›Autour de la Lune‹ kreisen die in das Geschoß eingeschlossenen drei Personen um den Mond und können aufgrund technischen Versagens nicht auf dem Mond landen; da die Umlaufbahn die Form einer Ellipse angenommen hat, gelingt es ihnen aber schließlich, zur Erde zurückzukehren.

Am 20. Juli 1969 setzte eine Landesonde der ›Apollo 11‹-Rakete auf dem Mond auf. Die beiden amerikanischen Astronauten hißten ihre National-Flagge und legten einen Gedenkstein nieder, auf dem zu lesen ist: »Hier betraten Menschen vom Planeten Erde zum ersten Mal den Mond, 1969 A.D. Wir kamen in Frieden für die gesamte Menschheit.«

Nun ist die Zeit erreicht, daß man mit indischen Billigfliegern dem Mond die friedliche Absicht der Menschheit mit einer Unzahl von weiteren Mondflügen nachhaltig zur Kenntnis bringt.