Und es war doch Krieg, nur zu dem waren wir eingetreten;
wenn es so weiter ging, wurden wir erst nach Monaten kriegstüchtig.
(
Ulrich Wilamowitz-Moellendorff: Erinnerungen 1848–1914, 1928)

(An einem Waldrand sieht man zehn Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren mit Holzgewehren herumlaufen. Alle tragen Fahrradschutzhelme, an denen Zweige mit frischem Grün angebracht sind. Ihre Gesichter sind erdverschmiert. In einem grünen Trainingsanzug aus Ballonseide steht Heinz-Rüdiger Wolfmann mit Trillerpfeife und gibt seine Anweisungen.)

Heinz-Rüdiger Wolfmann: Ja, Herrschaftszeiten! Kinder, nun aber mal mit Volldampf voraus, keine Müdigkeit vorschützen! Tüchtig durchatmen und hopplahopp! (Spricht zur Seite zu einem imaginären Zuhörer) Wissen Sie, man hat schon seine liebe Not mit diese Kinder, obwohl sie willig und bereit sind. Sie haben auch einmal viel zu lange vorm Fernseher oder an ihren tragbaren Telefonen herum amorphelt, das geht enorm auf die Physis. Schlappe Gesellen sind’s halt. Ich beschuldige sie nicht, da sind die Eltern, die Lehrer, da ist die ganze Gesellschaft schuld, daß sie so versumpft sind. Die Verweichlichung schreitet munter voran. Das deutsche Kind ist nicht kriegstüchtig. Nein, nein, mißverstehen Sie mich jetzt nicht. Kriegstüchtig heißt ja nicht, daß wir jetzt die Kinder direkt in den Krieg schicken wollen, nein, nein, aber bereit müßten sie halt sein, wenn’s mal wieder soweit ist. Und alle Zeichen sind darauf eingestellt. Gerade jetzt hat das unser Kriegs…Verteidigungsminister ganz deutlich gesagt: Wir müssen kriegsfähig und kriegstüchtig sein. Das ist natürlich nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen. Wenn man schon einmal auf einem Truppenübungsplatz gewesen ist, dann weiß man auch, daß da die freie Rede gilt. Da sagt dann schon mal der Ausbilder zu den ukrainischen Soldaten, die für den Leopard 2 fit gemacht werden sollen, dem dabeistehenden Journalisten, es gebe »eine hohe Motivation, die Kameraden wirklich kriegstüchtig zu machen«. Der Neuling im Ministeramt schnappt so etwas gern auf, er muß sich ja vor der Öffentlichkeit beweisen. Und der neue Verteidigungsminister apportiert gern, so schätze ich ihn ein.  Mein Beitrag in dieser Sache baut von ganz unten auf. Für die Kinder ist es auch amal was anderes als Bockspringen in der Turnstunde. Es schadet ja nichts, wenn die Kinder ein bissel Sport treiben, gell, ein wenig Wehrsport in der Gruppe, das schließt auch gefühlsmäßig fester zusammen, das gibt einen Zusammenhalt, den Tik Tok oder wer eben nicht offerieren kann. Sehen Sie, es ist doch so: der deutsche Bürger und seine Frau sind nun einmal in all den Jahren der Nachkriegszeit weichgeklopft worden durch die zivilen Medien und die Zivilpolitiker. Man hat auch vom ewigen Frieden gesprochen. Ja, schön wär’s ja, wenn er käme und dabliebe. Nur tut er uns den Gefallen nicht. Und seit nun in der Ukraine und in Israel die Waffen sprechen, müssen wir im friedlichen Westen uns Gedanken darüber machen, wie es weitergehen soll mit dem Frieden, wenn der böse Nachbar uns den nicht lassen will. Ich meine ja nicht, daß man direkt zum Krieg rüsten sollte, das nicht, aber so ein bißchen Kriegsvorbereitung täte uns doch schon ganz gut, denn der Nachbar schläft nicht. Das kommt eben davon, daß man in der Bundesrepublik Deutschland die militärischen Tugenden geradezu verteufelt hat, daß man jemanden, der bereit war, für sein Land mit der Waffe in der Hand dieses zu verteidigen gegen den äußeren Feind, beschimpft und beleidigt hat. Das rächt sich nun. Deswegen habe ich in Eigeninitiative mich in der Nachbarschaft umgehört und an den Haustüren geklingelt, praktisch Klinken geputzt und die Nachbarsfamilien, also die mit Kindern, gefragt, ob sie nicht aus aktuellem Anlaß am Beitritt zu einer Wehrsportgruppe interessiert sind. Und Sie glauben gar nicht, wie die Reaktionen waren. Natürlich, es gab schon eine Handvoll von Unverbesserlichen, die den Frieden mit den Löffeln gefressen haben und bei denen war jede Anfrage von vornherein sinnlos. Aber nun schauen Sie, da habe ich doch eine ganz ansehnliche Truppe zusammentrommeln können. Zehn Stück! Immerhin. Das ist ein Anfang. Ich gehe aber davon aus, daß das hier einen Schneeballeffekt haben wird. Sie werden sehen, wenn Sie in einem Monat, so in der schönsten Vorweihnachtszeit, wieder vorbeischauen, da werden Sie die Augen reiben was die Zahl der Kinder in meiner Wehrsportgruppe angeht. Wir sind bereit. Ich habe auch schon von einigen der Frauen aus der Nachbarschaft die Response bekommen, daß sie kleine Uniformen für die Kinder nähen wollen, da sehen Sie, es geht schon einiges, wenn man nur will. Das Militärische ist doch in vielen Ländern der Erde ein wesentlicher Bezugspunkt einer Gesellschaftsordnung. Und muß es auch sein. In der Natur werden Sie keine Pflanze und kein Tier finden, das nicht mit Abwehrwaffen ausgestattet ist. Fahnenappell und Schießübungen sind bei uns Menschen die natürliche Reaktion auf die Anstöße, die aus der feindlichen Umwelt kommen. Und deshalb stimme ich in diesem Punkt auch mit unserem Minister, der für das Militärische zuständig ist, vollkommen überein, auch wenn ich seine Partei selbstverständlich nicht schätze. Wenn er sagt, was in dreißig Jahren »verbockt« worden ist, das sei in den bisherigen neunzehn Monaten seiner Amtszeit nicht wieder aufzuholen, so hat er recht damit, allerdings verstehe ich seine Zeitrechnung nicht ganz, denn dreißig Jahre von heute zurückgerechnet, das ergibt doch erst das Jahr 1993, und wieso soll erst ab da alles den Bach heruntergegangen sein? Sicher, wir konnten gleich nach dem Krieg nicht wieder damit rechnen, daß die Alliierten uns eine neue Wehrmacht geschenkt hätten, aber es hat dann doch nur ein paar Jährchen gedauert bis es dann eine Bundeswehr gegeben hat.  Aber wissen Sie, was mir am besten daran gefällt: Wie damit doch die Last der Geschichte von uns genommen wird, wie man gleichberechtigt mit den anderen Nationen, die einen Stolz auf ihr Land haben, marschieren kann, im guten Gefühl, ein anerkannter Waffenbruder unter gleichgesinnten Waffenbrüdern zu sein. Und dann ist es auch mit der bloßen Ausstattung mit moderner Waffentechnologie nicht getan, das ist ein Denkfehler, den viele machen, sondern ein Krieg wird doch im Kopf entschieden, da fängt es doch an und da endet es auch. Mental muß es klappen, sonst kann man gleich zuhause bleiben. Hierfür leiste ich hier vor Ort meinen bescheidenen Beitrag. Und natürlich kommen dann sofort diese Neunmalklugen, die mir vorwerfen, ich würde die Kinder ›militarisieren‹. Ah, geh! Die haben einfach nicht verstanden, was so ein Wort wie ›kriegstüchtig‹ bedeutet. Keine blasse Ahnung, diese Friedensspinner! Wenn ich auf dem Oktoberfest im Wettbewerb mit meinen anderen Mittrinkkombattanten eine Maß nach der anderen weghaue, dann gewinnt am Ende doch nur derjenige, der vorher in langen Jahren der Praxis das Maßstemmen geübt, also sich praktisch ertüchtigt hat. Das kommt doch nicht von allein. Ich sehe doch jedes Jahr auf dem Oktoberfest diese hereingeschneiten Ausländer, wie sie versuchen, eine Maß Bier auszutrinken. Shocking! Nein, da vergeht einem der Appetit und die Lebensfreude obendrein. Es bleibt dann auch nicht aus, da können Sie die Uhr danach stellen, wie dann bald der Sanitäter auftaucht und die trinkunfesten Ausländer auf einer Bahre aus dem Bierzelt herausschafft. Sie hatten eben keine Übung, sie waren nicht krug-tüchtig, wenn ich das amal so sagen darf, hähä. Ja, nun muß ich mich aber wieder um meine Kriegskinder kümmern, sonst zieht der Ungeist des Zivilischen bald herein. (Wendet sich ab und schreit in die Kindergruppe) Achtung! Gewehr bei Fuß! Augen links! Und geradeaus, marschiert! Eins, zwei, drei, ein Lied!