Wir haben uns einem schwimmenden Palast eingebaut und in ihm alle Herrlichkeit aufgespeichert, die der Geist zu schaffen vermag. So hausen wir, bis Sturm das Element aufbäumt und die Welt verschlingt. Unser Schiff ist die Welt und alle Ordnung der Welt läßt sich am Schiff studieren. Es gibt drei Schiffs-Etagen und drei Menschenklassen. Diejenige, die bezahlen kann, diejenige, die eben noch bezahlen kann, diejenige, die nicht bezahlen kann. Götter, Bürger und Lumpe. (Theodor Lessing: Leben auf dem Schiff, 1931)

Der schweizerische Waffenhändler Kuno Raeber steht auf seiner Super-Yacht in Monaco und empfängt einen Journalisten, der eine ›Home-Story‹ über ihn schreiben will:

Ja, Gruezi, mein Verehrtester! Willkommen auf meinem bescheidenen Anwesen. Oder wie Gert ›Goldfinger‹ Fröbe zu Sean ›007‹ Connery einst sagte: ›Willkommen auf meinem Gestüt, Mr. Bond‹. Haha, Spaß muß sein. Bitte, setzen Sie sich doch, aber entledigen Sie sich vorher Ihrer Straßenschuhe, wir haben hier eine Auswahl an rutschfesten Bootsschuhen in allen Größen, selbstverständlich fabrikneu. (Aus dem Schiffsinneren dröhnt ›I’m your Boogie Man‹. Herr Raeber verzieht das Gesicht und schreit nach unten:) Jean-Claude, nun gib a mal a Ruh, sei stad, der Papa hat Besuch und will sich unterhalten. (Augenblicklich verstummt das Disco-Gedröhne.) Sehen Sie, das ist mein Sohn aus dritter Ehe. Meine Frau ist Münchnerin und wir haben mit Jean-Claude vereinbart, daß, wenn ich auf bayerisch einen Befehl gebe, unbedingter Gehorsam erwartet wird, denn sonst kracht es ganz gewaltig. Aber nun greifen Sie nur zu, meine Küchenmannschaft hat Shepard’s Pie vorbereitet, und hier kommt auch schon eine Flasche Krug! Ich habe darauf geachtet, daß nicht die billige Version, der ›Grande Cuvée 170ème Édition‹ auf den Tisch kommt, der kommt mich schließlich 270 € pro Flasche, nein, wir haben es hier mit einem Krug Grande Cuvée 171ème Édition‹ zu tun, der mit 1.550.00 € zu Buche schlägt. Ich hätte ihnen natürlich auch einen Krug ›Clos du Mesnil 2008‹ servieren können, aber mit 4. 550. 00 € die Flasche wäre das doch dem Anlaß nicht ganz angemessen gewesen. Denn wenn ich Ihnen den eingeschenkt hätte, da können Sie Gift drauf nehmen, würde sich das ganz schnell herumsprechen, und solche Leute wie David Geffen wären dann beleidigt, daß ein Herr von der Presse so einen Spitzenchampagner bekommt und er, Geffen, vielleicht beim nächsten Empfang bemerkt, daß ich ihm nur den Krug ›Clos d’Ambonnay 2002‹ zum Preis von 3.790.00 € die Flasche offeriert hätte. Meine Yacht-Freunde sind da sehr empfindlich und schätzen es gar nicht, wenn man die Klassenunterschiede so einebnet. Na, nichts für ungut! Cheerio! (Hebt ein Champagnerglas und nimmt einen Schluck.) Warum erwähnte ich die Preise? Natürlich nicht, um als Angeber zu gelten, wo denken Sie hin. Doch wenn man aus Versehen manchmal die falschen Gäste an Bord hat, und das ist schon vorgekommen, dann ist man doch immer wieder entsetzt, wie selbst Mitglieder der ›Happy Few‹ sich daneben benehmen und zum Beispiel ein Glas Krug in einem Zug hinunterstürzen als handele es sich um ein Glas Wasser. Solche Figuren wie dieser Neureiche aus den USA, der vor kurzem diesen ›Twitter‹ käuflich erworben hat, der trinkt doch tatsächlich am liebsten eine Cola aus der Flasche. Da muß man dann vom Untergang des Abendlandes auch nicht weiter sprechen. Den werden Sie hier niemals sehen, das werde ich nicht zulassen, daß solche Typen unser mühsam erschaffenes kulturelles Niveau mit einem Schlag kaputtmachen. Hingegen habe ich nur gute Erinnerungen an Tom Wolfe, kennen Sie den? ja?, mit seinem berühmten Roman ›The Bonfire of the Vanities‹, 1987 erschienen. Wie er sich schon immer elegant gekleidet hat, ganz in Weiß, und wie er sich ausdrücken konnte, und wie witzig er sein konnte, er ist ja bedauerlicherweise im Jahre 2018 von uns gegangen. Selbst die ägyptischen Huren mit ihren beschränkten Englischkenntnissen, die ich damals habe einfliegen lassen, haben sich ausgeschüttet vor Lachen, wenn er seinen urbanen New Yorker Humor hat spielen lassen. Großartig! Meine Gäste damals haben das nicht durchweg geschätzt, aber sie waren ja auch meistenteils wegen der eingeflogenen Huren gekommen, das bekommt man, muß ich auch zugeben, nicht alle Tage geboten. Das war ein tolles Sonderangebot (zwanzig Frauen zum Preis von fünfzehn) eines menschlichen Waffenhändlers aus Kairo, also menschlich insofern, als er auch mit Menschen gehandelt hat. Es waren auch welche aus dem Libanon und Syrien dabei, also diese hellbraune zarte Haut, die diese Mädchen hatten, unbeschreiblich. Selbst das zarteste Carpaccio konnte dagegen nicht ankommen. Da hat es dann aber einige Gäste gegeben, die wollten wissen: Woher kommt das Fleisch? Nein, nicht das vom Carpaccio, die Mädels aus Kairo waren gemeint. Wissen Sie, das war die Zeit, wo der Rinderwahnsinn wütete und es gab einige ganz Ängstliche, die wollten sich mit unseren kostenlosen Huren nicht einlassen, bevor man ihnen nicht ein Zertifikat vorgelegt hat, in dem bestätigt wird, daß sie alle dreifach geimpft und durchgecheckt worden sind. Ein Theater, kann ich ihnen sagen, am liebsten hätte ich diese Feinschmecker über Bord geworfen. Ja, und dann hat auch mein alter Freund Adnan Khashoggi immer wieder mal vorbeigeschaut, er lag damals mit seinen beiden Yachten ›Nabila‹ und ›Khalidia‹ in der Marina von Marbella. Das waren noch Zeiten, diese achtziger Jahre, die kommen nicht wieder. Was haben wir da für Partys gefeiert. Enorm! Geld spielte keine Rolle. Bei Khashoggi ohnehin nicht und niemals. Der wußte zu leben. Der nahm viel Geld ein, gab aber auch viel Geld aus. Man kann es ja nicht mitnehmen, wenn man abgeht. Man sprach damals von ihm als dem ›Großen Gatsby des mittleren Ostens‹. So attraktiv wie die männliche Hauptfigur in dem Roman (und der Verfilmung) von Fitzgerald war er sicher nicht, aber das kümmerte niemanden, denn Geld, vor allem sehr viel Geld ist ein Aphrodisiakum. Das können Sie mir glauben. Der gab eine zeitlang täglich 250.000 amerikanische Dollar aus. Das kann Otto Normalverbraucher nicht verstehen, aber das ist eben das Schöne an der grenzenlosen Verschwendung, man nimmt auf sein Geld keine Rücksicht. Money to burn, sagen die Amerikaner. Das war seine Lebenseinstellung. Was sagen Sie? Ich soll etwas über meine Yacht erzählen? Ja, dann also: Die Durchschnittsgröße einer heute gängigen Yacht beträgt 500 feet, das sind zirka 152,5 Meter. Meine ist in etwa so groß wie die von David Geffen, also 454 feet lang, aber Jeff Bezos hatte mal eine Yacht in Auftrag gegeben, die so mächtig wurde, daß die Stadt Rotterdam eine Brücke hätte auseinandernehmen müssen, damit die Yacht ins offene Meer hätte passieren können. Wie Sie sich vorstellen können, gab es in Holland ein riesiges Geschrei. Aber so ist das mit einer Yacht, oder besser sollte man solche Schiffe, die so lang und so gewaltig aussehen, Super-Yachten oder Giga-Yachten nennen. L. O. A. ist das Codewort — Length Over All. Sie glauben gar nicht, wie aufmerksam die Besitzer solcher Yachten darauf schauen, wie lang die neu vom Stapel gelaufene Yacht ist und wer der neue Besitzer ist. Früher konkurrierten die Milliardäre der Welt dadurch, daß sie immer größere Anwesen kauften und immer größere und luxuriösere Bauten darauf errichten ließen. Einigen Exzentrikern war das nicht genug, die wollten hoch hinaus, und ließen sich kleine Raumschiffe bauen, mit denen sie ins All flogen. Seit der Pandemie ist die Super-Yacht das Non Plus Ultra, wenn es darum geht, zwischen den Super-Reichen zu entscheiden, wer das längste Boot hat. You ain’t seen nothing yet. Ein Evolutionsbiologe hat mir einmal erzählt, das sei doch wie bei den Grünen Meerkatzen. Die verfügen über einen intensiv roten Penis, der sich von einem leuchtend blauen Hodensack abhebt. Wenn eine Gruppe von Grünen Meerkatzen zusammensitzt und etwas verzehrt, setzen sich einige der Männchen etwas abseits mit gespreizten Beinen auf den Boden. Sobald ein fremder Affe auftaucht, bekommen die Wächter eine Erektion und schauen den Fremden dabei drohend an. Wenn ich diese Geschichte auf unseren Yacht-Partys manchmal erzähle, biegen sich die Leute vor Lachen, aber natürlich sind sie von diesem Vergleich nur peinlich berührt, denn sie erkennen die Parallele nicht, wollen es auch nicht. Selbsterkenntnis ist reichen Leuten meistens vollständig verwehrt. Aber wozu auch, brauchen sie das denn, wo sie doch so viel Geld haben? Es gibt doch diesen Spruch: ›The rich are different. Yes, they have more money‹. Und wissen Sie, was mein alter Kumpel Truman Capote darauf erwidert hat, als ich ihm das zitierte? »Nein, nein. Der wahre Unterschied zwischen reichen Leuten und normalen Leuten ist, daß die Reichen so phantastisches Gemüse servieren lassen. Köstliche, winzig kleine Feldfrüchte. Frischgeborene Kleinigkeiten, kaum eben aus der Erde. Winziger Baby-Mais, winzige Erbsen-Babys, winzige Lämmchen, eben aus dem Mutterleib gerissen. Das ist der wahre Unterschied. All ihr Gemüse und ihre Fleischspeisen, die sind so unglaublich frisch und noch ungeboren.« Tja, das war unser Truman, wie schade, daß er so früh gestorben ist, und wie schade, daß ich nicht an seinem ›Black & White‹-Ball‹, 1965, im New Yorker ›Plaza‹ teilnehmen konnte, dazu war ich damals noch zu jung. Was sagen Sie? Sie wollen wissen, ob ich schon einmal von Veblen gehört habe? Vom demonstrativen Konsum? Ein alter Hut. Das lesen nur Leute, die neidisch sind und eigentlich selbst gern viel Geld hätten. Sehen Sie, David Geffen ist schon lange aus dem Musikgeschäft heraus, er müßte eigentlich nicht mehr mit seiner Yacht herumkurven, aber er macht es, um weiter mit den Machteliten der Welt in Kontakt zu bleiben, und das erreicht man nur, wenn man Zugang zu ihnen bekommt. Und wie bekommt man Zugang zu ihnen? Nun, indem man beispielsweise Leute aus Politik und Showbusiness auf einen Cruise einlädt und so auch verschiedene Leute aus unterschiedlichen Gesellschaftssphären zusammenbringt. Only connect, heißt es bei E. M.  Forster. Der reiche Landedelmann, der auf seinen weitläufigen Besitzungen tagein tagaus sitzt, sommers wie winters, das mag es vereinzelt noch geben, aber so sieht nicht die Zukunft aus.  Am besten lebt es sich immer noch in Monaco. Wußten Sie daß man, um ein Konto bei einer monegassischen Bank zu eröffnen, eine Mindesteinlage von 100.000 US-Dollar einzahlen muß? Ich muß sagen, das beruhigt mich doch sehr, denn so werden auf ganz sanfte Weise Menschengruppen aus dem Staat herausgehalten, die hier einfach nicht hingehören. Man muß mobil sein und das geht am besten und vor allem komfortabelsten mit einer schönen Yacht, die in der Marina von Monaco vor Anker liegt. Wenn es einem irgendwo nicht gefällt oder man Sylvester Stallone zum Nachbarn hat, der jede Woche eine laute Party schmeißt und nachts sein Anwesen mit einer Flutlichtanlage taghell bestrahlen läßt, so daß man kein Auge zubekommt, ja, dann heißt es einfach: Leinen los! Und schon segelt man mit Volldampf voraus neuen Ländern und Taten entgegen. So! Die Zeit ist um. Ich muß mich unter Deck begeben und nach dem rechten sehen und hoffen, daß mein Sohn nicht alles kurz und klein geschlagen hat. Er bekommt an Deck manchmal einen See-Koller. Aber das legt sich wieder. Es ist alles nur eine Frage der Gewöhnung. Merci vielmals for your attention! Bon soir, ciao ciao, auf Wiedersehen!