Dr M schrieb am Montag, 4. Juni 2018:
Henry war begeistert. Die gut gefüllte Blues Garage war begeistert. Warum schreibt dann niemand über die fabelhaft gute Marcus King Band? Ich bin nicht der Chefkommentator des Gästebuchs. Ich erhalte kein Freigetränk und keinen freien Eintritt für meine Gedanken. Ich empfinde meine Einträge ins Gästebuch als Dank an die Gastgeber, so wie man zu einer Party ein Gastgeschenk, eine Flasche Wein oder ähnliches, mitbringt oder wenigstens hinterher anruft und sich für den schönen Abend bedankt. So! Dann werden wir mal loslegen: Marcus King ist ein Singvogel der besonderen Art. Er hat die Stimme einer sehnsüchtigen Krähe, die aus der Tiefe einer einsamen Seele um Liebe und Anerkennung fleht. Ein dicklicher kleiner Junge aus Greenville, South Carolina, schreibt einen Song über Selbsthaß und spürt, daß Musik die beste Therapie für ihn ist. »Die Gitarre war schon immer mein bester Freund.« Und mit Herz- und Weltschmerz während der Pubertät sind dann die besten Bedingungen für eine schier explodierende Kreativität gegeben. Aber: »Wenn ich inmitten vieler Menschen bin, macht mir das Angst.« Erst auf der Bühne verliert sich diese Beklemmung, denn Künstlermut überwindet alles, und fachkundig spricht er über seine elektronischen Helferlein: »Ich nutze den Ibanez TS-9 Tube Screamer weniger als Overdrive-Effekt, sondern um meinen Amp anzublasen. Ich reiße den Amp komplett auf, drehe aber das Level am TS-9 runter auf etwa nur 7 Uhr. So bekomme ich einen druckvollen Sound, der auch in kleinen Clubs gut funktioniert.« Und das wird jeder der am vergangenen Freitag in der Garage Anwesenden bestätigen können. Es wurde manchmal aber auch ein Richard Wagnerischer Klangteppich ausgebreitet, und man versuchte dann vergeblich, die Gesangsstimme oder einzelne Instrumente zu unterscheiden. Dafür hörte man mehrfach schöne Soli von Dean Mitchell (Saxophone, Flute) und Justin Johnson (Trumpet, Trombone, Tambourine), und auch Matt Jennings (Keyboards, Organ) switchte munter zwischen den beiden Tastenapparaten hin und her. Jack Ryan (drums) bot das dem Schlagzeuger obligat zustehende Solo, und ich mußte an die schöne Verteidigungsrede von Roy Burns (1935–2018) denken, der vor einem Monat gestorben ist. https://www.moderndrummer.com/article/may-1981-concepts-drum-solos/. Das coolste Mitglied der Band war Baß-Spieler Stephen Campbell, der den Herzrhythmus der Show mit seinem Anschlag in Gang hielt. Es war eine Ensemble-Leistung, nicht die Show eines einzelnen. Und das Repertoire der jungen Band ist beachtlich. Im ›Live Music Archive‹ (San Francisco, online) kann man 146 Livekonzerte (2014 – 2018), von Tapern aufgezeichnet und mit dem Einverständnis der Band veröffentlicht, nachhören. Die Band hätte in der Garage bis in die frühen Morgenstunden spielen können und das ihnen zur Verfügung stehende Songmaterial nicht wiederholt. Warren Hayes (geb. 1960), der musikalische Mentor von Marcus King (geb. 1996), ist im Juli 2012 in der Garage mit Gov’t Mule aufgetreten; da war der Ruhm dieses ebenso genialen wie bescheidenen Gitarristen und Komponisten bereits ganz beträchtlich. Und so werden wir vielleicht auch dem jungen König aus South Carolina, bevor er weltberühmt und damit unbezahlbar wird, vielleicht vorher noch einige Male in der Blues Garage wiederbegegnen.