Im Jahr 1683 erschienen die ›Dialogues des morts‹, Autor war Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657–1757). In diesen fiktiven Gesprächen wurden Personen der Geschichte zusammengebracht, die sich während ihres Lebens niemals begegnet waren. Es gab neben Fontenelle eine ganze Reihe anderer Autoren, die dieses Konversationsspiel pflegten, so Boileau, Fénelon, Voltaire, Henry Fielding und Christoph Martin Wieland (›Gespräche im Elysium‹, 1780). Aller Vorbild war aber Lukian (um 120 v.u.Z – um 180 n.u.Z.), der neben ›Göttergesprächen‹, ›Hetärengesprächen‹, ›Meergöttergesprächen‹ auch ›Totengespräche‹ verfaßte. Hier wird diese lange Tradition fortgeführt.
Klaus Kinski meets Karl Lagerfeld
(Aus dem Hintergrund hört man lautes Schreien. »Du blödes Schwein, wo ist mein Geld?!« — »Aber Klaus, ich bin doch dein Agent und wir sind hier doch auf der Insel der Seligen, da brauchen wir alle kein Geld, wieso verstehst du das denn nicht? Du bist tot!« — »Ich hau’ dir eins in die Fresse, du dumme Sau!«. Klaus Kinski betritt ein Café, immer noch sichtlich erregt darüber, daß er ohne Geld sich zu einer Unterhaltung mit dem bereits eingetroffenen Karl Lagerfeld bereitfinden soll.)
Karl Lagerfeld: Guten Tag, Herr Kinski! Wie schön, daß Sie Zeit gefunden haben, sich mit mir hier zu treffen, wenn auch die Umstände des Ortes nicht die allervorteilhaftesten sind. (Wendet den Kopf hin und her und zuckt leicht mit den Schultern ob der nicht ganz standesgemäßen Umgebung.)
Klaus Kinski: Mmhh, ja, Hi, Mister Lagerfeld. Nice to meet you.
Karl Lagerfeld: Ich nehme an, es ging bei der Unterhaltung eben um das Honorar, habe ich recht? Na ja, wir befinden uns auf der Insel der Seligen, und bekanntlich sind die Seligen auch ohne Geld selig. Es wäre aber doch schön, wenn man etwas gezahlt bekäme, denn man weiß ja nicht, ob man es irgendwann später doch einmal braucht. Auch im Elysium bleibt die Zeit nicht stehen.
Klaus Kinski: What the fuck?! Was quasselst du mich so an? Weißt du, ich habe früher Interviews gegeben und war in Talkshows, wo diese Modera-Toren! so taten, als würden sie mich was fragen, ja? Da sagt diese Alida, Herr Kinski, warum spielen Sie bloß immer diese Bösewichte, warum wollen Sie nicht mal eine andere Rolle übernehmen. Ich verstand gar nicht, wovon sie überhaupt redete. Sie hörte gar nicht mehr auf. Klaus, sagte sie, wieso mußt du immer diese kaputten Typen spielen, Psychotiker, Mörder. Dabei hat schon Goethe gesagt, daß wir alle nur zufällig nicht Mörder geworden sind. Wir sind alle Mörder.
Karl Lagerfeld: Ja, ich kann Sie gut verstehen, dieses Leben im Lampenlicht, leicht war es nicht, aber was blieb mir übrig, wenn ich meine Klamotten gut verkaufen wollte, mußte ich da mitmachen. Anders ging es gar nicht. Ohne den Medienzirkus bist du niemand. Und dann kam das viele Geld herein durch meine Kollektionen und so habe ich mich dann darauf eben eingestellt. Und dann mußte ich mich auch gegen den Neid der Kollegen aus der Modebranche immunisieren. So hat Oscar de la Renta über mich geagt: »Karl hat beachtlichen Einfluß, weil er die Damen von der Presse mit aller Macht überzeugt hat, daß das, was er entwirft, ganz wundervoll ist«. Im Vertrauen gesagt, etwas ganz Neues habe ich auch nicht erfunden, visionäre Schöpfungen durfte man von mir nicht erwarten. Ich habe für meine Kollektionen die Traditions-Bestände ausgebeutet, immer auf der Suche nach dem noch nie Dagewesenen. Dazu habe ich alles herbeizitiert, alles zusammengemischt, es konnte gar nicht eklektisch genug sein. Ich habe den Leuten eine Karikatur meiner selbst geboten. Ich bin eine Karikatur. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, dunkle Brille, dazu Fächer und Zopf, das war für Jahrzehnte die Maskerade meines Lebens.
Klaus Kinski: Wo bin ich hier? Was faselst du denn da? Worüber reden wir eigentlich? Es geht doch um Geld, nur darum geht es. Wenn ich ein Angebot für einen Film bekommen habe, da habe ich doch nicht das Drehbuch gelesen, das habe ich meinem Agenten gegeben und habe ihm gesagt: Hole so viel Geld wie möglich heraus, ja? Die Rollen waren mir scheißegal, Hauptsache, sie brachten Geld, nur das Geld interessiert mich. Aber die Leute reden ständig von Kunst. Diese blöden Arschlöcher.
Karl Lagerfeld: Als Modedesigner mußte ich mich zu einer Maschine machen, die kalt und unbeteiligt das Leben beobachtet. Mein Innenleben geht die Leute gar nichts an. Wie Warhol hatte ich ein Credo der Oberflächlichkeit. Das bedeutet nicht, banal und seicht zu sein. Ich wußte nur, welche Macht die Mode, der Inbegriff des Oberflächlichen, des Substanzlosen, auf das tägliche Leben hat. Um das zu verkaufen, mußte ich pausenlos Konversation treiben, was mir nicht schwergefallen ist, weil ich nun mal von Hause aus eine Plaudertasche bin. Das Amüsement für die Masse der Leute bestand dann darin, daß sie immer erwartungsvoll an meinen Lippen hingen und ständig Bonmots von mir verlangten. Deshalb bin ich auch in jede Talkshow gegangen, weil das der beste Ort war, um den Käufern meiner Kollektionen zu zeigen, wie amüsant ich bin und wie perfekt ich mich selbst darzustellen vermag.
Klaus Kinski: Du gehst mir auf den Senkel mit deinem Gequatsche, was soll das hier werden, wir haben hier nicht mal Kameras, die uns aufnehmen, was soll das hier alles eigentlich. Du bist ein Pretender, das bist du.
Karl Lagerfeld: Ich hatte eine Bibliothek mit mehr als dreihunderttausend Bänden.
Klaus Kinski: Pretender!
Karl Lagerfeld: Ich habe jeden Tag zehn Bücher gelesen.
Klaus Kinski: Du hast gebrowst, die Bücher durchgeblättert. Da kommt man schnell auf zehn Stück am Tag.
Karl Lagerfeld: Marcel Proust. Ich habe Marcel Proust gelesen. Ich finde den Stil toll, aber den Inhalt finde ich nicht so toll. In Bezug auf Worte, Satzstellung und so ist das schon genial. Das Thema interessiert mich nicht, aber die Art, wie es geschrieben ist, ist genial.
Klaus Kinski: Hörst du dir eigentlich zu, wenn du was sagst?! »Ich finde den Stil toll«. Was ist das für eine Sprache, wo man den Stil als »toll« bezeichnet? Und das Thema interessiert den feinen Herrn nicht, aber das Thema ist doch dein Thema, lieber Herr Schwuchtel! Der Baron Charlus, ja, kennst du den nicht, das ist doch ein Verwandter von dir. Das ist dein Thema. Aber nein, Mister Lagerfeld steht auf Stil, auf tollen Stil, er ist scharf auf die Satzstellung, das Thema ›Sodom und Gomorra‹ interessiert ihn nicht die Bohne. Du mieser kleiner Heuchler, du!
Karl Lagerfeld: Ich denke, wir müssen doch versuchen, auf einer zivilen Ebene zu verbleiben, diese Insolenz und diese Insulte mag ich gar nicht.
Klaus Kinski: Du blöde Sau, du dumme Sau! Wen markierst du denn hier? (Aus dem Hintergrund ruft dessen Agent: »Klaus, bitte, mäßige dich doch!«) Was ist los? Du hast mich doch hier reingeritten! Was soll ich hier? Was will dieser Modefuzzi? Ich will mein Geld! Wo ist mein Geld?