Im Jahr 1683 erschienen die ›Dialogues des morts‹, Autor war Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657–1757). In diesen fiktiven Gesprächen wurden Personen der Geschichte zusammengebracht, die sich während ihres Lebens niemals begegnet waren. Es gab neben Fontenelle eine ganze Reihe anderer Autoren, die dieses Konversationsspiel pflegten, so Boileau, Fénelon, Voltaire, Henry Fielding und Christoph Martin Wieland (›Gespräche im Elysium‹, 1780). Aller Vorbild war aber Lukian (um 120 v.u.Z – um 180 n.u.Z.), der neben ›Göttergesprächen‹, ›Hetärengesprächen‹, ›Meergöttergesprächen‹ auch ›Totengespräche‹ verfaßte. Hier wird diese lange Tradition fortgeführt.

Alfred Biolek meets Hildegard von Bingen

Alfred Biolek: Mmmhh! Mmmhh! Mmmhh! (Herr Biolek kostet vom heutigen Tagesgericht, welches die Crew für ihn gekocht hat. Dabei schenkt er sich immer wieder ein Glas des ›Hausweins‹ ein und nimmt einen ordentlichen Schluck.) Ooch, da kann man sich dran gewöhnen. Ah, wunderbar! Ja, liebe Frau von Bingen, oder darf ich Hildegard sagen? Vielleicht Hilde oder Hildchen?

Hildegard von Bingen: Das konnte schon Hildegard Knef auf den Tod nicht ausstehen, und ich mag es auch nicht, wenn man mich ›Hildchen‹ nennt. Solche Anreden gab es zu meiner Zeit nicht und ich bin auch nicht gewillt, in meinem Nachleben damit anfangen zu wollen, verehrter Herr Biolek.

Alfred Biolek: Oh, das tut mir aber furchtbar leid, bitte entschuldigen Sie vielmals, das sollte keine Herabsetzung Ihrer Person sein, wir hier in Köln haben uns in unserer kleinen Gemeinde einen sehr lockeren Umgangston angewöhnt.

Hildegard von Bingen: In Köln? Wissen Sie nicht, wo wir uns befinden?! In der Unterwelt! Oder, wie manche Schriftsteller, die Dialoge mit bekannten Menschen aus der Geschichte erfanden, es euphemistisch genannt haben: im Elysium.

Alfred Biolek: Huch! Sie haben recht, ich vergesse das immer wieder. Es ist schwierig geworden, sich auf ein anderes Leben einzustellen, besonders wenn alle Welt annimmt, man sei tot.

Hildegard von Bingen: Aber Sie sind doch tot! Ich bin es sogar schon seit achthundertvierundvierzig Jahren. Sie hingegen haben sich uns erst vor zwei Jahren angeschlossen.

Alfred Biolek: Ich scheine mich immer noch in der Eingewöhnungsphase zu befinden. Doch das Essen schmeckt mir weiterhin vorzüglich.

Hildegard von Bingen: Das hört man gern. Was haben Sie denn da auf dem Herd stehen?

Alfred Biolek: Ooch, das ist nur ein ganz gewöhnliches Gericht, ich finde, man muß gar nicht so übertriebene Sachen kochen (man hört im Hintergrund die Koch-Crew lauthals lachen, denn Herr Biolek kocht niemals selbst, sondern läßt für seine Koch-Show kochen, wie seine Mitarbeiter auch die Rezepte für ihn heraussuchen), das kann was ganz Schlichtes sein, aber mit guten Zutaten natürlich. Ja, heute habe ich einen Albanischen Hammeltopf vorbereitet, da kommt auch hundertundfünfzig Milliliter Rotwein daran, aber ich messe da nie so genau nach (schnappt sich die vor ihm stehende Rotweinflasche und kippt unbedenklich Rotwein in den Topf). So! Ja, vorhin habe ich 500g mageres Lammfleisch in gulaschgroße Würfel geschnitten, das Ganze mit Butter und etwas Öl erhitzt und dann bei starker Hitze die Stücke portionsweise kurz angebraten. Es kommt dann soviel Rotwein und Wasser dazu, bis das Fleisch so eben bedeckt ist. Dann habe ich Salz, Pfeffer und Kräuter der Provence dazugetan und es ungefähr zwanzig Minuten schmoren lassen. Und eben habe ich dann noch ein klein wenig Rotwein nachgegossen. Wir müssen jetzt das Fleisch aus dem Topf nehmen und es in eine Auflaufform legen. Dann wird die stark reduzierte Restflüssigkeit dazugegeben. Wenn Sie mir eben behlflich sein könnten und saure Sahne, Joghurt und zwei Eier aus dem Kühlschrank entnehmen? Das muß nämlich nun verquirlt werden. Ja, danke schön, Frau von Bingen. Jetzt salze und pfeffere ich das und gieße es über das Lammfleisch. Dann kommt es ins vorgeheizte Rohr und ist in dreißig Minuten servierfertig.

Hildegard von Bingen: Ich esse kein Fleisch.

Alfred Biolek: Oh Gott! Was hat mir meine Crew da wieder angetan! (Blickt verbiestert in den Hintergrund und schickt böse Blicke ins Dunkle.) Das ist ja furchtbar, eine Katastrophe! Wie kann ich das nur gutmachen?! Frau von Bingen, das war ganz und gar nicht meine Absicht, Ihnen etwas vorzusetzen, was Sie nicht goutieren!

Hildegard von Bingen: Das ist nicht schlimm, ich bin von damals, so um die Jahrtausendwende, also die zwischen 1098 und 1179, ganz andere Kost gewohnt. Wir haben uns mit einfachen Suppen begnügt, so habe ich ein Rezept für eine Kürbissuppe entwickelt, oder auch viele Sorten von Keksen, wie sie heute genannt werden. Darunter auch meine berühmteste Mischung, die Galgant-Plätzchen. Es ist kaum zu glauben, wieviele Verlage heute Bücher herausbringen, auf denen mein Name steht und die als ›Hildegard-Kochbücher‹ verkauft werden. Natürlich werden mir ins Jenseits keinerlei Nachdruckhonorare überwiesen. Aber damit muß man sich abfinden, hier im Elysium gelten ohnehin ganz andere Gesetze.

Alfred Biolek: Ich habe auch mehrere Kochbücher geschrieben (Lachen der Crew aus dem Hintergrund), das erste heißt ›Die Rezepte meines Lebens‹, dem ist ein weiterer Band gefolgt mit dem Titel ›Meine neuen Rezepte‹. Eine Autobiographie habe ich auch geschrieben, ›Bio. Mein Leben‹, dabei hat mir Veit Schmidinger ein bißchen geholfen (Lachen aus dem Hintergrund). Tja, und dann bin ich auch im deutschen Fernsehen präsent gewesen mit meinen Sendungen ›Bio’s Bahnhof‹, ›Boulevard Bio‹ und ›Alfredissimo‹.

Hildegard von Bingen: Ich habe schon davon gehört, daß man sich im 20. Jahrhundert nicht mit einem Medium begnügt hat, man mußte überall zugegen sein. Darüber haben wir damals noch nicht verfügt. Allerdings habe ich tatsächlich auch eine Autobiographie verfaßt, sie trägt den Titel ›Scivias‹, das heißt auf deutsch: ›Wisse die Wege des Herrn‹. Ich beschreibe darin sechundzwanzig religiöse Visionen. »Die Lebensspeise der göttlichen Schriften ist lau geworden« konstatiere ich darin, und das Buch endet mit dem ›Tag der großen Offenbarung‹, worin sich der neue Himmel und die neue Erde ankündigen. Das ist mein bekanntestes Werk geworden, aber ich habe dem noch zwei weitere Bände folgen lassen. In allen diesen Texten geht es um die Erlösung. Dazu habe ich einen neuen Begriff gebildet, die ›Viriditas‹, abgeleitet von ›viridis‹, grün. Das ist eine Grundkraft, die in der ganzen Natur vorkommt. Diese ist die Basis aller Heilung. So bin ich dann auch darauf gekommen, Speisen zu entwickeln, die dem Menschen wohltun, zum Beispiel Dinkelflocken mit Flohsamen, Galgant, Zimt und Apfel. Ich habe mich aber auch in vielen Dingen geirrt, so habe ich die Kartoffeln und Linsen als schädlich angesehen, was ich nach heutiger Prüfung als unsinnig bewerten muß. Wir sind alle nur Kinder unserer Zeit. Wir würden viel Zeit verlieren, wenn ich alle meine Rezepte aufzählen sollte, heute reicht ein Klick ins Internet, um sehr viele davon kennenzulernen. Neben der Ernährung spielte aber natürlich das Gebet eine große Rolle für uns damals.

Alfred Biolek: Da hätten Sie hier in Köln, wo der berühmte Kölner Dom steht, heute die beste Gelegenheit.

Hildegard von Bingen: Sie scheinen sich immer noch in der Phase der Verleugnung zu befinden. Ich bedauere, in Ihren Augen zum Überbringer schlechter Nachrichten zu werden, aber: Ich bin tot und Sie sind tot. Wir sind Gespenster, die um einen Albanischen Hammeltopf herumstehen.

Alfred Biolek: Mein Gott, der Hammel muß aus dem Rohr! (Läuft zum Herd, zieht sich rasch Topfhandschuhe über und öffnet die Klappe.) Hach, das ist gerade noch Mal gutgegangen! So, dann wollen wir den Topf mal auf den Tisch stellen. Sie wollen wirklich nicht kosten? Das machen eigentlich alle meine Gäste. (Zieht einen leicht beleidigten Flunsch.) Auch nicht ein kleines bißchen?

Hildegard von Bingen: So leid es mir tut, aber davon kriege ich keinen Bissen hinunter, auch als Gespenst nicht.

Alfred Biolek: Tja, dann sollten wir uns darüber unterhalten, was die ›Hildegard- Küche‹ eigentlich ausmacht. Sie sind Ihrer Zeit doch weit voraus gewesen.

Hildegard von Bingen: Das habe ich doch gerade eben bereits ausgeführt. Sind Sie etwas vergeßlich? Außerdem weigere ich mich, auf die Küche festgelegt zu werden, ich habe noch ganz andere Dinge in die Welt gesetzt. Ich bin Komponistin, vor allem aber als Mystikerin bekannt, auch habe ich eine Geheimsprache entwickelt. Zudem habe ich ein Kloster gegründet, das heute leider nicht mehr erhalten ist. Vor kurzem hat mich Papst Benedikt XVI. zur Heiligen erklärt, na ja, dagegen kann man wohl nichts unternehmen, die Menschen benötigen anscheinend ständig Götzen, um ihr schwach entwickeltes Selbstbewußtsein daran aufzurichten.

Alfred Biolek: Ich hatte im Jahre 2002 in meiner Talkshow ›Boulevard Bio‹ Gerhard Schröder und Wladimir Putin zu Gast.

Hildegard von Bingen: Und?

Alfred Biolek: Ich wollte nur sagen: Ich hatte im Jahre 2002 in meiner Talkshow ›Boulevard Bio‹ Gerhard Schröder und Wladimir Putin zu Gast.

Hildegard von Bingen: Ist Ihnen nicht wohl? Hier, versuchen Sie mal einen meiner Nervenkekse (greift in ihre Handtasche und holt einen Plastikbeutel mit dunkelbraunen Keksen hervor).

Alfred Biolek: (beißt in einen Keks) Mmhh! Mmhh! Ja, die sind ja vorzüglich, da müssen Sie mir das Rezept dalassen, die werde ich nachbacken, obwohl ich eigentlich gar nicht gern backe, denn da muß man sich so streng an die Vorschriften halten. Ich koche lieber, da kann man improvisieren und es in allem nicht so genau nehmen.

Hildegard von Bingen: Ich bin zu meiner Zeit häufig angefeindet worden. Wenn ich gegen zu langes Beten und eine überlange Liturgie mich aussprach, oder auch was die Mahlzeiten im Kloster anbetraf, mich für eine gemischte Kost, für Fisch, Fleisch, Käse und Eier ausprach, so wurde ich von der oberen Geistlichkeit dafür gerügt. Na, und lassen sie mich gar nicht erst anfangen, wenn es um die Berechtigung einer Frau geht, in religiösen und kirchlichen Dingen mitzureden, das war vielleicht eine Ochsentour, die man durchstehen mußte. Man hat mir vorgeworfen, daß meine Gedanken »unmittelbar aus der List des Teufels entsprungen« seien. Den Teufel hat man damals gern benutzt, um jemanden fertigzumachen.

Alfred Biolek: Ogottogott! Hildegard! Das tut mir so leid! Diese Männer! Damals wie heute! Das Patriarchat war und ist eine schlimme Einrichtung.

Hildegard von Bingen: Man darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Und die Zeit wendet alle Dinge. Heute bin ich in der ganzen Welt bekannt, und die hinterhältigen Verleumder meiner Person sind als anonyme Asche in alle Winde verstreut.

Alfred Biolek: Ja, da haben Sie recht. Aber was bleibt von einem, wenn man nicht mehr ist? Das ist die Frage, die mich mein ganzes Leben umgetrieben hat. Deshalb habe ich eine Sendung nach der anderen produziert und auf alle erdenkliche Weise die Flucht in die Öffentlichkeit angetreten. Doch die Medienpräsenz ist eine flüchtige Sache. Sie bleibt nur bestehen, wenn man immer wieder neue Dinge lanciert und sich so den Leuten ins Gedächtnis gräbt.

Hildegard von Bingen: Beruhigen Sie sich, die Tatsache, daß Sie sich mit mir unterhalten dürfen, spricht doch dafür, daß Sie eine gewisse Prominenz behalten haben. Schließen wir unsere Unterhaltung mit einem Satz von mir: »Wie gewöhnliche Speisen durch den Geschmack der Gewürze in besser schmeckende verwandelt werden, so wird durch das Feuer des Heiligen Geistes die gewöhnliche Natur des Menschen in eine bessere umgewandelt.«