Im Jahr 1683 erschienen die ›Dialogues des morts‹, Autor war Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657–1757). In diesen fiktiven Gesprächen wurden Personen der Geschichte zusammengebracht, die sich während ihres Lebens niemals begegnet waren. Es gab neben Fontenelle eine ganze Reihe anderer Autoren, die dieses Konversationsspiel pflegten, so Boileau, Fénelon, Voltaire, Henry Fielding und Christoph Martin Wieland (›Gespräche im Elysium‹, 1780). Aller Vorbild war aber Lukian (um 120 v.u.Z – um 180 n.u.Z.), der neben ›Göttergesprächen‹, ›Hetärengesprächen‹, ›Meergöttergesprächen‹ auch ›Totengespräche‹ verfaßte. Hier wird diese lange Tradition fortgeführt.
Georg Christoph Lichtenberg meets Gina Lollobrigida
There’s nothing left to talk about less it’s horizontally. / We know each other mentally. / You’ve gotta know that you’re bringing out the animal in me. / Let’s get physical, physical – / I wanna get physical / let’s get physical / Let me hear your body talk. (Olivia Newton-John: Let’s Get Physical, 1981)
Georg Christoph Lichtenberg: Ja, wer sind Sie denn? Sie sind nicht Marilyn Monroe! Wie soll ich denn meine Gedanken zur »Elektrizität der Mädchen« elaborieren, wenn der Puppenspieler mir jemand anders geschickt hat?
Gina Lollobrigida: Cazzone! Pazzo! Stupido! Der ›Puppenspieler‹ hat mich nicht ›geschickt‹, ich bin doch keine prostituta! Ich bin ›La Lollo‹!
Georg Christoph Lichtenberg: Oh, Verzeihung! Ich hatte mich ganz auf Marilyn Monroe eingestellt, wissen Sie, diese Blonde aus den USA. Sie war eine große Filmschauspielerin.
Gina Lollobrigida: Ha! Das bin ich auch, aber eine wirkliche Schauspielerin, nicht so ein amerikanischer Schnepfenverschnitt. Busen ist nicht alles, obwohl davon bei mir ausreichend vorhanden ist.
Georg Christoph Lichtenberg: Das ist unverkennbar. Sehr hübsch. Bitte helfen Sie mir und sagen Sie mir ihren wirklichen Namen, denn ›La Lollo‹ ist doch sicher nur ein Kosename.
Gina Lollobrigida: Ich bin Gina Lollobrigida, italienische Filmschauspielerin, Fotografin und Bildhauerin. Geboren 1927, gestorben 2023.
Georg Christoph Lichtenberg: Ein Neuzugang, das erklärt manches. Ist nicht ein Kopfsalat nach Ihnen benannt: Lollo rosso?
Gina Lollobrigida: Jaja, und Lollo bianco. Es gibt auch eine Rose, die meinen Namen trägt, aber das sind Nebensächlichkeiten. Ich habe mein Leben der Filmkunst gewidmet. John Huston hat mit mir gedreht.
Georg Christoph Lichtenberg: Oh, den kenne ich, der hat mit Marilyn Monroe einen großartigen Film, ›Misfits‹, gemacht, der spielt in der amerikanischen Wüste.
Gina Lollobrigida: Hören Sie doch endlich auf, immer von dieser Schlampe zu reden.
Georg Christoph Lichtenberg: Ich mag sie sehr, und sie ist so früh gestorben, mit sechsunddreißig Jahren, während Sie doch immerhin fünfundneunzig Jahre alt geworden sind. Ich hatte ein junges Blumenmädchen von zwölf Jahren als meine Geliebte, mit siebzehn Jahren ist sie mir gestorben. Eine Welt ging für mich unter. Ich wollte nicht mehr weiterleben. Sie hat mich mit dem ganzen Menschengeschlecht ausgesöhnt. Aber lassen wir das. Ich hatte vor, über die »Elektrizität der Mädchen« zu sprechen.
Gina Lollobrigida: Sind Sie nicht ein bißchen zu klein für sowas?
Georg Christoph Lichtenberg: Oh, ja, ich bin klein von Größe, aber durchaus erwachsen. Mein Name ist Georg Christoph Lichtenberg. Ich war Experimentalphysiker, müssen Sie wissen.
Gina Lollobrigida: Und da haben Sie an Mädchenkörpern experimentiert?
Georg Christoph Lichtenberg: Weniger als Sie anzunehmen scheinen. Nein, ich habe zum Beispiel die Wolken beobachtet … mmhh, ja, doch, wenn Sie es so sehen wollen, Wolken geben Elektrizität ab und sie sehen bei guter Formung aus wie …
Gina Lollobrigida: Titten?
Georg Christoph Lichtenberg: Aber ja, Wolken können wie zarte Wölbungen des weiblichen Körpers aussehen. Friedrich Schiller nannte sie »Halbkugeln einer besseren Welt«. Aber der Arme hatte auch nicht viel von ihnen, so früh ist er uns gestorben.
Gina Lollobrigida: Nun erzählen Sie mir aber mal etwas mehr von sich, ich kann dabei dann gleich ein paar Fotos von Ihnen machen. (Holt aus ihrer Handtasche eine Spiegelreflexkamera heraus und richtet sie auf Lichtenberg).
Georg Christoph Lichtenberg: Was für ein schöner Apparat, sowas hatten wir damals noch nicht. Ich habe aber versucht, verschiedene mechanische Apparate zu konstruieren. Darf ich das Ding einmal in die Hand nehmen? (Gina reicht Georg den Fotoapparat, der sich blitzschnell mit dem Gerät vertraut macht.) Ich bin dann soweit, stellen Sie sich mal in Positur. (Gina steht auf und stellt sich gerade hin.) So, Baby, dann zeig’ mir mal, was du draufhast. (Der bucklige, zwergwüchsige Lichtenberg hopst herum, geht in die Knie, springt wieder auf und fuchtelt wie wild mit der Kamera) Gib’s mir, Baby! Zeig mir alles! Schieb’ deine Titten zusammen, schwing’ deine Hüften, yeah!
Gina Lollobrigida: Sind Sie nicht mehr ganz bei Trost? Ich bin doch kein zwanzigjähriges Modeflittchen, das dem Fotografen zuliebe zu allem bereit ist. Machen Sie eine schöne Porträtaufnahme von mir.
Georg Christoph Lichtenberg: Oh, Verzeihung! Ich habe in einer Modezeitschrift einmal eine Reportage über ein Fotoshooting gelesen, und da wurden solche Sätze als kennzeichnend für den Jargon am Set zitiert. Die Mannequins haben nichts dagegen gehabt und der Fotograf hat immer wieder gesagt: »mannefick, mannefick«.
Gina Lollobrigida: Magnifique, es heißt magnifique, auf Deutsch: herrlich. Französisch beherrschen Sie wohl nicht?
Georg Christoph Lichtenberg: Ein bißchen schon, aber ein bißchen Spaß mit Worten muß auch sein, finden Sie nicht?
Gina Lollobrigida: Was haben Sie außer Experimentalphysik noch mit Ihrem Leben angefangen?
Georg Christoph Lichtenberg: Ach, die meiste Zeit habe ich in Göttingen verbracht, das war ein Nest mit größtenteils geistig beschränkten Einwohnern. Und diese heimischen Professoren! Die größten Entdeckungen sind seit jeher von Dilettanten und nicht von Professoren gemacht worden. Dafür habe ich aber einen umfangreichen intellektuellen Briefwechsel mit Kollegen aus dem Ausland geführt. Ich bin auch zweimal nach London gereist und habe den englischen König kennengelernt. England war damals meine selige Insel, mein Elysium. Wie gerne wäre ich jedoch nach Italien, dieses göttliche Land gereist, aber mein Freund, mit dem ich schon alles geplant hatte, erkrankte plötzlich und ich fand dann niemanden, der mich begleiten wollte. Und allein wollte ich nicht nach Italien fahren, und so ist dieser große Lebenstraum für mich dann unerfüllt geblieben.
Gina Lollobrigida: Ich habe mein ganzes Leben in Rom verbracht.
Georg Christoph Lichtenberg: Ja, richtig, Sie sind ja Italienerin! Wie ich Sie beneide.
Gina Lollobrigida: Römerin! Wenn es Ihnen nichts ausmacht, diesen Unterschied zu würdigen.
Georg Christoph Lichtenberg: Ganz und gar nicht. Rom! Die Hauptstadt der Welt. Sind Sie eigentlich verheiratet gewesen?
Gina Lollobrigida: Oh ja, von 1949 bis 1971 war ich mit einem Arzt verheiratet, der auch mein Manager war. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor, der mich einige Jahre vor meinem Tod hat entmündigen lassen.
Georg Christoph Lichtenberg: Das tut mir leid. Mit mir ging es so im Leben weiter, daß ich nach dem frühen Tod von Maria Dorothea Stechard geheiratet habe, Margarethe Elisabeth Kellner, die mir sechs Kinder schenkte und mich um fast fünfzig Jahre überlebte. Ich hatte aber zusätzlich noch eine kleine Geliebte, Dolly, ein wilder satanischer Bettschatz, eine kleine Teufelin, und ich habe mit meiner Diavolessa noch zehn Tage vor meinem Ableben heftig kopuliert.
Gina Lollobrigida: Das war mir etwas zu sehr ins Detail gehend, aber da Sie ein Wüstling sind, muß man das wohl tolerieren. Aber gut, noch irgendetwas Bemerkenswertes aus ihrem Leben?
Georg Christoph Lichtenberg: Meine Forschungen zur Experimentalphysik sind heute natürlich alle überholt, der wissenschaftliche Fortschritt geht über alles hinweg und das muß er auch. Was dieses Jahrhundert nicht versteht, versteht das nächste. Aber meine sogenannten ›Sudelbücher‹ haben mir bleibenden Ruhm eingetragen und das war von mir gar nicht geplant. In meiner Epoche bemerkte man den Zusammenhang zwischen einem Gewitter und der Elektrizität, und die Kraft, die im geriebenen Bernstein zieht, ist dieselbe, die in den Wolken donnert. In unserem 18. Jahrhundert hat es viel geblitzt und gedonnert. Einmal wurde eine sehr schöne Frau draußen vom Blitz umgeworfen und einige wollte daraus schließen, der Blitz habe Absichten gehabt und sei deswegen von unten gekommen, weil die Weiber nur allein von unten einnähmen. Sexus Electricitatum. Der Blitzableiter müßte bei Damen zwischen ihren Schenkeln angebracht werden. Und der Pöbel hat gewiß nicht so unrecht, wenn er sich hauptsächlich an den Körper hält. Der Bauernknecht schielt nach dem Unterrock-Schlitz und sucht den Himmel dort, den andere in den Augen suchen. Den Ausdruck ›Elektrizität der Mädchen‹ habe ich in einem Brief gebraucht, als ich über meinen lieben Kollegen aus Italien, Alessandro Volta, ein Kompliment machen wollte. Er war ein schöner Kerl und verstand sich auf die Elektrizität der Mädchen. Ja, er war ein rechtes Reibezeug für die Damen.
Gina Lollobrigida: Nun gut, manche Männer bilden sich ein, ihr cazzo sei ein Wunderwerkzeug, aber ich kann Ihnen sagen, daß Größe nicht alles ist.
Georg Christoph Lichtenberg: Die wichtigsten Dinge in der Welt werden durch Röhren ausgerichtet. Dennoch besteht der Mensch doch noch aus etwas mehr als Testikeln. Das gebe ich Ihnen gerne zu. Ist die Macht der Liebe unwiderstehlich, oder kann der Reiz einer Person so stark auf uns wirken, daß wir dadurch unvermeidlich in einen elenden Zustand geraten müssen? Allein ein Mädchen sollte imstande sein, mit ihren Reizen einem Manne seine Ruhe zu rauben, daß kein anderes Vergnügen mehr Geschmack für ihn hätte. Viele Männer halten das weibliche Geschlecht für so schwach, eitel, leichtgläubig und eingebildet, daß sie alles glauben, was man ihnen sagt, sobald es die Macht ihrer Reize angeht. Diese Männer, wenn man sie anders so nennen kann, irren sich aber gar sehr. Nicht wahr, Madam? Was ich mit der Elektrizität der Mädchen bezeichnen will, das ist die Ausstrahlungskraft gewisser junger Mädchen, die mich immer schon fasziniert hat. Das kann ganz auffällig sein oder eher dezent. Alfred Hitchcock hat ja gemeint, Marilyn Monroe sei der Sexappeal ins Gesicht geschrieben, wäre also sehr aufdringlich und deshalb könne er solche Schauspielerinnen in seinen Filmen nicht gebrauchen. Das finde ich aber gerade im Fall von Marilyn Monroe ganz und gar nicht. Vielleicht hat sie nur vorgegeben, sexuell zu sein, und wer weiß, vielleicht ist das viel aufregender als der Sex selbst? So argumentiert jedenfalls Norman Mailer und er hat sie einen »charismatischen Kometen« genannt und das trifft es sehr gut. Auf einer Seefahrt nach Helgoland habe ich etwas Ähnliches erlebt. Es war das Leuchten des Seewassers. Es waren nicht etwa einzelne Funken oder schnell vorübergehende schwache Blitze, sondern der Schaum der Wellen schien völlig zu glühen. Dieses Elektrisierende erschien bei Marilyn Monroe ganz natürlich, auch wenn sie gewiß wußte, wie man mit Make-up den Gesichtsausdruck verändern kann. Und sie konnte anziehen, was sie wollte, ein Kleid ganz aus Spitze mit fleischfarbenem Crêpe de Chine unterlegt und mit Tausenden von Pailletten bestickt oder einen schlichten einteiligen Badeanzug, es sah immer gut an ihr aus und unterstrich ihren natürlichen Charme. Die unterhaltendste Fläche auf der Erde ist für uns vom menschlichen Gesicht und mit Marilyn wurde man stets gut unterhalten, sie konnte strahlen und traurig daherschauen, es wirkte nie stilisiert, es kam immer von innen aus ihr selbst heraus. Sie war im wirklichen Leben unscheinbar, aber auf der Filmleinwand kommt sie groß heraus. Es ist überwältigend. Sie war absolut fotogen, es gibt kein einziges schlechtes Foto von ihr. Das ist die Elektrizität der Mädchen, dieses Mädchens. Und hinter dieser schönen Fassade litt sie unsäglich an wiederkehrenden Depressionen, das arme Ding. Ich bin ja selbst auch nicht von trübsinnigen Stimmungen verschont geblieben. Unser Leben kann man mit einem Wintertag vergleichen, wir werden zwischen 12 und 1 des Nachts geboren, es wird 8 Uhr, ehe es Tag wird, und vor 4 des Nachmittags wird es wieder dunkel, und um 12 sterben wir.
Gina Lollobrigida: Wir Schauspieler müssen Rollen spielen, die mit unserem Leben häufig nicht übereinstimmen. In Hollywood hat man die Monroe als sexuelles Monstrum, als Witzfigur und Hüftenschwenkerin verheizt, als die Schnalle, die den Männern Sex ins Gesicht schüttet. Übrigens hat Humphrey Bogart über mich gesagt, daß ich Marilyn Monroe wie Shirley Temple aussehen lasse. 1955 habe ich einen Film gedreht, der hieß ›La donna più bella del mondo‹, und Sie können sich ausmalen, wie dieser Titel in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde. Ich wurde zur ›Sexbombe‹ deklariert. So habe ich Hollywood dann bald hinter mir gelassen und bin nur noch in europäischen Filmproduktionen aufgetreten.
Georg Christoph Lichtenberg: Sie sind wirklich eine schöne Frau und haben sich dann lange nach dem Ende Ihrer Filmkarriere weiterentwickelt. Sie sind Fotografin und Bildhauerin geworden und haben Berühmtheiten der Welt interviewt.
Gina Lollobrigida: Sie meinen das Interview mit Fidel Castro. Ja, das war ein lustiger Aufenthalt auf Cuba. Aber das ist alles schon so viele Jahre her und sehen Sie uns an, wir unterhalten uns hier im Elysium und tun so, als seien wir noch am Leben. Doch wissen Sie was, hören wir auf, in der Vergangenheit herumzustochern, lassen Sie uns in einem Lokal ausruhen von den Strapazen der Erinnerung. Ich kenne ein nettes Weinlokal, ›Zum fröhlichen Weinberg‹, das ein hier ansässiger deutscher Schriftsteller bald nach seiner Ankunft eröffnet hat.
Georg Christoph Lichtenberg: Da ist mir in London doch folgendes passiert: Da bin ich auf der Straße und ein schönes, niedlich angekleidetes Mädchen nimmt mich bei der Hand und sagt zu mir: Come, my Lord, come along, let us drink a glass together, or I’ll go with you if you please.
Gina Lollobrigida: Sie alter Schwerenöter! Wir wollen es bei einem Glas Frascati belassen.
Georg Christoph Lichtenberg: Als Alessandro Volta bei mir zu Gast in Göttingen war, fragte ich ihn, ob er das leichteste Verfahren kenne, ein Glas ohne Luftpumpe luftleer zu machen. Als er sagte, Nein, so nahm ich ein Weinglas, das voll Luft war wie alle leeren Weingläser und goß es voll Wein. Er gestand nun ein, daß es luftleer sei, und dann zeigte ich ihm das beste Verfahren, die Luft ohne Gewalt wieder zuzulassen, und trank es aus. Der Versuch mißlingt selten, wenn er gut angestellt wird. Er freute ihn nicht wenig, und er wurde von uns allen mehrmals angestellt.
Gina Lollobrigida: Andiamo, caro Giorgio! La notte è giovane.