Im Jahr 1683 erschienen die ›Dialogues des morts‹, Autor war Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657–1757). In diesen fiktiven Gesprächen wurden Personen der Geschichte zusammengebracht, die sich während ihres Lebens niemals begegnet waren. Es gab neben Fontenelle eine ganze Reihe anderer Autoren, die dieses Konversationsspiel pflegten, so Boileau, Fénelon, Voltaire, Henry Fielding und Christoph Martin Wieland (›Gespräche im Elysium‹, 1780). Aller Vorbild war aber Lukian (um 120 v.u.Z – um 180 n.u.Z.), der neben ›Göttergesprächen‹, ›Hetärengesprächen‹, ›Meergöttergesprächen‹ auch ›Totengespräche‹ verfaßte. Hier wird diese lange Tradition fortgeführt.
Miles Davis meets Gotthilf Fischer
Gotthilf Fischer (und seine Fischer-Chöre stehen auf dem Vorplatz des Plaza-Hotels und fangen an zu singen): Schön ist es auf der Welt zu sein / Wenn die Sonne scheint für groß und klein / Du kannst atmen / Du kannst gehen / Dich an allem freu’n und alles sehn / Schön ist es auf der Welt zu sein / Sagt die Biene zu dem Stachelschwein / Du und ich wir stimmen ein / Schön ist es auf der Welt zu sein.
(An einem der Fenster der obersten Etage erscheint Miles Davis, öffnet eins der Fenster und schreit herunter): Shut the fuck up, you bastards! I want to sleep! Who do you think you are, you bloody fools?
Gotthilf Fischer (ruft mit voller Stimme nach oben): Bitte entschuldigen Sie, Sir, wir sind Gotthilf Fischer und die Fischer-Chöre. Wir wollten dem hier wohnenden Komponisten Werner Twardy, der dieses Lied komponiert hat, ein Ständchen bringen.
Miles Davis: Wörner who? Who gives a fuck? You are crazy! This is dreck! Go home to where you came from. I’m a musician and I need my sleep. Beat it, punk!
Gotthilf Fischer: Sie sind ja ein Neger. Muß ich Sie kennen? Leiten Sie auch einen Chor? Gibt es Schallplatten von Ihnen?
Miles Davis: No way. That is so fresh. Well, tally me banana. You are a racist pig, that’s what you are.
Gotthilf Fischer: Aber verehrter Herr, gottbewahre, ich habe Sie doch nicht beleidigt! Neger ist die deutsche Bezeichnung für Leute aus Afrika. Das sind Menschen wie du und ich.
Miles Davis: Well, send in the clowns. You didn’t notice my American accent? I am Miles Davis. I play the trumpet und have revolutionized jazz music quite a few times.
Gotthilf Fischer: Aber ja doch, Jazz! (Singt): Ice Cream – News Cream – everybody wants Ice cream, / Rock, oh rock my baby roll / When I say Ice Cream – News Cream – everybody wants Ice cream, / Rock, oh rock my baby roll.
Miles Davis: Oh, this is nice. This is my lucky day. Just kill me now! Please, plug in! You’re talking about a kind of ›Jazz‹ that is made for people like you. You can sing this on a sunday morning at your local pub while downing several glasses of bear. God bless your guilty white ass.
Gotthilf Fischer: Ich bitte nochmals vielmals um Entschuldigung, ich bin erst seit kurzem hier und muß mich erst eingewöhnen. Es ist alles so international hier. So viele Sprachen und so viel Musik.
Miles Davis: Time is irrelevant here in the seventh circle of hell. We can do this the easy way or the hard way. Don’t poke the bear.
Gotthilf Fischer: Stellen Sie sich Ihren Ärger als einen roten Luftballon vor, der höher und höher steigt und dann hinter den Wolken verschwindet.
Miles Davis: Well, whoop-di-do! And screw, I may add, you! Maybe later we’ll try out a ›Wagner for Lovers‹-CD. What are the odds? You just bought yourself a little more time. If you let you choir stay where they are now, you can come up for a drink.
Gotthilf Fischer: Herzlichen Dank für Ihre freundliche Einladung! Dann werde ich gleich in Ihrem Apartement sein (bewegt sich in Richtung des Hotel-Eingangs).
Miles Davis (öffnet die Tür seiner Hotel-Suite und läßt Gotthilf Fischer eintreten): Welcome! Sit down. Be my guest! (Reicht ihm einen Martini-Cocktail). Tell me everything!
Gotthilf Fischer: Ich habe mein Leben der Musik gewidmet. Man nennt mich »Herr der singenden Heerscharen« und »Therapeut der wunden Seelen«. Sie dürfen nicht glauben, daß ich ein provinzieller schwäbischer Musikant bin, der nur deutsche Volkslieder singen läßt. Das haben nur meine Feinde über mich gesagt. Dabei war ich nach allen Seiten offen. So habe ich einmal ›Smoke on the water‹ dirigiert, mit 1800 Gitarristen!
Miles Davis: 1800 guitarists!? Fuck me in both ears! This isn’t music, this is sport at its worst. It’s like a bunch of young boys masturbating together all at the same time in the locker room. Have you lost it, man? This is beyond stupid. Is there any more to that story?
Gotthilf Fischer: Meine Fischer-Chöre wurden überall herzlich empfangen und wir haben den Menschen viel Freude gebracht. Es gibt ein deutsches Sprichwort: »Wo man singt, da laß dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder.«
Miles Davis: Well, you a german, aren’t you. Are there still many Nazis in Germany?
Gotthilf Fischer: Aber nein, ganz und gar nicht, wir haben sogar ein neues Wort geschaffen, das dies garantiert: Erinnerungskultur. Wissen Sie, in Deutschland muß alles mit Kultur zu tun haben, sonst wird es nicht anerkannt. Erinnerungskultur heißt, daß wir viele Denkmäler für die ermordeten Juden und andere Minderheiten haben errichten lassen, so viele, daß wir in dieser Kategorie Weltmeister geworden sind. Das macht uns keiner nach, da sind wir Spitze.
Miles Davis: Charming! I can’t believe you just said that. Well, one can see your point of view. Today is trash day. Somehow I am not surprised. Well, forgive me if I don’t throw confetti.
Gotthilf Fischer: Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich denke doch, daß ich noch nie in meinem ganzen Leben einen so arroganten Menschen getroffen habe. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ein bißchen mehr Manieren wären schon recht gut.
Miles Davis: Well, we’ve certainly cleared the air. Listen, fellow, the fact that we two are sitting next to each other is the most important fact of your miserable life anyway. Don’t you realize that?
Gotthilf Fischer: Werter Herr, ich habe mir erlaubt ebenso frank und frei zu sprechen wie Sie es sich mir gegenüber herausnehmen. Jeder auf seinem Feld, das ist meine Devise.
Miles Davis: What we’re gonna do? What we’re gonna do? What we’re gonna do? Can I ask you something? Who are you?
Gotthilf Fischer: Wie ich schon sagte, ich habe mein ganzes Leben der Musik und dem Singen von Musik gewidmet. Millionen von Menschen habe ich glücklich gemacht mit meinen Chören, Millionen meiner Schallplatten haben sich verkauft. Ich habe alles, was das Leben bietet, genossen.
Miles Davis: Your energy is inspiring. Well, we established the fact that you think you’re a musician and you’re not.
Gotthilf Fischer: Sehen Sie, da haben wir es wieder. Diese Arroganz! Diese Überheblichkeit! Ich erinnere mich jetzt sogar, daß ich Sie einmal im Fernsehen gesehen habe, da standen Sie die meiste Zeit mit dem Rücken zum Publikum. Das habe ich nie getan, ich habe mich stets meinem Publikum zugewandt und ihnen mein Gesicht gezeigt.
Miles Davis: Is that annoying you? Why do I have to look in the audience when I’m playing my trumpet? It’s the music that counts, not the person who plays it. This is the most boring conversation I’ve ever had.
Gotthilf Fischer: Alles dreht sich nur um Ihre Person, geben Sie es doch zu! Sie sind ein Narziß, wenn auch wohl ein sehr begabter Narziß.
Miles Davis: Do I care? We’re obviously dealing with an amateur here! You don’t compose music, you execute it, and seems to be not the best music.
Gotthilf Fischer: Volksmusik ist die Musik des ganzen Volkes. Ich wüßte nicht, was mehr umfaßt und umgreift als das Wort Volk. Und Volksmusik schöpft aus allen Quellen des Volksgeistes, aus dem Urquell deutscher Kraft. Meine Musik gibt den Menschen Zuversicht und Selbstvertrauen. Mut zum Leben.
Miles Davis: I didn’t want to upset you. But art is more than having fun and a good time. It’s about suffering and pain.
Gotthilf Fischer: Ich sehe, wir kommen hier auf keinen gemeinsamen Nenner. Wir leben in unterschiedlichen Welten. Und ihre Musik ist nicht meine Welt. (Von draußen hört man plötzlich die immer noch dort stehenden Fischer-Chöre anfangen zu singen): Morgens wenn der Tag angeht / und die Sonn‘ am Himmel steht / so herrlich rot wie Milch und Blut: / Auf, ihr Brüder, laßt uns reisen, / unserm Herrgott Dank erweisen / für die fröhlich‘ Wanderzeit / hier und in die Ewigkeit !