Im Jahr 1683 erschienen die ›Dialogues des morts‹, Autor war Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657–1757). In diesen fiktiven Gesprächen wurden Personen der Geschichte zusammengebracht, die sich während ihres Lebens niemals begegnet waren. Es gab neben Fontenelle eine ganze Reihe anderer Autoren, die dieses Konversationsspiel pflegten, so Boileau, Fénelon, Voltaire, Henry Fielding und Christoph Martin Wieland (›Gespräche im Elysium‹, 1780). Aller Vorbild war aber Lukian (um 120 – um 180 n.u.Z.), der neben ›Göttergesprächen‹, ›Hetärengesprächen‹, ›Meergöttergesprächen‹ auch ›Totengespräche‹ verfaßte. Hier wird diese lange Tradition fortgeführt.
Gabriele D’Annunzio meets Beate Uhse
Wenn der Faschismus kein Glaube wäre, wie könnte er Mut und Feuer erwecken? Die Bereitschaft des modernen Menschen zu glauben ist unglaublich. (Benito Mussolini)
(In großer Höhe fliegt eine Bücker Bü 133 Jungmeister einsam am Himmel dahin. Am Steuer der Propellermaschine sitzt Beate Uhse, (geborene Köstlin, verwitwete Uhse, geschiedene Rotermund), seit ihrem 18. Geburtstag mit einem Flugzeugführerschein ausgestattete Wehrmachts-Pilotin. Die Sicht ist klar, kein Wölkchen am Himmel trübt das Bild. Plötzlich hört man von weiter oben ein Brummen, das schnell näherkommt. Es ist eine italienische Ansaldo S.V.A., die dicht über der Bücker Bü 133 schwebt. Dann öffnet sich ein Fenster des Flugzeugs und eine gewaltige Menge von Flugblättern wird herausgeworfen. Unkontrolliert flattern sie nach unten, einige davon landen auf dem Sichtfenster der von Uhse gesteuerten Maschine. Für einen Moment verunsichert wegen der fehlenden Sicht sieht Uhse auf der Glasscheibe eins der Flugblätter und kann sogar einzelne Zeilen des darauf abgedruckten Textes erkennen:)
»Das Drohen der Schwinge des jungen italienischen Adlers gleicht nicht der finsteren Bronze im morgendlichen Licht. Viva l’Italia! Wiener, lernt die Italiener kennen! Wenn wir wollten, könnten wir ganze Tonnen von Bomben auf Eure Stadt hinabwerfen, aber wir senden Euch nur einen Gruß der Trikolore! Wir Italiener führen keinen Krieg gegen Kinder, Frauen und Alte. Wir führen Krieg gegen eure Regierung, die ein Feind der Unabhängigkeit der Völker und nicht in der Lage ist, euch Brot und Frieden zu garantieren.«
(Uhse zieht den Steuerknüppel hoch und versucht, durch heftige Drehbewegungen die Flugblätter loszuwerden. Dann entdeckt sie den Doppeldecker, der über ihr kreist. Sie flucht. Schließlich gibt sie auf und setzt zum Landeanflug an. Nachdem die Erde sie wiederhat, stürmt sie wutentbrannt aus ihrer Maschine und geht schnellen Schritts zum Terminal. Während sie voranstürmt, hört sie hinter sich das Brummen eines Flugzeugs, sie dreht sich um und sieht, daß es die noch eben über ihr kurvende Ansaldo S.V.A ist. Sie dreht sich um und geht mit weit ausholenden Schritten auf das nun zum Stillstand gekommene Flugzeug zu. Ihm entsteigt ein kahlköpfiger kleiner Mann in militärischer Uniform, der sie anstrahlt.)
Gabriele D’Annunzio: Buon giorno, Signora! Come sta?
Beate Uhse: Sie! Sie! Sie Schweinehund! Was fällt Ihnen ein, mich mit Ihrem Flugblattdreck zu bewerfen? Ich wäre beinahe abgestürzt! Haben Sie überhaupt eine Fluglizenz? Ich werde Sie anzeigen, Sie werden einen Prozeß an den Hals kriegen, Sie werden sich noch umgucken und wundern. Ich bin zigmal vor Gericht geladen worden, ich kenne mich aus. Danach werden Sie niemals wieder den allgemeinen Luftraum gefährden.
Gabriele D’Annunzio: Aber Signora, beruhigen Sie sich doch! Das war doch reine Nostalgie, dieser Flug. Ich wollte dieses Gefühl noch einmal erleben, als ich 1918 über Wiens Himmel mit sieben Flugmaschinen auftauchte und 300.000 Flugblätter auf die innere Stadt herabgeworfen habe. Diese Aktion war meine Idee und das Oberkommando der italienischen Streitkräfte hat damals zugestimmt. Der Flug sollte die unangefochtene Macht der italienischen Luftwaffe als Symbol der angeborenen Energie der italienischen Rasse demonstrieren.
Beate Uhse: Sie können von Glück sagen, daß ich nicht den Sturzkampfbomber Ju 87 oder die Messerschmitt Bf 110 geflogen bin, das wäre Ihnen schlecht bekommen, denn dieser Ganzmetall-Tiefdecker gehörte bei unserer Luftwaffe in den dreißiger Jahren zur Gattung der Zerstörer. Damit hätte ich Sie glatt pulverisieren können.
Gabriele D’Annunzio: Donnerwetter! Sie waren bei der deutschen Luftwaffe?
Beate Uhse: Ich war Einfliegerin.
Gabriele D’Annunzio: Wir haben so viel gemeinsam, auch ich bin viel geflogen und habe das im militärischen Rahmen gemacht. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?
Beate Uhse: Na gut, meinetwegen, aber deshalb kommen Sie mir noch lange nicht so billig davon, mit einem Kaffee ist das noch lange nicht erledigt.
(Sie begeben sich zu dem nah am Flugplatz gelegenen ›Café Elysium‹.)
Gabriele D’Annunzio: So, nun erzählen Sie mir doch etwas aus Ihrem vorigen Leben, verehrte Dame.
Beate Uhse: Ich war und bin Beate Uhse. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe ich Frauen auf dem Land Informationsmaterial über Geburtenkontrolle verkauft. Das waren ganz schlicht gemachte, hektographierte Broschüren. Daraus hat sich dann langsam ein Geschäft entwickelt, das wuchs und wuchs und bald hatte ich Angestellte und Hilfskräfte und so entstand die Firma Beate Uhse, die noch heute besteht. Ich habe von Anfang an meine Person ganz offen dargestellt und man hat mich immer wieder vor Gericht gezerrt, aber die Prozesse habe ich meist gewonnen. Ich habe die Deutschen von ihrer sexuellen Verklemmtheit befreit. Wir haben waschkörbeweise Briefe erhalten mit Bestellungen für unsere Produkte, wozu Verhütungsmittel ebenso gehörten wie erotische Wäsche und erotisches Spielzeug. Die Nachfrage war enorm. Ich wurde eine Marke. Mitte der 1960er Jahre war ich eine Prominente, ein Star, über den die Zeitungen und vor allem die bunten Illustrierten Geschichten schrieben. Ich fütterte die Medien mit meiner Lebensgeschichte. Zuerst stellte ich mich als verwitwete Ehefrau und vierfache Mutter dar, dann war ich die tapfere Luftwaffenpilotin während des Zweiten Weltkriegs. Das gab meinem Unternehmen die nötige Respektabilität, die ich auch brauchte, um vor Gericht erfolgreich zu sein. 1957 hatte ich schon acht Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger auf meinen Versandlisten. Damals nannte ich das noch ›Ehehygiene‹, das war weniger verfänglich. Was anderes konnte ich auch nicht tun, deshalb wurde in der Werbung der Sex immer im Rahmen der Ehe behandelt, niemals außerhalb. Und natürlich keine homosexuellen Themen, das war ebenso Tabu wie außerehelicher Sex. Das hätte mir vor Gericht auch nicht geholfen.
Gabriele D’Annunzio: Sehr interessant. In Italien wäre eine solche Karriere nicht möglich gewesen, und das nicht etwa wegen des dominanten Katholizismus allein. Der italienische Mann sieht die Frau als Madonna und Hure, als Geliebte und Mutter, aber niemals als eigenständige Person, die dann auch noch mit der Sexualität enorme Geschäfte macht. Früh entdeckte ich, daß man nicht nur Bücher schreiben, sondern auch wissen mußte, wie man sie verkauft. Ich bin der Erfinder des Marketings. Ich wollte den Ruhm. Und ich bekam ihn, weil ich wußte, wie man die Menschen manipulieren kann. Die aristokratische Darstellung meiner Persönlichkeit bezauberte die italienische Bourgeoisie. Ich wußte mich zu inszenieren. Es konnte gar nicht bombastisch genug sein. Immer schon war ich vom Glanz der Dinge angezogen. Das galt auch für Frauen, von denen sich eine stattliche Anzahl mir ergab. Das Pathetische lag mir und so schrieb ich Sätze wie: Die Sonnenuntergänge hier sind alle aus Blut. Ich hatte einen Wust schwarzer Locken und zwei Augen wie ein Besessener. Leider wurde ich während eines Duells am Kopf verletzt und der mich behandelnde Arzt hat ein Mittel angewandt, das sich als hoch toxisch erwies, und so verlor ich dadurch alle meine Haare. Durch eine frühe Heirat wurde ich in die römische Aristokratie aufgenommen. Wieviel habe ich geschrieben! In dem Roman ›Lust‹ von 1892, der von der Literaturkritik als mein bester Roman bezeichnet wird, habe ich die Krise eines Ästheten beschrieben, meine eigene Krise, die ich mit großer Genauigkeit in all ihren psychologischen Verästelungen dargestellt habe. Ich führte ein mondänes Leben.
Beate Uhse: Na, Sie sind mir ja ein bunter Vogel! Aber zurück zu meiner weiteren Lebensgeschichte. 1962 waren die Hälfte der deutschen Gesamtbevölkerung von 54 Millionen schon meine Kunden. Die Journalisten halfen mir bei diesem Erfolg, indem sie meine von mir gelieferten autobiographischen Einzelheiten aufschnappten und zu Artikel verarbeiteten. Ich war Teil des ›Prominentenjournalismus‹. Skandale waren das tägliche Brot für die damalige Presse. Sie fraßen mir aus der Hand. Die Tatsache, daß ich Fliegerin gewesen und mein letzter Flug eine waghalsige Flucht aus dem belagerten Berlin im April 1945 war, wurde für die Presse zu einer risikoreichen und spannenden Geschichte, und das konnte man dann gut mit der Spannung verbinden, die jeder mit seiner Sexualität empfand. Meine Geschichte wurde eine Abenteuergeschichte, die man gern konsumierte. Mit dem Versand meiner Kataloge überwand ich anfangs auch die Schambarrieren und gewann das Vertrauen meiner Kunden. Sie wußten sich bei mir gut aufgehoben. Ich zeigte offen mein Gesicht in der Öffentlichkeit, ich war ein lebendiger Mensch, keine anonyme Versandhausfirma. Man konnte eine Beziehung zu mir herstellen. Ich kam als persönliche Bekannte und vielleicht sogar Freundin in die bundesdeutschen Familien und half dabei, Ehen zu retten. Das war kein schmutziges Geschäft, das war ehrlicher Dienst am Kunden. Und gerade die Frauen waren meine besten Verbündeten, denn die litten unter schlechtem Sex. Ich gab ihnen Mut, Wünsche zu äußern und auf einem erfüllten Sexualleben innerhalb der Ehe zu bestehen. Aber in Flensburg wurde das anders gesehen. Mein Antrag auf Aufnahme in den Tennisverein wurde abgelehnt, obwohl ich mit meinem Unternehmen einer der wichtigsten Arbeitgeber und Steuerzahler in Flensburg war. Ich wurde gesellschaftlich geächtet. Für das alte Bürgertum am Ort war ich eine profitgierige Aufsteigerin. Wenn ich zum wiederholten Male vor Gericht stand, bestätigten mir die Richter aber, daß ich frei und offen auftrete und nichts beschönige. Das war wichtig für die Entscheidung der Gerichte, denn da ich in den Augen der Richter eine respektable Person war, konnte ich mit einem besseren Urteil rechnen. Außerdem stammte ich aus einer ›guten‹ Familie und hatte als Fliegerin in der Luftwaffe gedient. Das zählte für die damalige Generation der Richter, die während der NS-Zeit ihre Karrieren begonnen hatten. Nach einer der vielen Razzien in meinem Unternehmen bot mir die Flensburger Polizei sogar an, bei der Polizei zu arbeiten, weil es ihnen an klugen und dynamischen Beamtinnen mangelte! Meine immer sehr sorgfältige, saubere Ausdrucksweise sowohl in meinen Versandkatalogen wie in meinen Stellungnahmen vor Gericht schützten mich. Meine Sprache war niemals obszön und die Richter würdigten das. Das verlieh mir Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Um dieses aber nachdrücklich in der Öffentlichkeit wirken zu lassen, mußte ich mich um eine Marketingstrategie kümmern. Die Tatsache, daß ich Einfliegerin gewesen war, mußte für die Öffentlichkeit so aufbereitet werden, daß man sehen konnte, wie das Fliegen und Sex miteinander korrespondierten: Hohe Geschwindigkeit, physisches Risiko, Freiheit von irdischen Fesseln. Nervenkitzel. Keine Scham und keine Hemmung gegenüber der eigenen sexuellen Körperlichkeit. Lust als Individuum, Freiheit von äußeren Zwängen, und das Ganze abgestützt durch den Artikel des Grundgesetzes, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistete. Man konnte mich nicht in die Gosse werfen, man konnte mir nicht vorwerfen, ich würde ein schmutziges Geschäft betreiben, und die allgemeine Liberalisierung seit Mitte der 1960er Jahre half mir, alle Anfeindungen seitens der Sittenprediger zu überstehen.
Gabriele D’Annunzio: Man kann in den Mund einer Frau beißen wie in eine Delikatesse. Doch ich erfuhr, daß es noch einen anderen Mund zum Aufbrechen gab, einen geheimnisvollen und geschlechtsreifen. Ich hatte schon als junger Mann einen Hang zur Extravaganz. Mein Vater mußte erhebliche Mehrkosten aufwenden zum Bezahlen all meiner Handschuhe, Schals, Anzüge und Schuhe. Ich verfügte über ein Nachthemd mit einem kreisrunden, goldumstickten Ausschnitt beim Gemächt, um den Beischlaf zu erleichtern. (Greift in sein Jackett und holt eine zerknitterte Photographie hervor): Hier, sehen Sie, ich war auch ein begeisterter Schwimmer.
Beate Uhse (schaut auf die Photographie und schreckt zurück): Huch, da sind Sie ja ganz nackt und man sieht Ihr Glied im schlafenden Zustand.
Gabriele D’Annunzio: Allerdings! Ich war einer der Pioniere der Freikörperkultur!
Beate Uhse: Solche Fotos habe ich auch für meine ersten Werbebroschüren gemacht, von meinen Jungs, meinen beiden Söhnen, denen hat das viel Spaß gemacht. Ich habe sie aber von der Seite fotografiert, denn sonst wäre ich mit dem Sittengesetz in Konflikt gekommen. Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren immer noch sehr prüde. Diese Hefte verkauften sich aber wie warme Semmeln.
Gabriele D’Annunzio: In Fiume, der von mir besetzten und befreiten Stadt liefen viele der Bewohner nackt durch die Straßen, es gab auch das, was man ›freie Liebe‹ genannt hat. Jeder konnte sich frei entfalten. Es war eine schöne Zeit. Die italienischen Faschisten haben in ihren Reden und Proklamationen nach der Eroberung der politischen Macht häufig den Ausdruck ritmo di vita gebraucht, Lebensrhythmus. Und diesen haben sie mit Giovinezza in Verbindung gebracht, der Jugend, das war die Hymne der faschistischen Bewegung Italiens. Der dem Faschismus zugeneigte deutsche Soziologe Robert Michels hat dazu erklärt, daß die Partito Nazionale Fascista (PNF) die Partei der Jugend, der schönen Jugend gewesen sei. Die Teilnehmer der faschistischen Umzüge seien »jünger, frischer, lebendiger, auch körperlich schöner und ästhetisch elitenhafter« gewesen als die Besucher der sozialistischen Versammlungen. »Die ›schöneren Männer‹ sind zweifellos auf faschistischer Seite.« Und Michels war kein Homosexueller.
Beate Uhse: Na, das mag ja so gewesen sein, aber wenn ich an die Schläger von der NSDAP, an diese SA-Banditen denke, dann sehe ich da nur häßliche Figuren mit Bierbauch und kurzgeschorenem Schädel, feiste Landsknechte waren das, Mordgesellen. Mögen die italienischen Männer vielleicht etwas hübscher gewesen sein, aber Schläger und Mörder waren sie auch, da spielen das Aussehen und die Jugendlichkeit doch keine Rolle. Mir ist es gleichgültig, wenn ich von einem brutalen Mörder zusammengeschlagen werde, ob der gut aussieht oder nicht. Mord bleibt Mord.
Gabriele D’Annunzio: Ich habe mich von Mussolini distanziert und konnte dem von ihm errichteten faschistischen Regime nichts abgewinnen. Allerdings hat man mir am Gardasee das schöne Anwesen ›Il Vittoriale‹ geschenkt, wo ich die letzten zwanzig Jahre meines Lebens verbracht habe. Die faschistische Regierung hat auch eine Gesamtausgabe meiner Werke finanziert.
(Entlanggeschlendert kommen Angelo Tasca [1892–1960, italienischer Autor und Politiker] und Ignazio Silone [1900–1978, italienischer Schriftsteller], die beide grundlegende Werke über den italienischen Faschismus geschrieben haben: ›Glauben, Gehorchen, Kämpfen. Aufstieg des Faschismus‹, 1938, und ›Der Fascismus. Seine Entstehung und Entwicklung‹, 1934.)
Angelo Tasca: Gabriele! Du alter Gauner! Signora, hüten Sie sich vor diesem Herrn. Er ist ein Schwerenöter, ein Süßholzraspler und Flachleger. Er hat sich zeit seines Lebens durch Italien gebumst.
Ignazio Silone: Angelo, sprich doch nicht in diesem vulgären Ton mit dieser Dame.
Angelo Tasca: Wieso nicht? Tatsachen sind Tatsachen, und bei D’Annunzio darf man sich nicht zurückhalten. Alter Gaukler, du! Was machst du überhaupt hier im Elysium, hat dir den Aufenthalt das faschistische Regime bezahlt, so wie es dir deine Luxusvilla am Gardasee gekauft hat?
Gabriele D’Annunzio: Seid doch still, ihr Kommunistenschweine! Wer hat euch gebeten, hier aufzukreuzen und herumzupöbeln? Signora Uhse, bitte entschuldigen Sie diese Rüpel aus meinem Heimatland, die es nicht verdient haben, sie als Italiener zu bezeichnen.
Angelo Tasca: Dürfen wir uns vorstellen, wir sind zwei italienische Schriftsteller, die auch in der Politik mitgemischt haben, auf unterschiedliche Weise. Vor allem aber sind wir bekannt durch unsere zeitgenössischen Analysen zum italienischen Faschismus. Mein Buch ›Credere, obbedire, combattere‹ ist 1969 auch auf Deutsch erschienen und seitdem immer wieder nachgedruckt worden. Ich habe darin auch unseren gemeinsamen Freund, Herrn Gabriele D’Annunzio, erwähnt. Die militärische Besetzung der Stadt Fiume hat diesen Herrn weltweit bekannt gemacht, aber er war schon vorher berühmt durch seine vom Geist des fin de siècle getragenen Romane. Ein Dichter, der in die Politik gegangen ist, daraus kann nie etwas Gutes hervorgehen. Dieses Fiume hat dem Faschismus das Modell für seine Miliz und für die Uniformen, den Namen für die Gruppen, den Kampfruf und die Liturgie geliefert. Mussolini hat D’Annunzio den ganzen szenischen Apparat abgeschaut, einschließlich des Dialogs mit den Massen.
Gabriele D’Annunzio: Da hat er ausnahmsweise recht. Das war alles meine Erfindung, auch der Auftritt auf dem Balkon, von wo ich meine Ansprachen an das Volk gehalten habe. Das war für die damalige Zeit eine Neuheit, das hatte es vorher in dieser Form noch nicht gegeben. Mussolini hat mich reingelegt, wie man das von einem verkrachten, dahergelaufenen Journalisten auch nicht anders erwarten kann. Ein Dilettant, prinzipienlos, ein verkommenes Subjekt, und dieser Kerl wurde dann dank der faschistischen Propaganda vom italienischen Volk als ›Duce‹ verehrt. Sensation und Dramatik, danach gierte er ständig. Statt Diplomatie gegenüber den anderen Staaten hat er stets das Heldentum bevorzugt und damit Italien ins Unglück gestürzt. Dieser Hitler hatte ihn sich früh zum Vorbild genommen und ihn verehrt bis dorthinaus, aber Herr Mussolini hat nicht gemerkt, wie Hitler ihn während des Zweiten Weltkriegs um den Finger gewickelt und betrogen und Italien in einen Krieg gelockt hat, für den es weder materiell noch psychologisch vorbereitet war. Hitler, der eigentlich österreichisch Hiedler geheißen hat, dieser Strolch mit seinem verschwiemelten Pöbelgesicht unter dieser nicht mehr abwaschbaren Tünche von Kalk und Leim, dieser grausame Bajazzo. Aber der kleine Benito, dieser große Prahlhans, ist mit der italienischen ›Ehre‹ hausieren gegangen. Schlechte Manieren, darin kannte er sich aus.
Ignazio Silone: Bravo, Gabriele! Es scheint, als hättest du dir hier im Elysium richtig Gedanken über das Wesen des Faschismus gemacht. Vielleicht stimmst du mir zu, wenn ich sage, daß man den Faschismus nicht nach seiner Ideologie beurteilen darf. Das Einzige, was er vorzuweisen hat, sind Terror, Gewalt und Korruption. Deshalb hat er mit der Arbeiterbewegung auch nicht diskutiert, sondern durch sogenannte ›Strafexpeditionen‹ in den Jahren von 1920 bis 1922 Dörfer und Städte überfallen, die kommunalen Einrichtungen verwüstet, die Häuser der Gewerkschaften angezündet und mit seinen Schlägerbanden unendlich viele Menschen umgebracht. Wir spielen die Leier auf allen Saiten: von der Gewalt bis zur Religion, von der Kunst bis zur Politik. Das hat Mussolini gesagt und sich daran gehalten. Nur mit bewaffneter Gewalt hätte man den Faschismus niederzwingen können, aber die italienische Arbeiterbewegung war dazu nicht fähig.
Angelo Tasca: Ja, Ignazio, ich stimme dir zu. Das Parteiprogramm hatte im Faschismus nur die Funktion eines Notbehelfs. Was man in den Reden hörte, das war alles aus dem Moment heraus zusammengebastelt und konnte daher in einer anderen Kampfsituation auch wieder verschwinden. Das ist das Wesen des Journalismus, sich jeweils am Tagesgeschehen zu orientieren und das ist auch das Wesen des Faschismus, der ebenso über keine Theorie verfügt, aber alle jemals entstandenen Theorien ausraubt, so wie er ein ganzes Land und deren Menschen mit Terror und Gewalt erobert und beraubt hat. D’Annunzio war in erster Linie Schauspieler. Auftritte vor dem leeren Haus lagen ihm nicht. Der Übermensch in ihm brauchte das Publikum. D’Annunzio war sein eigener Stern, nie ließ er einen anderen neben sich gelten. Und darin war er mit Mussolini verwandt.
Beate Uhse: Entschuldigen Sie, meine Herren, wenn ich Sie unterbreche, aber so recht Sie mit all Ihren Beobachtungen haben mögen, ich würde doch gern die Unterhaltung mit Herrn D’Annunzio fortsetzen.
Ignazio Silone: Oh, das tut uns leid, Signora, wir wollten uns nicht aufdrängen, wir waren nur so erstaunt, unseren Dichter hier auf der Insel der Seligen wiederzufinden. Er hat es wohl verstanden, von einer Insel der Seligen, seiner prachtvollen Villa am Gardasee, hierher zu wechseln und es sich auch nach seinem Tode wohlergehen zu lassen. Da wir genau über seine Vergangenheit Bescheid wissen, wollten wir es nicht versäumen, Sie vor diesem kleinen Scheusal zu warnen, er hat eine außergewöhnliche Ausstrahlung auf Frauen, obwohl er nun wirklich kein schöner Mann ist. (D’Annunzio verzieht angewidert das Gesicht. Silone und Tasca geben Beate Uhse nacheinander die Hand und verabschieden sich.)
Beate Uhse: Na, das war ja was! Die Vergangenheit holt einen immer wieder ein. Man glaubt es nicht, selbst nach dem Tode wird man von ihr nicht verschont.
Gabriele D’Annunzio: Alles, was gut ist am Faschismus, ist von mir – seine Ästhetik.
Beate Uhse: Mir kam das alles in Hitler-Deutschland schrecklich schaurig vor. Diese Paraden bei Nacht, der Lichterdom, die brennenden Fackeln, was war daran ästhetisch? Es sei denn, man mag solchen Budenzauber, mich hat es nicht interessiert, ich habe mich schon früh für Technik interessiert und innerhalb der Technik ganz besonders für das Flugwesen. In dieser Hinsicht hat der NS-Staat sehr viel angeboten und ich habe mich faszinieren lassen von der Möglichkeit, als Frau eine Maschine zu steuern und in den Himmel damit zu fliegen.
Gabriele D’Annunzio: Wie gut ich das verstehen kann, es ging mir ganz genauso. Die Höhenlust ist eine ganz besondere Lust, es ist ein erhabenes Gefühl, über den Wolken zu schweben und tief unten die Landschaft unter sich zu haben. Man kommt sich wie ein Gott vor.
Beate Uhse: Ach, Gottchen, das nun gerade nicht, es hat einfach Spaß gemacht, zu fliegen und diese Maschine zu beherrschen. Für mich war das ein wunderbarer Sport und ich konnte damit mein Leben finanzieren.
Gabriele D’Annunzio: Italiener von Fiume! Hier bin ich! So habe ich damals, am 12. September 1919, vom Gouverneurspalastbalkon aus die Menschenmassen unten auf dem Platz angesprochen. Auch das war ein erhebendes und erhabenes Gefühl.
Beate Uhse: Die sexuelle Neugier der Bevölkerung ist ungestillt.
Gabriele D’Annunzio: Ja, es war eine Vermählung mit dem Volk, auf einer höheren, spirituellen Ebene. Das Eins Werden des Führers mit der Masse, das Verschmelzen energetischer Kräfte.
Beate Uhse: Ich habe mich ganz auf die irdische Seite der Sexualität konzentriert. Gleich nach dem Ende des Krieges konnte ich doch das Elend beobachten, in dem die Frauen auf dem Lande lebten. Wenn ungewollt eine Schwangerschaft entstand, habe ich mit meinen Broschüren und der darin enthaltenen Beratung helfen können und so entstand bald darauf ein kleines Geschäft, das zügig weiter ausgebaut wurde. Daß daraus ein Millionenkonzern werden würde, daran dachte doch damals kein Mensch, ich jedenfalls nicht. Meine Texte waren sicher noch sehr unbeholfen, aber schließlich nahm ich auch erotische Literatur in meine Kataloge auf.
Gabriele D’Annunzio: Andrea Sperelli erwartete in seinen Gemächern eine Geliebte. Alle Dinge ringsum offenbarten wahrhaftig die Sorgfalt der Liebe. Das Wacholderholz brannte im Kamin, auf dem kleinen Teetisch standen Tassen und Untertassen aus Majolika von Castel Durante, die Luzio Dolci mit mythologischen Szenen geschmückt hatte. Das Licht drang gedämpft durch die roten Brokatvorhänge, die mit Granatäpfeln aus filigranem Silber, mit Blättern und Sprüchen verziert waren. Da die Nachmittagssonne auf die Scheiben traf, zeichnete sich das Blumenmuster der Spitzengardinen auf dem Teppich ab. Es war, als sei in diesem Augenblicke das ganze Zimmer bereit, die ersehnte Frau zu empfangen. Elena hatte die ein wenig grausame Angewohnheit, am Ende jeder Liebesbegegnung alle Blumen, die in den Vasen steckten, auf dem Teppich zu entblättern. Nichts glich der Anmut der Bewegung, die sie jedesmal vollführte, wenn sie den Rock etwas anhob und erst den einen und dann den anderen Fuß vorschob, damit der Geliebte sich herabbeugte und die Bänder des noch offenen Schuhes schnürte. Na, was sagen Sie, das ist die Eingangs-Passage aus meinem Roman ›Lust‹. Nicht schlecht, was?
Beate Uhse: Oh, das hätte ich gut für meine Werbeschriften verwenden können. Wissen Sie, ich habe mich stets um gutes Deutsch bemüht und um eine ehrliche Sprache. Anders ging das auch gar nicht. Auch wollte ich mich damit absetzen von der ordinären Art, mit der man ja auch über Liebe und Sex reden kann. Ich wollte erreichen, daß niemand aus meiner Kundschaft Schuldgefühle zu haben brauchte und daß man sich ganz dem körperlichen Wohlgefühl hingeben konnte.
Gabriele D’Annunzio: Meine letzten Jahre waren von einem enormen Kokainkonsum überschattet. Dann aber wieder wurde ich die ganze Zeit von drei Frauen umsorgt, die mir auch Frauen von der Straße verschafften.
Beate Uhse: Sie alter Wüstling!
Gabriele D’Annunzio: Ich verstehe es ja auch nicht, wie ich diese Ausstrahlung auf das weibliche Geschlecht hatte, ich hatte sie einfach und ich habe mich nicht damit gequält zu fragen, wie das möglich war. Wie wär’s denn, wollen wir uns für eine Stunde in ein Hotel begeben?
Beate Uhse: Was erlauben Sie sich, haben Sie während unseres Gespräches denn irgendein Knistern zwischen uns verspürt? Ich denke nicht. So, ich muß jetzt gehen. Aber eins gebe ich Ihnen noch mit auf den Weg: Wenn Sie es noch einmal wagen sollten, so eine Flugblatt-Tour zu unternehmen, dann werden Sie von der elysischen Gerichtsbarkeit hören und glauben Sie mir, wenn ich Sie vor den Kadi ziehe, werden Sie nicht ungeschoren davonkommen.
Gabriele D’Annunzio: Clemenza, bella ragazza!