Im Jahr 1683 erschienen die ›Dialogues des morts‹, Autor war Bernard le Bouvier de Fontenelle (1657–1757). In diesen fiktiven Gesprächen wurden Personen der Geschichte zusammengebracht, die sich während ihres Lebens niemals begegnet waren. Es gab neben Fontenelle eine ganze Reihe anderer Autoren, die dieses Konversationsspiel pflegten, so Boileau, Fénelon, Voltaire, Henry Fielding und Christoph Martin Wieland (›Gespräche im Elysium‹, 1780). Aller Vorbild war aber Lukian (um 120 – um 180), der neben ›Göttergesprächen‹, ›Hetärengesprächen‹, ›Meergöttergesprächen‹ auch ›Totengespräche‹ verfaßte. Hier wird diese lange Tradition fortgeführt.
Mae West meets Hanns Dieter Hüsch
Mae West: Is that a gun in your pocket, or are you just happy to see me?
Hanns Dieter Hüsch: Was ich ja immer sage: Die Unanständigsten sind die Unschuldigsten. Aber erst einmal guten Tag, liebe Mae West, was bin ich erfreut Sie hier zu sehen! Bisher kannte ich Sie ja nur aus dem Film.
Mae West: I’m a woman of very few words, but lots of action. Ich kann nur zwei Sprachen: Englisch und Körper. Aber für Sie, mache ich, wie Sie gerade gehört haben, eine Ausnahme.
Hanns Dieter Hüsch: Ihre Sprüche sind weltberühmt, Ihre ›double entendres‹. Besonders der, den Sie gleich zu Anfang aufgesagt haben. Ja, wenige Worte, viel action. Für Ihre Auftritte hatten Sie immer die richtigen Songs: ›Go As Far As You Like‹, ›Nothing Bothers Me‹, ›I Don’t Care‹. Da müßte ich jetzt wohl über meine herzzerreißende Neigung zu schönen Mädchen sprechen, wo ich gleichzeitig immer meine riesengroße Angst fühlte, nicht angenommen zu werden. Die ganz schönen Mädchen waren natürlich für mich unerreichbar. Aber manchmal sind solche Frauen auch elend dran, schön zwar, aber elend dran, denn sie brauchen immer jemanden, der sie auffängt, wenn sie fallen. Ich war immer unterwegs, um die Damen mit den knappen Röcken, den hohen Absätzen und den offenen Herzen zu sehen, im Sommer und im Winter, immer wußte ich, wo es solche Etablissements gab, immer führte mich meine Sucht mitten hinein in die Welt der Lust und des Lasters, irgendetwas zog einen wie mich immer wieder dorthin, vielleicht wollte man einfach in den Arm genommen werden, und das natürlich möglichst lasziv. Ich war aber manchmal schon mit einem Blick zufrieden. Je höher der Strumpf, desto tiefer der Wahnsinn. Die Freundin, kurzsichtig, aber hochhackig.
Mae West: The best way to hold a man is in your arms. Between two evils, I always pick the one I never tried before. No one can have everything, so you have to try for what you want most. Too much of a good thing can be wonderful! Ten men waiting for me at the door? Send one of them home, I’m tired.
Hanns Dieter Hüsch: Ja, das bewundere ich an Ihnen ja so sehr, diese Freimütigkeit, dieses naiv Schamlose. Sie haben es in diesem prüden Land Amerika nicht leicht gehabt, ihre künstlerischen Vorstellungen durchzusetzen, aber Sie haben sie durchgesetzt. Ein Regisseur hat mir einmal gesagt: »Kinder, freundlich bleiben, auch die ernsten und aggressiven Sachen ruhig und fast leicht vortragen.«
Mae West: Wenn die Leute nur wüßten, was während der Aufführung meines Theaterstücks ›Sex‹ aus dem Jahr 1926, eine Aschenputtel-Geschichte, die mir 500 Dollar Geldstrafe und eine Woche im Gefängnis eingebracht hat, hinter der Bühne passierte, wären sie überrascht. Unser Hauptvergnügen zwischen den Akten waren Diskussionen über die Musik von Beethoven und Bach, über Shakespeare und die Philosophen der Welt.
Hanns Dieter Hüsch: Ich komme ja vom Niederrhein, das ist eine Gegend, die werden Sie jetzt nicht kennen. Die Leute dort, die Niederrheiner, sind ein eigenartiges Völkchen. Der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären. Umgekehrt, wenn man ihm etwas erklärt, versteht er nichts. Sagt aber dauernd: Ist doch logisch! Wenn man dann fragt: Wieso logisch? antwortet er sehr oft: Ja wieso, weiß ich auch nicht, muß man ’nen anderen fragen. Wenn man dann weiter nachhakt: Warum sachste denn dauernd: ›Ist doch logisch!‹, sagt er oft: Man wird doch mal was in Frage stellen dürfen? Der Niederrheiner hat, genau besehen, immer nur zwei große Themen: Essen und Sterben. Denn wir Niederrheiner können stundenlang erzählen, was wir gern essen und was wir nicht so gern essen und wie der und der gestorben ist und woran, und wie lang das gedauert hat, und welcher Arzt das alles verpfuscht hat, und wer schließlich das Ganze erbt, und daß gar nichts mehr da ist, weil, alles ist für die Operation draufgegangen, und wir hatten am Sonntag dicke Bohnen. Ich sage ja immer, man kann sich seinen Tod nicht aussuchen, aber das Essen schon, das ist doch wenigstens etwas im Leben. Die alte niederrheinische Geschichte von der Küche ins Krankenhaus, vom Krankenhaus auf den Kirchhof. Das sind die drei Ks des Niederrheiners, und von diesen Plätzen erzählt er auch immer sein Leben lang.
Mae West: You only live once, but if you do it right, once is enough. I eat the right foods, exercise, take care of myself to maintain my curves. I have improved the Venus de Milo, I have arms. I never worry about diets. The only carrots that interest me are the number you get in a diamond.
Hanns Dieter Hüsch: Ich eß ja am liebsten alles durcheinander. Ich knatsch mir die Kartoffeln und Soße, einfach durcheinander. Möhren mag ich ja weniger. Am liebsten eß ich ja Suppen. Oder Hülsenfrüchte. Da is ja auch alles durcheinander drin. Et kommt ja doch alles in einen Magen. Hamse schon Hunger? Pomm Fritz eß ich nich so gern. Bratwurst geht noch so eben. Ich eß auch gern mal en Spiegelei zwischendurch. Erbsensuppe schmeckt ja am besten im Winter. Mit Schwarzbrot und Butter. Schad is ja nur, daß man das meiste Essen nich bei sich behalten kann. Einmal stand ich vor einem Würstchenstand am Bahnhof, da höre ich gerade, wie die Verkäuferin an diesem Stand zu dem Herrn, der da stand, sagt: »Sagen Se mal, was hat er denn ganz genau gehabt? Er ist ja jetzt aus dem Krankenhaus wieder raus?« Da sagt der Mann zu der Verkäuferin: »Ja, wissen Sie, er hatte wohl so irgendwie Beschädigungen, die dann aber doch nicht reparabel waren, und das Andere weiß ich auch nicht.« Für die Verkäuferin war das klar, die kannte die Krankheit: »irgendwie so Beschädigungen haben«. Diese Krankheit gibt es nur am Niederrhein.
Mae West: Almost anything goes, anywhere, if it is good and fast and amusing.
Hanns Dieter Hüsch: Ich hab’ immer Sätze aufgeschnappt. Das ist eine niederrheinische Krankheit, das Erinnern, und ich habe ja mal gesagt: Wir sterben am Erinnern. Es gibt keine stärkere Krankheit als die Erinnerung. Wissen Sie, wenn man sich am Niederrhein vorstellt, sagt man am besten gleich die Krankheit dazu, denn man kommt doch in fünf Minuten darauf. »Et is zuviel«, sagen die Niederrheiner oft, wenn sie mit dem Leben nicht mehr fertig werden. Und weil die Niederrheiner ja zur Schwermut neigen, das kommt vom dem weiten, flachen Land, von der Aussichtslosigkeit, und die macht schwermütig, tun sie sich sehr oft was an. Nicht alle, aber viele.
Mae West: Ich war ein Kind des neuen Jahrhunderts, das gleich um die Ecke lag, und unerschrocken lief ich darauf zu. Sie erwähnten Essen und den Tod. Es gibt dann noch Sex. Was den Sex betrifft, ist der Mann von Natur aus ein Tier. Ich hatte immer meine besonderen Haustierchen. Bei älteren Liebhabern weiß man nie genau, wo die Leidenschaft aufhört und das Asthma beginnt. A hard man is good to find.
Hanns Dieter Hüsch: Ich bin ein Nomade, abends sitze ich schon wieder in den Zügen. Ich habe vieles im Wartesaal geschrieben, Leute beobachtet, Nachtschattengewächse, genau wie ich. Trunken war ich von diesen Nächten. Und dann Kartoffelsalat mit Würstchen, Kännchen Kaffee, Overstolz ohne Filter, fünfzig Stück am Tag mindestens.
Mae West: Man hat einen Cocktail nach mir benannt, den ›Mae West Martini‹. Er besteht aus Wodka, Mandellikör, Preiselbeersaft und einem Spritzer Melonenlikör. Und den wollen wir jetzt zusammen trinken und auf das neue Jahr anstoßen. Du kannst Mae zu mir sagen, Hanns Dieter.
Hanns Dieter Hüsch: Zehn Pils vor der Vorstellung machten mir früher nichts aus. Dann werde ich hier im Elysium wohl auch schon einen ›Mae West Martini‹ vertragen. Para el beneficio, liebe Mae! And a happy new year!