So we sailed on to the sun
Til we found a sea of green
And we lived beneath the waves
In our yellow submarine
(The Beatles: Yellow Submarine, 1969)
Prof. Friedrich Lensing (steht am Gartenzaun und sieht seiner Nachbarin, Frau Pannemeyer, dabei zu, wie sie ganz emsig und selbstvergessen Blumen pflanzt): Schöner Nachmittag, Frau Nachbarin! Sie sind ja ganz fleißig, und was für hübsche Blumen Sie ausgesucht haben! Ich habe meine Naturtrilogie in drei Teile separiert: Tiere, Blumen und Elemente. Das Buch ›Meine Tiere‹ (Berlin 1926) gibt die Psychologie der Verhäuslichung; das zweite ›Blumen‹ (1928) untersucht die Natur- und Kultureinflüsse auf die Pflanzenwelt. Das dritte ›Dämonen‹ (1929) enthüllt die Symbolik elementaren Naturlebens. Zuweilen tragen die bleichen, reinen Vorfrühlingsblumen, die Schneeglöckchen und die Buschwindröschen einen ganz feinen Schimmer von Rot, so wie schamhaftes Erröten in einem Kinderantlitz. Die zahllos flimmernden farbigen Lichte des Nordlichts deutet der Mythos als die Farben und Formen von Blumen, Blättern und Schmetterlingen. Das sind die Keime der Erdkinder, die unruhig im Schoße der geknebelten Göttin auf Befreiung harren. Die Träume der irdischen Sehnsucht brennen als Farben zu Lilien, Rosen und Sommerblumen am nördlichen Abendhimmel, ein Zuruf an das alles Leben erneuernde Licht.
Frau Pannemeyer: Ach, lieber Herr Professor, Sie haben eine Art, die passenden Worte zu finden, und ganz egal, worüber Sie reden, es wird immer ein Gedicht daraus!
Prof. Friedrich Lensing: Vielen Dank, Frau Pannemeyer, zu gütig. Es ist doch aber wahr, was ich sage, nicht nur ein schönes Bild. Doch eigentlich wollte ich mich über ein ganz anderes Thema mit Ihnen unterhalten, doch Ihre schönen Blumen haben mich für einen Moment ganz davon abgelenkt. (Holt tief Luft.) Haben Sie das gelesen? Die Heimatzeitung hat es ganz groß herausgebracht unter der brüllenden Schlagzeile: ›Killerwale versenken große Jacht vor Marokko‹. Da schlägt mein Herz höher, das kann ich Ihnen sagen, Frau Pannemeyer. Wie oft mußte ich lesen, daß die Manatees, die im Deutschen diesen abstoßenden Namen ›Rundschwanzseekühe‹ erhalten haben, von den herumkurvenden Motorbooten der reichen, müßiggängerischen Klasse umgebracht werden. Und nun stehen die Orcas, wie die Killerwale auch genannt werden, Orcinus orca, also Großer Schwertwal, auf gegen die verbrecherischen Machenschaften der Menschen auf den Ozeanen! Der Orca gehört zu den sogenannten ›Spitzenprädatoren‹, das bedeutet: er hat keine Freßfeinde, manchmal aber Nahrungskonkurrenten. Der Mensch sitzt als Spitzenprädator am Gipfel der Nahrungskette, aber in die Meeressökosysteme ist er erst vor kurzer Zeit eingedrungen.
Frau Pannemeyer: Ja, den Artikel habe ich auch gelesen, diese Unterwasserviecher haben ganz gezielt das Ruderblatt des Schiffes angegriffen.
Prof. Friedrich Lensing: Ja! Gewußt wie! Was für herrlich intelligente Tiere! Es soll sich um eine einzige Population von 37 Walen handeln, die zwischen dem Norden der Iberischen Halbinsel und der Straße von Gibraltar im Süden lebt. In dieser Gegend wird, trotz Verbots, beim Fischen Sprengstoff eingesetzt, was natürlich einen Heidenlärm macht.
Frau Pannemeyer: Und Sie meinen, weil die Fischer mit ihrem Dynamit solchen Krach Unterwasser machen, haben die Killerwale beschlossen, dagegen etwas zu unternehmen?
Prof. Friedrich Lensing: Nun ja, das Wort ›beschlossen‹ klingt mir etwa zu menschlich, aber es gibt ja wohl unter den Tieren auch gruppendynamische Prozesse, die dazu führen, daß man dazu übergeht, etwas zu unternehmen und dies zielgerichtet zu tun.
Frau Pannemeyer: Unsere Biggi, unsere Älteste, die ja in Celle als Ärztin arbeitet, hat mir gesagt, Schwertwale könnten durch Boote verletzt worden sein und sich an diese negativen Ereignisse erinnern.
Prof. Friedrich Lensing: Das halte ich für durchaus möglich, wieso sollen nur Elefanten, denen man bekanntlich ein ›Elefantengedächtnis‹ zuschreibt, über solch ein Erinnerungsvermögen verfügen. Nun aber kommt etwas ganz Interessantes! Es gibt Forscher, die meinen, daß es kein Zufall sei, daß die ersten Angriffe gegen Ende des ersten Corona-Jahres aufgetreten sind. Durch Lockdowns und Reisebeschränkungen war der Schiffsverkehr damals stark eingeschränkt. »Die Orcas lernten da zum ersten Mal einen stillen Ozean kennen. Wie angenehm Ruhe ist, hatten sie vorher noch nie erlebt.« Das sagt Karsten Brensing, ein Meeresbiologe und Tierverhaltensforscher. Als dann der Schiffsverkehr wieder zunahm, hätten sie vielleicht verstanden, daß Boote die Ursache für den ständigen Lärm seien.
Frau Pannemeyer: Also ich weiß nicht, haben Sie mir nicht immer wieder beizubringen versucht, daß die Tiere nicht so bewußt handeln und vor allem habe ich doch meine Zweifel, ob die Wale in der Lage sind, die Verbindungen herzustellen zwischen dem Lärm und den Booten.
Prof. Friedrich Lensing: Aber diese Gruppe von Orcas ist doch direkt auf die Ruderblätter zu geschwommen und hat sie attackiert! Da ist doch die Verbindung. Und ich habe gelesen, daß die Orcas sich daran gewöhnt hatten, den Fischern die in langen Schleppleinen gefangenen Thunfische wegzuschnappen, worauf die Fischer auf die Orcas geschossen haben.
Frau Pannemeyer: Ach, und Sie meinen, die Killerwale haben daraufhin einen Rachefeldzug gegen die Fischer begonnen?
Prof. Friedrich Lensing: Unter Wasser kann man die Schifferboote und die Yachten nicht unterscheiden, beide haben eine Länge von etwa 15 Metern.
Frau Pannemeyer: Ja, schon, gewiß. In dem Artikel wird aber auch jemand erwähnt, der meint, es sei einfach so, daß die Orcas die Ruder attackieren, weil sie es können. Der Forscher sagt sogar: »Es ist, als ob die Tiere ihre Geschicklichkeit trainieren.«
Prof. Friedrich Lensing: Trainieren! Ein Wal trainiert nicht, er ist auch kein Mitglied und wird niemals ein Mitglied sein in einem Gymnastik-Studio. Das sind doch alles menschliche Kategorien. Die darf man doch nicht auf diese Tiere übertragen, auch wenn natürlich der Mensch ein Teil der Tierwelt ist. Nein, ich erlebe die Tat dieser Orcas als sehr befreiend, es ist, als ob sie meinem ›Anti-Lärm-Verein‹ unterirdisch beigetreten sind und uns Menschen damit zeigen wollen, wie man sich wehrt und wie man einfach praktisch etwas in die Wege leitet, so wie ich das in meiner ›Philosophie als Tat‹ propagiert habe.
Frau Pannemeyer: Ja, schon, freilich. Aber lassen Sie sich nicht doch etwas zu sehr mitreißen, nur weil das nun passiert ist und das Ganze vielleicht alles auf einem Zufall beruht?
Prof. Friedrich Lensing: Sie haben irgendwie schon recht. Es ist für mich einfach ein freudiges Ereignis, wenn ich höre, daß es Tiere gibt, die sich nicht alles gefallen lassen und zum Gegenangriff übergehen. Vor vielen Jahre sah ich an mir ein Kälbchen vorübergetrieben, um im Schlachtraum der Metzgerei geschlachtet zu werden. Von einer plötzlichen Hellsicht ergriffen, blieb das Tier vor der Schwelle stehen, stemmte sich mit ganzer Kraft gegen seine beiden Treiber, die mit Knitteln es voranzutreiben versuchten und war durch keine Gewalt zu bewegen, über die Schwelle weiter in den blutdunstigen Raum zu gehen. Das Kalb senkte den Kopf, stieß einen kurzen klagenden Schrei aus und ging dann ohne Zwang und Nötigung freiwillig über die Schwelle. In diesem Augenblick hatte ich die Lösung vieler Fragen, die mich damals quälten und wußte, was Freiheit, Schicksal, Frömmigkeit, Religion ist, wußte ich, was Wille, Bewußtsein, Geist, waches Wissen ist.
Frau Pannemeyer: Lieber Herr Professor, Sie denken zu viel und Ihr Gefühlsleben braucht dringend eine Auffrischung. Was meinen Sie, wollen Sie nicht heute abend in meine Küche kommen und wir kochen gemeinsam einen rein pflanzlichen Eintopf, mit Gemüse, das sämtlich aus meinem Gärtchen kommt?