A.: Das Bayerische Verwaltungsgericht hat im September 2022 zwei Klagen gegen den ›Kreuzerlaß‹ der Bayerischen Staatsregierung für zulässig, aber unbegründet erklärt.
B.: Was sagen Sie? Zulässig, aber unbegründet? Wie ist so etwas möglich und wie kann man sich so etwas überhaupt vorstellen?
A.: Ganz einfach. Es gibt einen Paragraphen der ›Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern‹ (AGO), der das Anbringen von Kreuzen, mit dem objektiv-rechtlichen Neutralitätsgebot des Staates in Konflikt bringt.
B.: Was ist los? Haben Sie etwas genommen?
A.: Beruhigen Sie sich. Das Kreuz sei als Symbol christlich-religiöser Überzeugung anzusehen, nicht aber nur als Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur, wie das die Bayerische Staatsregierung durch einen ihrer rechtlichen Vertreter vorgebracht hat.
B.: Ja, und?
A.. Nun, daraus folgt für das Gericht, daß dies noch keine einklagbaren subjektiven Rechte begründet.
B.: Ich verstehe gar nichts.
A.: Lassen Sie mich Ihnen auf die Sprünge helfen.
B.: Ich bitte darum.
A.: Einen Abwehranspruch könnten die Kläger nur dann geltend machen, wenn eines der Grundrechte verletzt sei, aus denen sich die staatliche Neutralitätspflicht herleite. Eine Verletzung der Kläger in ihrem Grundrecht auf Religions- und Weltanschaungsfreiheit läge aber nicht vor. Nach Paragraph 28 AGO würden die Kreuze im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebracht. Dies sei aber lediglich ein Durchgangsbereich.
B.: Ich fürchte, ich weiß schon, was Sie jetzt gleich sagen werden.
A.: Da könnten Sie recht haben. Behördenbesucher seien, so das Gericht in seinem Urteil, mit dem Kreuz »nur flüchtig« konfrontiert. Und dies unterscheide den vorliegenden Sachverhalt von Kreuzen, die in einem Schulklassenzimmer an der Wand angebracht seien.
B.: Aha, wenn also eine Nonne mit einem Kreuz auf ihrer Brust im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen an mir vorbeischlendert, handelt es sich dann auch nur um eine flüchtige Begegnung und daher werde ich durch die Nonne und ihr Kreuz noch nicht weltanschaulich beeinflußt. Es sei denn, es handelt sich vielleicht, und solche Fälle sollen ja schon vorgekommen sein, um eine ausgesprochen hübsche Nonne, und dann würde der Einfluß doch weit eher von ihrer körperlichen Attraktivität als von dem Kreuz auf ihrer Brust herrühren. Von jungen Nonnen kann ein ganz zauberischer Reiz ausgehen, denken Sie nur an die Fellini-Filme, und schon als junger Mann habe ich mir gelegentlich in katholischen Gegenden, vornehmlich in Italien, ausgemalt, wie es wäre, eine Nonne aufs Kreuz zu legen.
A.: Unterlassen Sie doch bitte diese Frivolitäten! Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil des weiteren ausgeführt, daß ein im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen angebrachtes Kreuz »ein im wesentlichen passives Symbol« sei. Es gehe daher von ihm weder eine missionierende noch eine indoktrinierende Wirkung aus. Auch eine den christlichen Glauben fördernde Wirkung sei durch dieses »passive Symbol« ausgeschlossen.
B.: Wenn man dieser Logik folgt, würde dann ein Hakenkreuz, das im Durchgangsbereich bayerischer Dienststellen angebracht wäre, auch als »passives Symbol« erscheinen?
A.: Natürlich nicht, denn das Hakenkreuz ist nach § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) verboten.
B.: Aber was soll man sich unter einem »passiven Symbol« vorstellen. Ist denn nicht jedes Symbol in sich bereits darauf gerichtet, einen Aufforderungscharakter zu haben?
A.: Oho! Da hat wohl jemand in seiner Jugend ein paar Semester Semiotik studiert?!
B.: Ihren herablassenden Ton können Sie sich sonstwo hinstecken!
A.: Nicht für ungut, Sie haben ja recht. Natürlich ist jedes Symbol nicht bloß ein Erkennungszeichen, das so tut, als verweise es nur auf sich selbst. Mit dem Wort Aufforderungscharakter haben Sie schon den Kern des Problems getroffen. Nationalflaggen werden gern von Demonstranten verbrannt, das Tragen von Kopftüchern von Staaten verboten, und das Kreuz war während der so genannten Kreuzzüge ganz sicher kein »passives Symbol«, es war das stolze Wahrzeichen des brutale Gewalt ausübenden Christentums, und das in der langen Zeit zwischen ungefähr den Jahren 1095/99 bis ins 13. Jahrhundert hinein.
B.: Zwischen einer und drei Millionen Menschen, Muslime, Juden, orientalische Christen wurden durch die insgesamt sieben Kreuzzüge ermordet. Alle im Namen des Kreuzes, das ein Bayerischer Verwaltungsgerichtshof im Jahre 2023 als »passives Symbol« benennt, ein Oxymoron, und so tut, als ginge von diesem grausamen Symbol keine missionierende Wirkung aus.
A.: Na ja, weil die heutigen christlichen Kirchen sich von der Gewaltanwendung abgewandt haben und zum Beispiel die ›Ökumenische FriedensDekade‹ sich für »Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung« einsetzt.
B.: Alles schön und gut, aber das dispensiert sie noch lange nicht von der in der Vergangenheit begangenen Verbrechen, die im Namen des christlichen Kreuzes ungestraft begangen worden sind.
A.: Da stimme ich Ihnen zu, aber was soll man machen, die Kirchen haben es verstanden, anders als viele Nationalstaaten, alle ihre Untaten zu überstehen und heute sind sie eben ein, wenn auch an Einfluß verlierender Teil der menschlichen Zivilisation.
B.: Um auf das postulierte »passive Symbol« zurückzukommen: Das ist doch ein hölzernes Eisen, ein Oxymoron, das nur geprägt wurde, um so zu tun, als handele es sich bei dem Kreuz um einen ästhetischen Wandschmuck, wo doch selbst der Ungebildetste intuitiv spürt, daß es ein kirchlich aufgeladenes Zeichen ist, das etwas repräsentiert, mit dem nicht jeder der Vorübergehenden sympathisiert.
A.: Da es sich um eine Verwaltungsvorschrift und nicht um ein Gesetz handelt, so das Gericht, entfalte diese keine unmittelbare Außenwirkung. Erst durch den behördlichen Umsetzungsakt der Anbringung eines Kreuzes könne es zu einer Konfrontation mit dem Glaubenssymbol und damit zu einem möglichen Eingriff in das Grundrecht auf Religions- und Weltanschaungsfreiheit kommen.
B.: Dazu fällt mir nur noch Augustinus ein, der in seinen Predigten an einer Stelle gesagt hat: »Si comprehendis, non est Deus« (Wenn du es verstehst, ist es nicht Gott).