Sobald mir mein Verstand sagte, es sei Zeit, Schluß zu machen, trat die Begehrlichkeit auf den Plan und flüsterte mir ins Ohr: »Sei nicht so töricht, bleib bei deinem Handwerk!« (Daniel Defoe: Moll Flanders, 1722)

Prof. Friedrich Lensing (steht mit einem Gartenschlauch am Zaun und ruft seiner ebenfalls mit einem Gartenschlauch hantierenden Nachbarin, Frau Pannemeyer, zu): Guten Tag, Frau Nachbarin, na, Sie hatten ja den gleichen Gedanken wie ich. Das ist aber auch dieses Jahr eine Sommerhitze, das hatten wir schon lange nicht mehr. 

Frau Pannemeyer: Wo Sie recht haben, haben Sie recht. Nun schauen Sie sich meinen Zwetschgenbaum an, der hängt so voll, man sieht die Blätter gar nicht mehr! Das muß alles abgeerntet werden, das wird noch eine Heidenarbeit. Und damit ist die Chose ja nicht vorbei, dann geht es erst richtig los. Aussortieren, waschen, aufschneiden, entkernen, Hefeteig vorbereiten, Butter, Zucker und Zimt zusammenrühren, den ausgerollten Teig mit den Zwetschgenspalten in Reih und Glied belegen, mit der Buttersoße einpinseln, und dann hinein damit in den Ofen. Meine Familie wartet schon auf den Kuchen, aber glauben Sie, die helfen mir? Nicht die Bohne! Futtern wollen sie den warmen Zwetschgenkuchen, aber keinen Handschlag dafür tun. So sieht es aus!

Prof. Friedrich Lensing: Na, das tut mir aber leid, daß alle Arbeit auf Ihren Schultern liegt. Andererseits, man kann diese schönen Früchte auch nicht am Baum verfaulen lassen. Ich würde Ihnen ja gern beim Abpflücken helfen, aber nun gucken Sie mich an: Soll ein älterer Herr mit einem krummen Rücken noch auf Bäume klettern? Wohl eher nicht.

Frau Pannemeyer: Ist schon gut, Herr Professor, ich weiß doch, daß Sie die besten Absichten haben, aber das würde ich nicht wollen, daß Sie in den Zwetschgenbaum steigen. Diesen Anblick könnte ich nicht ertragen. A propos ›Anblick‹. Haben Sie das gesehen? Diese Person, die eine Partei gegründet hat und ihren eigenen Namen als Namen der Partei gewählt hat? Diese Partei schimpft sich: ›Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit‹. Na, also wissen Sie, das ist doch die Höhe! Nicht einmal dieser Hitler hat seine Partei nach sich selbst benannt. Und da kommt diese Person daher und will Wählerstimmen einfangen mit ihrem Namen als Lockvogel! Unglaublich! Meine Tochter Biggi, Sie wissen, die Ärztin ist am Krankenhaus in Celle, die hat mir neulich gesagt: Jaja, die weiß wie man es macht heutzutage: Ich! Ich! Ich! Dazu zieht diese Person bei jedem Auftritt ein neues teures Kostüm an und tut so, als sei das Politik. Im Parteiprogramm kommt das Wort ›Sozialismus‹ nicht mehr vor. Diese Wagenknecht war doch immer eine lupenreine Kommunistin. Und da kommt diese Person daher und antwortet, wie mir Biggi erzählt hat, als sie 1996 die schönste ihrer vielen Blusen zur Verlosung für eine Abonnement-Werbekampagne der Tageszeitung ›Junge Welt‹ gespendet hatte, auf die Frage eines Journalisten, wie viele Blusen sie spenden würde, wenn es die DDR wieder gäbe, sie geantwortet hat: »Natürlich alle, die ich habe!«

Prof. Friedrich Lensing: Das erinnert mich an Schopenhauer. Der hat eine Abhandlung geschrieben mit dem Titel ›Von dem, was Einer vorstellt‹. Darin setzt er auseinander, daß es im Menschenleben wenig darauf ankomme, was man ist, viel aber auf die Meinung der anderen, für welche man ›etwas bedeutet‹. Diese Dame spielt mit unseren Illusionen. Sie weiß, daß die Menschen zunächst immer auf das äußere Erscheinungsbild schauen. Und da sie nicht ganz unattraktiv ist, kleidet sie sich schick, tritt als große elegante Dame auf und meint, das reiche schon aus, um die Sympathie ihrer Wähler zu gewinnen. Ein Programm würde da nur im Wege sein. Sie ist das Programm, und deshalb scheint es mir auch nur konsequent zu sein, daß sie sich selbst in den Mittelpunkt der Partei stellt und ihren Namen als Markenzeichen für diese Partei gewählt hat.

Frau Pannemeyer: Meine Biggi sagt aber auch, das sei nicht demokratisch, alle Führungspersonen müssen sich innerhalb der Partei immer wieder zur Wahl stellen, aber wenn eine Partei, also diese ›Sahra-Partei‹, auf eine Person zugeschnitten ist, dann kann das nicht den Grundsätzen der innerparteilichen Demokratie gemäß sein. Obwohl, wie mir Biggi auch gesagt hat, diese Eine-Frau-Partei soll nach den Verlautbarungen dieser Partei sich umbenennen, sobald sie sich etabliert hat. Wann und wie diese Umbenennung erfolgen soll, wird in den vorliegenden Äußerungen dieser Partei nirgendwo gesagt. Wissen Sie, was ich glaube? Das ist dann doch der bis auf die Spitze getriebene Personenkult, den man damals in der DDR und der Sowjetunion betrieben hat. Ich erinnere mich noch an diese Fernsehübertragungen im DDR-Fernsehen, zum 1. Mai, wo man auf den Straßen von Ost-Berlin die vielen Menschen gesehen hat, die große Plakate vor sich hertrugen mit Fotos von Ulbricht und Honecker. Ekelhaft war das, diese häßlichen alten Männer, denen da ungeniert in aller Öffentlichkeit gehuldigt wurde! 

Prof. Friedrich Lensing: Was weiß denn der Eine vom Anderen? Daß du blonde oder schwarze Haare hast, daß du einen Bart trägst oder nicht, daß du groß oder klein bist. Nach solchen Merkmalen, wie sie unmittelbar in die stumpfen und dumpfen Sinne fallen, bauen sich die Menschen ihr Weltbild. Nur die Bedürfnisse, Vorurteile, Wünsche, Sehnsüchte verraten, welches Weltbild man sich zurechtgemacht hat. Diese Dame, die sich selbst zur Wahl stellt, ist für die Wähler nur die Illusionsfassade, an denen sich diese Sehnsüchte emporranken. Um die Phantasie der Massen in Gang zu setzen, ist es notwendig, daß man die Gelegenheit bekommt, sich aus diesen Personen ›etwas zu machen‹. Napoleon nennt das ›Prestige‹.

Frau Pannemeyer: Ja, da haben Sie schon recht. Was mich aber ganz besonders empört bei dieser Person, das ist, daß sie sich an einen aufs Altenteil verschobenen Politiker rangeschmissen hat. Der Altersunterschied beträgt sechsundzwanzig Jahre. Das ist doch keine Liebe, da können Sie mir nicht mit kommen. Das ist doch eiskalte Berechnung von dieser Person. Nein, es ist abscheulich, wozu die Menschen fähig sind, sich dermaßen zu prostituieren, nur um Macht zu bekommen. Dieser alte Mann dient der Dame doch nur dazu, seine politischen Erfahrungen anzuzapfen und für ihre Karriere auszunutzen. Denn darum geht es dieser Person doch einzig und allein. ›Vernunft und Gerechtigkeit‹! Das steht gleich hinter diesem Kürzel ›BSW‹. Vernunft und Gerechtigkeit, was für ein Quatsch! Früher hat man solche leeren Redensarten mit der Formel gekontert: ›Friede, Freude, Eierkuchen‹. Ekelhaft!

Prof. Friedrich Lensing: Grämen Sie sich nicht, liebe Frau Pannemeyer, es hilft ja nichts. Die Welt will betrogen sein. Es wird immer wieder solche Personen geben, die nach dem Motto Schopenhauers handeln, wonach es nur darauf ankommt, was einer in den Augen der Gesellschaft ›vorstellt‹, und viele werden immer wieder darauf hereinfallen. Aber wie es im Schlußsatz von Voltaires ›Candide oder Der Optimismus‹ aus dem Jahre 1759 heißt: »Aber wir müssen unsern Garten bestellen.« Und ich glaube, Ihr Zwetschgenbäumchen hat jetzt genug Wasser bekommen. Legen Sie ruhig den Gartenschlauch beiseite und gehen Sie  ins Haus und kochen Sie sich eine Tasse Tee zur Aufmunterung und Beruhigung. Und morgen nachmittag, wenn Ihr Zwetschgenkuchen auf dem Tisch stehen wird, werde ich Sie besuchen und dann wollen wir gemeinsam diesen schönen Gartensommer feiern.