Let me take you down
‚Cause I’m going to strawberry fields
Nothing is real
And nothing to get hung about
Strawberry fields forever
Living is easy with eyes closed
Misunderstanding all you see
It’s getting hard to be someone, but it all works out
It doesn’t matter much to me
(The Beatles: Strawberry Fields, 1967)

(Der Kontaktbereichsbeamte Karl-Heinz Lindmüller spricht zu einem imaginären Publikum)

Tja, einfach ist das nicht, aber wenn Sie es so ausdrücklich wünschen, erkläre ich es Ihnen natürlich gerne. Die niedersächsische Landesregierung hat ein Jahr nach der Teil-Legalisierung von Cannabis einen neuen Bußgeldkatalog verabschiedet. Danach darf der Konsument sich nicht in der unmittelbaren Nähe von Minderjährigen aufhalten, aber auch das Rauchen einer auf Cannabis-Basis produzierten Zigarette in der Fußgängerzone ist unerlaubt, es sei denn, es geschieht nach Einbruch der Dunkelheit, weil dann Minderjährige nicht mehr auf der Straße anzutreffen sind. So jedenfalls die Normalvorstellung über das Verhalten von Jugendlichen in diesem Staat (seufzt). Die zuständigen kommunalen polizeilichen Ordnungskräfte sollen dabei ihre Kontrollen ähnlich wie bei Parkverstößen vornehmen. Eine Bestimmung des neuen Bußgeldkatalogs weckt Erinnerungen an die Zeit im Corona-Lockdown: Ein Bußgeld in Höhe von 250 bis 1000 Euro soll ausgesprochen werden, wenn jemand mehr als 30 Gramm Cannabis an einem Ort bei sich führt — der nicht sein Wohnort ist! Im April 2020 wurden Fälle bekannt, wo die sächsische Polizei einen Strafbefehl gegen ein Paar beantragte, das beim Wandern 50 Kilometer entfernt von seinem Wohnort angetroffen wurde; ein Student wurde aus dem Wohnhaus seiner Eltern verwiesen, weil er den Erstwohnsitz am Studienort hatte; die Schriftstellerin Monika Maron erhielt in Mecklenburg-Vorpommern eine Ausreiseverfügung aus ihrem Landhaus, das sie zum Schreiben vorübergehend gemietet hatte, da es nicht mit ihrem Erstwohnsitz identisch war. Solche Fälle von Grundrechtsverletzungen waren damals in großer Zahl zu beklagen, Fälle, in denen sich im Großen wie im Kleinen die exekutive Selbstermächtigung eklatant zeigte. Der neue Bußgeldkatalog der niedersächsischen Landesregierung führt diese fatale Praxis fort. Es kommt aber noch besser: Erwachsene dürfen an ihrem Wohnort bis zu drei Cannabispflanzen anbauen, für den eigenen Verbrauch. Wer das kontrolliert? Fragen Sie nicht mich! In der Regel ist der Anbau von Hanf im Schrebergarten nicht erlaubt, sagt das Bundesgesundheitsministerium. Was heißt schon in der Regel? Wer kontrolliert das? Da sieht es schon besser aus, denn ihr Nachbar interessiert sich schon für das, was auf Ihrem Grundstück wächst, ob der Rasen ordentlich gemäht ist und kein Müll herumliegt. Schließlich gibt es ja einen untergründigen Wettbewerb bei den Schreberleuten, jeder will doch gut dastehen und ein vorzeigbares Gärtchen sein eigen nennen können. Für manche sieht auch Gott von oben herab und bemerkt, ob Sie unanständig oder nett sind. Oder ist das Santa Claus, der das macht? (seufzt). Wissen Sie, ich habe ja nicht von der Pike auf bei der Polizei studiert, ich bin promovierter Wissenschaftler. Chemie war mein Hauptfach, aber meine private Passion ist die Literatur, genauer: die französische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Ich habe sie alle gelesen, das dürfen Sie mir glauben, alle! Nennen Sie mir irgendeinen französischen Schriftsteller, der Ihnen gerade einfällt! Ich habe sie alle gelesen, und nicht nur ein Werk, sondern das gesamte Œuvre. Balzac, Flaubert, Stendhal, Victor Hugo, Zola, Baudelaire, Proust, Anatole France, Huysmans, Maupassant. Wenn ich den Namen Schlumberger fallen lasse, denken die Leute, die Besserverdienenden wie die wenigen Gebildeten unter ihnen, an die Champagnermarke, aber ich meine natürlich Jean Schlumberger, den Schriftsteller und Publizisten. Na, lassen wir das. Perlen vor die Säue. Wen interessiert’s? Keinen. Mit dem akademischen Grad eines Dr. rer. nat. habe ich in Chemie dann mit summa cum laude promoviert und lange Jahre in einem chemischen Großbetrieb gearbeitet als Laborleiter. Aber das waren keine schönen Jahre, weil man gezwungen war, Stoffe zu entwickeln, die nur die Umwelt vergiftet haben und natürlich die Menschen dazu. Irgendwann hatte ich dann genug davon, sollen andere neue Giftstoffe entwickeln und die Menschheit umbringen. Das wollte ich nicht mehr. Auch waren die langen Stunden im Chemielabor von großer Einsamkeit geprägt. Das habe ich auf die Dauer nicht mehr ausgehalten. Und so habe ich dann einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Genug Geld hatte ich mittlerweile auf der hohen Kante, ich brauchte mich nicht mehr meistbietend zu verkaufen. Und so bin ich denn zur Polizei gegangen. Ja, man glaubt es nicht, aber seit ich ein einfacher Kontaktbereichsbeamter bin, hat meinen Leben wieder einen Sinn bekommen. Man ist jeden Tag an der frischen Luft, kommt im Viertel, für das man zuständig ist, herum, lernt die Leute kennen und hat menschlichen Kontakt. Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum ich eben von den Schreberleuten, den kleinen Leuten mit Schrebergarten, gesprochen habe. Da in meinen Zuständigkeitsbereich so eine Schrebergartenkolonie fällt, werde ich ständig eingeladen zum abendlichen Grillen im Sommer oder sonstigen geselligen Aktivitäten. Irgendwann habe ich denen dann vorgeschlagen, mal einen französischen Abend zu veranstalten. Das ist zunächst bei einigen der Leutchen falsch verstanden worden, die alten Klischees über die Franzosen, Sie verstehen schon. Nein, ein Leseabend mit ausgewählten Stücken aus der französischen Hochliteratur war natürlich gemeint. Sie glauben es nicht, das hat dann eingeschlagen wie nur irgendwas. Man muß die Leute nur zu nehmen wissen, dann fressen sie einem aus der Hand.Wußten Sie, daß dieser Baudelaire gegen den Verbrauch von Haschisch war? Sehen Sie, das haben Sie nicht gewußt, doch immerhin sagt Ihnen der Name Baudelaire noch was. Ja, bei so einem Antibürger nimmt man leichtfertig an, er wäre auch ein starker Drogenkonsument, aber denkste, der hat selbst diese milde Form der Berauschung abgelehnt, auch wenn er über die ›künstlichen Paradiese‹ geschrieben hat. Und wieso? Im Name der Willensfreiheit und der Poesie! Ich bediene meine Schreber gelegentlich auch mit leichten Themen. Die sitzen ja am Abend zuhause meist vor dem Fernsehapparat, aber die schauen nicht mehr das laufende Programm, davon haben sie sich schon lange verabschiedet. Die gucken Serien, vornehmlich aus den USA. Zwischen 2005 und 2012 gab es in den USA die sehr erfolgreiche Serie ›Weeds‹. Aber glauben Sie, daß irgendein deutscher Sender das in synchronisierter Fassung gebracht hat? Fehlanzeige. Ja, ich weiß, Streamingdienste sind da eingesprungen, aber das mögen meine Schreber nicht so, das kostet Abonnement-Gebühren und man muß sich binden. Das gefällt denen nicht. Schließlich gab es nach einigen Jahren tatsächlich eine vollständig deutsch synchronisierte Fassung als DVD-Box. Die haben sich einige der Feierabend-Gärtner dann doch angeschafft. Und waren begeistert. Ich habe dann mit der ganzen Autorität meines Kontaktbereichsbeamtentums sie darauf hingewiesen, daß es gegen deutsche Gesetze verstößt, Cannabis in großen Mengen in Gewächshäusern auf dem Gelände der Schrebergarten-Kolonie anzubauen. Das ist ja schon in der Fernsehserie absolut illegal, und der Reiz der Handlung besteht natürlich darin, daß man das geheim halten muß, es aber dann doch langsam durchsickert und es auch noch Konflikte mit brutalen örtlichen Dealern gibt, die das alles kostenlos einkassieren wollen. Was soll man machen, wenn der Anbau von Cannabis im Schrebergarten grundsätzlich verboten ist? Die klassische Antwort: Alkohol. Dagegen hat der Staat nichts einzuwenden, denn er verdient kräftig mit beim Erwerb jeder Flasche Wein oder Schnaps. Na denn Prost! So gibt es auf dem Schrebergarten-Terrain denn auch inzwischen viel mehr feuchtfröhliche Partys mit jeder Menge Alkohol und der Kontaktbereichsbeamte hat nur die Wahl, da mitzutrinken oder wegzubleiben. Ich will Sie jetzt nicht langweilen mit der Aufzählung der vielen Schriftsteller, die früh an Alkoholmißbrauch gestorben sind. Was soll’s? Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Ich bin eben ein überqualifizierter Wissenschaftler, der seinen täglichen Stiebel macht. Für die Miete, Essen und Trinken reicht’s. Was sagen Sie? Ich sei doch Chemiker? Ja, sicher bin ich promovierter Chemiker, und ja, sicher hat es Anfragen gegeben, ob ich vielleicht auf einem ländlichen Areal ein kleines Meth-Labor einrichten möchte. Das Wissen ist ja da, aber dagegen sträubt sich bei mir dann doch alles, man hat ja schließlich eine Art ethisches Gewissen. Es gibt ohnehin genug Leiden auf der Welt. Das muß ich doch mit einem Meth-Labor nicht noch vergrößern, obwohl natürlich die in Aussicht gestellten Gewinnspannen beträchtlich sind. Was? Sie wissen nicht, was Meth ist? Methamphetamin, eine euphorisierende und stimulierende Rauschdroge. Auch als ›Panzerschokolade‹ in einschlägigen Kreisen bekannt. Eine der fürchterlichsten, lebensgefährlichsten Drogen überhaupt, und dabei spottbillig, was für die Ausbreitung auf dem Konsumentenmarkt sich äußerst günstig auswirkt. Selbstverständlich ist die private Herstellung absolut illegal. Aber das Bundesgesundheitsamt und die zuständigen Landesverwaltungen haben nichts Besseres zu tun als bekanntzugeben, daß nicht mehr als drei Blumentöpfe mit Cannabis auf dem Balkon erlaubt sind. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, hat der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel einen alten Scherz genannt, den man schon zu seiner Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, nicht mehr ernst nehmen konnte, da in einem Staat, wo der Herrscher von Gottes Gnaden regiert, dieser Spruch Geltung hatte, denn in einem solchen Statt durfte es keine dummen Beamten geben, sonst hätten die Untertanen an der guten Ordnung zu zweifeln begonnen. Der Bußgeldkatalog der niedersächsischen Landesregierung gehört aber mit Sicherheit zu den behördlichen Maßnahmen, wo man nur die Hände gen Himmel heben und aus tiefsten Herzen seufzen kann: »Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand!« So! Und jetzt muß ich aber los und meine tägliche Runde absolvieren, aber vorher gebe ich Ihnen noch einen Tip, wie Sie völlig kostenlos und ohne Gefahr für Leib und Leben sich einen körpereigenen Rausch verschaffen können. Lesen Sie das Buch von Josef Zehentbauer: Körpereigene Drogen. Die ungenutzten Fähigkeiten unseres Gehirns, zuerst 1992 erschienen und danach immer wieder neu aufgelegt. Schauen Sie sich erst einmal das kurze Kapitel über die ›Methoden zur Mobilisierung körpereigener Drogen‹ an. Da werden Sie staunen, was man alles ohne Cannabis und Panzerschokolade erreichen kann: »Ekstatisches Tanzen fördert die Ausschüttung von Noradrenalin, Adrenalin, Schildrüsenhormonen und Endorphinen.« Ich glaube, ich werde meinen Schrebergärtnern demnächst einen Tanzabend vorschlagen, damit sie auf andere Gedanken und von der Haschisch-Versuchung wegkommen. Ich habe zuhause noch jede Menge Langspielplatten aus den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. (Entfernt sich langsam und fängt an, den Song von The Doors, ›Break On Through to the Other Side‹ zu summen).

You know the day destroys the night
Night divides the day
Tried to run, tried to hide
Break on through to the other side
Break on through to the other side
Break on through to the other side, yeah