A. Haben Sie gehört? Der russische Dirigent Valery Gergiev ist fristlos entlassen worden!
B. Ja, von dem habe ich schon gehört. »The world’s busiest conductor«, schrieb die ›New York Times‹ über ihn. Zum Arbeitsamt muß der nicht.
A. Das ist richtig, aber die Umstände seiner Entlassung sind interessant. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister von München hat dem Dirigenten nämlich vor die Alternative gestellt, entweder die russische Invasion in der Ukraine öffentlich zu verurteilen oder aus seinem Amt als Dirigent der Münchner Philharmoniker entfernt zu werden.
B. Hat er sich denn während seiner Tätigkeit etwas zuschulden kommen lassen? In diesem Kulturbereich läßt man sich ja gerne gehen. Sexuelle Belästigung ist immer noch en vogue.
A. Wo denken Sie hin! Ich habe doch eben gesagt, er wurde vom Oberbürgermeister mit einer Entscheidung konfrontiert: Entweder-Oder. Nichts ist vorgefallen, er hat keine silbernen Löffel gestohlen und niemanden betatscht.
B. Ah, ich verstehe. Dann hat er aber für Rußlands brutalen Krieg unter den Orchesterkollegen Reklame gemacht. Oder hat er eine Rede in München vor Publikum gehalten, wo er den Krieg als gerechtfertigt verteidigt hat?
A. Durchaus nicht, ganz und gar nicht. Er ist aber seit vielen Jahren ein Protegé des Herrn Putin, wenn Sie verstehen, was ich meine: Der Dirigent ist durch ihn unglaublich reich geworden, und er absolviert ja nicht nur in Rußland Dirigate, er ist ein Tausendsassa, er dirigiert praktisch auf allen Kontinenten.
B. Das bedeutet dann aber, daß er zwar ein Freund des Herrn Putin ist, er aber sich während seiner Arbeitszeit in München mit politischen Äußerungen zurückgehalten hat.
A. Ja, das reichte aber dem Oberbürgermeister von München nicht, es drängte ihn danach, ihn zu fragen, wie er sich entscheiden möchte.
B. Entscheiden möchte? Hat man ihm mit dieser Frage, oder genauer: dieser Forderung, nicht die Pistole auf die Brust gesetzt? Entweder-Oder? Und wenn er nun dem Verlangen des OB nachgekommen wäre, wieviel wert wäre denn diese Aussage gewesen, wenn alle Welt weiß, daß der Dirgent und Putin seit langem Spezis sind?
A. Wenn der Dirigent nur ein mittelloser Kapellmeister mit einer Frau und vier Kindern gewesen wäre, wäre seine Entscheidungsfreudigkeit sicher in Richtung Verdammung des Ukraine-Überfalls geleitet worden, denn Kunst geht bekanntlich nach Brot, und wer so grade von seiner Kunst leben kann, riskiert nicht seinen Arbeitsplatz nur wegen einer simplen Meinungsäußerung.
B. Sie meinen, wenn er bloßen Lippendienst abgeleistet hätte und jeder wüßte, daß man auf diese Meinung nichts geben kann, weil sie nicht aus voller Überzeugung gesagt worden ist. Ja, wenn man die Umstände, die zu dieser Äußerung geführt haben, berücksichtigt, man sogar sagen könnte, das Bekenntnis wäre erpreßt worden?
A. In der Tat, so sieht es aus. Das hat aber den Oberbürgermeister nicht davon abgehalten, vor allen Leuten, in aller Öffentlichkeit zu erklären, es sei die einzige Option für ihn gewesen, den Dirigenten zu entlassen, nachdem er auf das vom OB gestellte Ultimatum nicht geantwortet hatte. Wenn er nicht den Überfall verurteilt, habe man keine andere Wahl als die, ihn sofort zu entlassen.
B. Man fragt sich, für wie realistisch der Oberbürgermeister es überhaupt gehalten hat, daß er von dem Dirigenten die ihm genehme Antwort bekommen würde.
A. So ist es. Wenn man weiß, daß jemand in vielfältiger Weise mit einem Politiker verbunden ist und er bis heute von dieser Beziehung ungeheuer profitiert, finanziell profitiert, wie ernst ist es dann einem Stadtoberhaupt mit seinem Ansinnen, und hat er jemals erwartet, daß er die gewünschte Antwort, ja die Unterwerfung unter seine Forderung erhalten würde.
B. Diesem schwerreichen Dirigenten geht doch, wie meinem Freund, dem Hinrainer Rudi, der gleichfalls unglaublich viel Geld hat, die Demokratie am Arsch vorbei.
A. Ja, das kann man mit dieser volkstümlichen Drastischkeit wohl so sagen. Und es schließt sich die Frage an, was es den von den Russen beschossenen Ukrainern eigentlich bei ihrem Widerstand gegen die Invasoren praktisch hilft.
B. Ich glaube, das ist Menschen, die in täglicher Not um ihr Leben und ihre Existenz kämpfen, schnurzegal. Das ist eine rein ideologische Angelegenheit, bei der die eine Seite die andere Seite in die Knie zwingen will, einfach aus dem Motiv heraus, daß man im Moment die öffentliche Meinung hinter sich weiß. Denn es haben sich inzwischen auch andere Veranstalter von dem Dirigenten getrennt, ja sogar sein Manager hat sich von ihm verabschiedet. Man will nicht in Kontaktschuld geraten. Das ist Gift in der reinsten Form.
A. Es ist Gesinnungsjustiz. Und was hilft es, wenn man dem einem Regime verpflichteten Musiker, der finanziell nichts zu befürchten hat, mit einem Glaubenseifer sinnlose Bekenntnisse abverlangt. Arbeitsrechtlich ist das jedenfalls noch nicht gelöst, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß, wenn der Dirigent vor dem Arbeitsgericht gegen die Stadt München klagt, das Gericht sich einfach auf die Seite eines Politikers schlägt, der als Oberbürgermeister einen Beschäftigten völlig losgelöst von feststellbaren Vorkommnissen wegen einer unterstellten falschen Gesinnung schuldig spricht.
B. Das wird teuer. Die richtige Gesinnung ist aber in Deutschland immer schon eine ganze besondere Spezialität gewesen. Dafür hat man Geld, Leben und Existenz gerne geopfert. Gesinnungsidealismus führt immer zum Gesinnungsterror. So kommt es zu einem selbst importierten Kriegszustand inmitten einer zivilen Gesellschaft. Die Abschwörung vom Glauben ist eine Hinterlassenschaft des Mittelalters, aber manchmal hat man das Gefühl, daß dieses Mittelalter noch lange nicht vorbei ist.
A. Die Abschwörung war ja in der römisch-katholischen Kirche ein Teil der Aufnahme in ihrem Schoß. Abrenuntiatio diaboli, Absage an den Teufel, nannte man das, wenn jemand vor der Aufnahme oder Wiederaufnahme in die alleinseligmachende Kirche stand. So konnte sich der Gläubige, der unter den Verdacht der Häresie gekommen war, freischwören von der ihm zur Last gelegten Ketzerei.
B. Eppur si muove! (Und sie bewegt sich doch!) soll der Astronom Galileo Galilei nach seiner Verurteilung durch die katholische Inquisition beim Verlassen des Gerichts gemurmelt haben.