Unter einem Regenschirm am Abend, / hängt man sich zum ersten Male ein. / Unter einem Regenschirm am Abend, / kann es Gottseidank, nicht anders sein! / Mancher Wunsch wird wach, / manches Herz wird schwach, / wenn es tropft, wenn es klopft / auf ein Regendach. / Und dann denkt sich so ein Schirm am Abend: / Sagt euch ruhig du, ich deck euch zu.
(Alexander Steinbrecher: Unter einem Regenschirm am Abend, 1942)

Der Verteidigungsminister wirbt für einen ›Veteranentag‹ und hält es für »eine richtig gute Idee«, so als würde das zum ersten Mal in der politischen Öffentlichkeit diskutiert werden, wiewohl bereits im Jahre 2011 der damalige Verteidigungsminister den in Deutschland historisch belasteten Begriff des Veteranen (Kriegervereine) ins Spiel gebracht und für einen Veteranentag sich ausgesprochen hatte, dann aber der Vorschlag wieder in der Versenkung verschwand; im Jahre 2018 war es dann die damalige Verteidigungsministerin, die verkündete, daß »alle Veteranen eint, ob sie in Auslandseinsätzen, im Kalten Krieg oder im Grundbetrieb gedient haben, daß sie sich in der Uniform der Bundeswehr für Frieden und Freiheit eingesetzt haben«  — und damit wurden plötzlich alle Soldaten der Bundeswehr zu Veteranen erklärt. In einem Tagesbefehl bestimmte sie, daß von nun an »Veteranin oder Veteran der Bundeswehr ist, wer als Soldatin oder Soldat der Bundeswehr im aktiven Dienst steht oder aus diesem Dienstverhältnis ehrenhaft ausgeschieden ist, also den Dienstgrad nicht verloren hat.« — und während nach diesen Absichtserklärungen erneut weiter nichts geschah, wird nun 2023 zum drittenmal ein Vorstoß unternommen, die im Kriegseinsatz versehrten Soldaten mit einem Veteranentag zu ehren. Damit nicht genug, die seit 2014 bestehenden, auf eine Anregung des Duke of Sussex zurückgehenden ›Invictus Games‹ sollen den verwundeten Veteranen das Gefühl geben, daß sie von der Gesellschaft nicht vergessen worden sind. Diese Veteranen müssen mit Prothesen und Rollstühlen zurechtkommen und sind durch kontinuierliches sportliches Training in der Lage, unter Wettkampfbedingungen Sportarten wie Leichtathletik, Bogenschießen, Hallenrudern, Gewichtheben, Straßenradrennen, Sitzvolleyball, Schwimmen, Rollstuhlbasketball, Rollstuhlrugby und Tischtennis auszuführen.

Invictus heißt auf Deutsch: unbezwungen, unbesiegt. So begrüßte im Dezember 1918 der damalige ›Volksbeauftragte‹ Friedrich Ebert die aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrenden deutschen Soldaten mit den Worten: »Kameraden, willkommen in der Deutschen Republik. Eure Opfer und Taten sind ohne Beispiel. Kein Feind hat Euch überwunden. Erhobenen Hauptes dürft Ihr zurückkehren.« Es ist wohl unvermeidlich und liegt tief in der menschlichen Psyche begründet, daß man selbst nach einer katastrophalen militärischen Niederlage diese Niederlage in einen moralischen Sieg umzuwandeln bestrebt ist. Nach dieser Logik hat es niemals einen Verlierer gegeben, sondern alle am Krieg beteiligten Nationen haben am Ende einen Sieg davongetragen.

Wer aber könnte gegen solche Sport-Veranstaltungen wie die ›Invictus Games‹ etwas einwenden, wo die Soldaten, die durch den Krieg zu Krüppeln geworden sind, ihre sportliche Tüchtigkeit unter Beweis stellen? Man könnte höchstens fragen, ob Gesellschaften, die militärische Aufträge ausführen, überhaupt der Soldaten noch bedürfen, zumal unter Bedingungen der »nuklearen Teilhabe«, worunter zu verstehen ist, daß die Bundesrepublik Deutschland im Falle eines Atomkriegs von den USA unter deren Fittiche genommen würde und die deutsche Luftwaffe dann »taktische« Atomwaffen als todbringende Fracht abzuladen hätte. Das soll der »nukleare Schutzschirm« gewährleisten. Man darf diesem Schirm nicht zu viel zumuten, denn das feindliche Lager wird ebenfalls über einen solchen Schirm verfügen, doch wenn eine Seite mit der Anwendung von Nuklearwaffen beginnt, ist es schon sinnlos geworden, dies nachzuahmen, denn mit dem Erstschlag stehen dann beide Lager im Regen. Ein »nuklearer Schutzschirm« ist eben nur Semantik, kein wirkliches Sicherheitssystem. Und auch wenn der Einsatz solch furchtbarer Waffen in der offiziellen Rhetorik gern als Mittel der »Abschreckung« deklariert wird, so bleibt doch die Frage, auch angesichts der vorhandenen fliegenden Tötungsmaschinen, wieso die Fortsetzung heutiger Kriege unter Beteiligung von Soldaten am Boden noch erforderlich erscheint.

Es gibt heute autonome Waffensysteme, Killer-Roboter und Killer-Drohnen, deren Entscheidungsgrundlage für die Kriegsführung ein Algorithmus ist. Die Weltgesellschaft ist fasziniert von der Macht vollautomatisierter Systeme, die aus der Ferne zu bedienen sind und die mit mehr oder weniger hoher Präzision ihre Ziele erreichen. Die Sprengkraft heutiger Nuklearbomben übertrifft überdies die der Hiroshima-Bombe um ein Vielfaches.

Des Verteidigungsministers Soldaten sollen keine Helden mehr sein, das ist von gestern, Veteranen sollen sie sein, Opfer kriegerischer Einsätze, denen er einen schönen Gedenktag einrichten will, keinen Heldengedenktag, denn das ist nicht mehr zeitgemäß. Helden nennt man heute vorzugsweise Sportmannschaften wie die deutsche Basketballmannschaft, die gerade Weltmeister in dieser Sportart geworden ist. Ein Veteranentag ist ein anachronistisches Unterfangen, denn der einzelne Soldat bedeutet nichts mehr im Vergleich zu den Tötungsmaschinen, die in immer größerer Zahl auf der ganzen Welt lagern und auf ihren Einsatz warten.

Was macht man nach einem thermonuklearen Krieg? Man weist jedenfalls nicht mehr auf den Atomwaffensperrvertrag hin, an den sich viele Länder heute nicht mehr gebunden fühlen. Kommt der »nukleare Winter«, braucht man keinen »nuklearen Schutzschirm« mehr. Wie sagte Wolfgang Neuss 1965? »Was mache ich im Falle eines Atomangriffs? Ich hülle mich in mein Bettlaken und gehe gemächlich zum Friedhof. Warum gemächlich? Damit keine Panik ausbricht.«