Wer will unter die Soldaten / der muß haben ein Gewehr, / das muß er mit Pulver laden / und mit einer Kugel schwer. / Büblein, wirst du ein Rekrut / merk dir dieses Liedlein gut / Pferdchen munter, immer munter / lauf Galopp, hopp, hopp, hopp.(Friedrich Güll: Wer will unter die Soldaten, 1868)
Am Gartenzaun
Frau Hebestreit und Frau Pannemeyer unterhalten sich.
Frau Pannemeyer: Ja, guten Morgen, Frau Hebestreit, auch schon auf, na, das ist heute aber ein Wetterchen, nüch?
Frau Hebestreit: Das können Sie so sagen, ja, nach dem vielen Regen freut man sich doch, daß die Sonne den ganzen Tag wieder scheint. Sie sollten deshalb aber auch einen Sonnenhut tragen, wie leicht bekommt man einen Sonnenstich.
Frau Pannemeyer: Da haben Sie recht, aber im Moment geht es noch ganz gut ohne. Ach, es ist doch schön, wenn man ein Stückchen Garten sein eigen nennen darf, auch wenn es viel Arbeit macht und das Wetter doch sehr launisch ist. Nicht zu reden von den vielen Schädlingen, die an meinen Pflanzen herumkauen.
Frau Hebestreit: Wie ich gehört habe, ist Ihre Tochter am Wochenende in Eckernförde gewesen.
Frau Pannemeyer: Ach Gott, ja, leider, muß man sagen. Sie ist ja als Kind schon ein Wildfang gewesen, hat sich immer gern mit den Jungs geprügelt, und manch einer von denen ist heulend zu mir gekommen und hat sich bitter beklagt, wie unsere Jasmin ihn mit den Fäusten behandelt hat. Ich hatte dann immer schon ein Stück Kuchen in Bereitschaft, damit der arme Junge über den Schmerz hinwegkommt. Süßes schließt alle Wunden, nüch? Aber nun ist unsere Jasmin doch tatsächlich in Eckernförde gewesen, bei der Bundeswehr, wo man den jungen Leuten das Leben beim Militär schmackhaft machen will. Die haben da, warten Sie, wie schimpft sich das jetzt gleich? … richtig: Marine …stütz … punkt. Also Unterwasserboote sind da zu sehen, und Jasmin ist dann auch gleich in so eins geklettert, also mutig ist sie ja schon, die Kleine. Für mich wäre das nichts, in so ein enges U-Boot zu steigen, wo man dann die Aussicht hat, für die nächsten Monate mit ein paar Dutzend Menschen zusammenzuhocken. Da hört das Leben doch eigentlich auf, wenn man keinen Moment mehr für sich allein verbringen kann. Gehen Sie mir los, ich bin doch nicht als Kieler Sprotte auf die Welt gekommen. Und nun will Jasmin doch tatsächlich nach dem Abitur zur Marine gehen. Was soll das nur werden, frage ich Sie?!
Frau Hebestreit: Es kann aber auch eine gute Charakterschulung sein, gerade wenn Ihre Jasmin immer ein wenig zur Gewalttätigkeit geneigt hat. Das Militär ist doch kein Prügelverein, da wird Disziplin und Kameradschaftsgeist gelernt, da bekommt man was fürs Leben mit. Na ja, dennoch, was wollen junge Mädchen beim Militär? Es gibt doch genügend schöne zivile Berufe, die sie ergreifen können. Unsere Biggi ist als Ärztin im Krankenhaus in Celle gut aufgenommen worden, sie hat dort eine schöne Position und es ist doch täglich immer von neuem eine Freude, wenn man kranken Menschen helfen kann.
Frau Pannemeyer: Wie recht Sie haben, ach!, aber leider hat Jasmin an so einem Beruf nicht das geringste Interesse, sie ist eine unruhige Hummel, die ständig etwas Aufregendes erleben will, und sie meint, da käme die Bundeswehr gerade recht. Da stand ein Bundeswehr-Bus in Eckernförde, sagt Jasmin, darauf stand geschrieben: »Mach, was wirklich zählt!« Ich traue solchen Sprüchen ja nicht, das kann man doch leicht auf andere Berufe übertragen, aber sagen Sie das mal diesem Gör. Ausgeschlossen, die hat sich regelrecht verbohrt in dieses Militärische, und ganz besonders die Schiffe und Unterseeboote haben es ihr angetan. Dabei habe ich sie als Kind kaum einmal zum Schwimmen ins Wasser bekommen, man mußte sie geradezu hineintreiben. Sie ist schon ein sehr eigensinniges Mädchen.
Frau Hebestreit: Immer noch besser, als wenn sie den ganzen Tag am Computer herumhängt und womöglich noch eine eigene Seite im Internet hat. Es gibt da ja ganz junge Mädchen, die mit Schminktips Millionen von Anhängern haben, oder solche, die überzuckerte kleine Kuchen vor der Kamera backen. An der frischen Luft sich aufzuhalten ist dagegen doch die bessere Entscheidung.
Frau Pannemeyer: Auf engsten Raum unter Wasser monatelang mit vielen Menschen zusammengepfercht zu leben, wie man das in einem U-Boot doch wohl muß, ist aber nicht sehr gesund. Man hat mir auch gesagt, das Tauchen geht auf die Nebenhöhlen und das Trommelfell. Und dann hat Jasmin mir von einer Schülerin erzählt, Alyssa-Lea heißt sie, die hat gegenüber dem Mann von der Bundeswehr gesagt, sie sei auch bereit, ihr Leben einzusetzen. Bedenken Sie mal, so ein junger Mensch, der solche Sachen sagt, also, ich glaube, die macht sich gar keine Vorstellung, was das bedeutet, das ist nur so dahingesagt, schrecklich. Man ist gerade einmal ein paar Jahre auf der Welt und schon ist man bereit, auch wieder zu sterben. Bei den vielen Unruhen auf der ganzen Welt stehen die Chancen, daß man wirklich nicht mehr lebend von einem Einsatz zurückkommt, recht hoch.
Frau Hebestreit: Ich habe immer schon ein Faible für Geschichte gehabt und habe Bücher über den Ersten Weltkrieg gelesen, und ich kann Ihnen sagen, das ist kein schöner Tod, wenn man in einem U-Boot sitzt und keine Hoffnung mehr besteht, gerettet zu werden. Sie sitzen praktisch in Ihrem eigenen Sarg und ersticken langsam.
Frau Pannemeyer: Hören Sie auf, solche Bilder zu malen! Es ist schon schlimm genug, daß ich meiner eigenen Tochter das nicht ausreden kann. Wozu hat man all diese Schmerzen der Geburt auf sich genommen, wenn dann das eigene Kind wenige Jahre später sich bereit erklärt, für das Vaterland zu sterben.
Frau Hebestreit: Die Torpedos, übrigens, die sich an Bord befinden, kosten pro Stück eine Million Euro, wußten Sie das? Das allein wäre für mich ein Grund, da nicht mitzumachen. So eine Geldverschwendung! Und es ist nicht einmal garantiert, daß der Abschuß dieses Torpedos dann auch ans Ziel gelangt oder, auch das hat es schon gegeben, daß das Torpedo ein ziviles Schiff, das an den Kampfhandlungen überhaupt nicht beteiligt war, getroffen wurde.
Frau Pannemeyer: Ich verstehe davon zu wenig, aber Sie haben recht, das ist teuer und sinnlos. Wozu reden die Menschen nicht miteinander, das unterscheidet uns doch von allen anderen Tieren, wozu haben wir die Sprache, mit der sich doch alles sagen und regeln läßt? Ich habe Jasmin, als sie noch ganz klein war, dieses Kinderbuch von Erich Kästner gekauft, ›Die Konferenz der Tiere‹, das hat sie sehr geliebt, da war sie sogar bereit, einen Nachmittag auf das Prügeln mit den Nachbarkindern zu verzichten. Besonders gefallen hat ihr der Satz, den der Löwe immer wieder gesprochen hat, wenn die Menschen wieder einen neuen Krieg vorbereitet hatten: »Wenn ich nicht so blond wäre, könnte ich mich auf der Stelle schwarz ärgern!«
Frau Hebestreit: Ein wunderbares Buch! Und da steht auch der Satz darin, daß die Konferenz der Tiere abgehalten werden soll »wegen der Kinder«. Die Zeichnungen von Walter Trier passen auch so gut zu der Erzählung von Erich Kästner, der ja weit mehr als ein Kinderbuchautor war. »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.« Na! Kann man noch kürzer sagen, was gut und richtig ist? Er war ein Genie, ganz im Gegensatz zu diesen Wissenschaftlern, die tausend Seiten über Moral und Ethik vollschmieren, und am Ende ist man genauso schlau als wie zuvor.
Frau Pannemeyer: Ja, das kann ich nicht beurteilen, aber ich wills Ihnen glauben. Ich verstehe auch nicht, wieso man überhaupt noch Menschen für das Militär braucht, wo doch die heutigen Kriege alle mit Waffen ausgeführt werden, die nicht einmal mehr direkt an der Front liegen, sondern die aus tausenden von Kilometern entfernten Orten abgeschossen werden und wo der Computer eigentlich den Krieg führt. Wozu muß mein Mädchen da ihr Leben einsetzen, für nichts und wieder nichts?
Frau Hebestreit: Es scheint immer noch Dinge zu geben, die nur von Menschenhand erledigt werden können. Nun beruhigen Sie sich aber mal, liebe Frau Pannemeyer, es ist ja noch Zeit bis Ihre Tochter sich zu entscheiden hat. Und wer weiß, vielleicht lernt sie einen hübschen jungen Mann kennen, den heiratet sie dann und vergißt ihre Unterwasserträume. Das Leben steckt voller Überraschungen.