Marktschreierei füllte die ganze Welt. Für Diplomatie war keine Zeit. (H. G. Wells: Der Luftkrieg, 1908)

Der Schweizer  Waffenhändler Kuno Raeber liegt in einem eleganten Deck-Chair auf seiner Yacht in der Marina von Monaco. Aus den Tiefen der Yacht dröhnt laute Musik: Come you masters of war / You that build all the guns / You that build the death planes / You that build the big bombs / You that hide behind walls / You that hide behind desks / I just want you to know / I can see through your masks… (Raeber schreit durch die geöffnete Luke nach unten): Ja, Herrschaftszeiten, Jean-Claude, jetzt ist aber mal gut! Ich weiß ja, daß du, seit wir mit dir ins Cinema zu dem Bob Dylan-Bio-Film gegangen sind, du seine Lieder abspielen willst, aber es hat alles seine Grenzen und seine Zeit. Ich brauche hier oben amal ein wenig Ruhe nach der geschäftigen Woche, wo der Papa ja doch wieder ein bißchen Geld hat einfahren können. Davon profitierst du ja auch mit, gell? (Musik verstummt augenblicklich. Der Waffenhändler wendet sich einem imaginären Publikum zu und fängt an zu monologisieren):

Ja, also, das war eine Woche! Wahnsinn! Eine Konferenz jagte die nächste. Ich bin aus dem Flieger gar nicht rausgekommen. Das heißt, ausgestiegen bin ich ja schon, denn ich mußte ja auf den verschiedenen Konferenzen und Messen voll präsent sein, damit wir hier in Europa einen langfristigen Frieden beschert bekommen, nicht wahr? Haben Sie das gesehen, wie seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine die Aktie des Rüstungsherstellers Rheinmetall eine beispiellose Rallye hinlegt? Als Rheinmetall 2023 in den DAX aufgenommen wurde, hat eine Aktie etwa 250 Euro gekostet. Jetzt springt sie von Allzeithoch zu Allzeithoch. Das hat den Rheinmetall-Vorstandsvorsitzenden denn auch dazu gebracht, von einer »neuen sicherheitspolitischen Dekade« zu sprechen. Und Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall legt jetzt Jahr um Jahr mehr zu. Das liegt auch daran, daß man im Land umzudenken begonnen hat. Bis zum Überfall der Russen war der Bedarf an Munition immer weiter geschrumpft, keiner hat die Läger gefüllt, weil man geglaubt hat, daß man mit Artilleriemunition nicht sonderlich effektiv arbeiten kann, weil es ja Nuklearwaffen gibt. Doch nun ist Munitionsmangel die größte Sorge der ukrainischen Armee. Da kommt Rheinmetall ins Spiel. Denn die sind der größte Hersteller von Artilleriemunition in der westlichen Welt. Mehrere Hunderttausend Schuß gehen nun in die Ukraine, wie mir der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende schon vor einem Jahr bestätigte. Der Konzern ist 2024 um 40 % gewachsen und der wichtigste Treiber ist die Artillerie. Die Finanzmärkte messen Rheinmetall eine erhebliche Bedeutung für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas zu. Intern spricht man von einer »Zeitenwende 2.0« Ich sprach eben von der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas und dazu muß man wissen, daß die deutsche Bundeswehr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die siebtteuerste Armee der Welt ist. Also billig ist die Bundeswehr nicht und dennoch notorisch unterversorgt. Der milliardenschwere Schuldenplan der kommenden schwarz-roten Bundesregierung soll da einiges beheben. Aber das bedarf der Planungssicherheit. Der Bau von Panzern, Flugzeugen und Munition ist kapitalintensiv und es braucht viel Zeit, bis man die Produkte an die Front schicken kann. Erst kürzlich habe ich mich mit dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) unterhalten, und der sagte mir, daß Kunden in Europa jetzt »ihre Bedarfe bestmöglich harmonisieren und poolen« sollten. An so einem Satz hätte ich als Sprachliebhaber einiges auszusetzen, aber man kann von einem Hauptgeschäftsführer des BDSV auch keine Satzqualitäten wie die eines Goethe erwarten, oder? Er sagte weiter, »die Industrie braucht jetzt klare Ansagen, von welchen Produkten man wie viel in welcher Zeit als Output erwartet. Wenn dies klar ist, wird sie auch liefern.« Jetzt kommt’s. Der BDSV-Präsident ist im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall. Sehen Sie, ist das nicht ein schönes Beispiel von Synergie? So muß das laufen, und wenn es so läuft, dann läuft es wie geschmiert. Nur so kann die Waffenproduktion schnell und zuverlässig hochgefahren werden. Ein französischer Verantwortlicher des Luft- und Raumfahrtkonzerns Safran sagte mir, man sei »bereit, sich an der Kriegswirtschaft zu beteiligen, aber wir brauchen Klarheit, um investieren zu können.« Schon jetzt aber könne man sich vor Aufträgen kaum retten, vor allem Aufträge aus den USA und den Arabischen Emiraten seien in großer Zahl eingetroffen. Auf diesen Rüstungskonferenzen hört man aber auch viel Unsinn. Da soll nun ganz viel Geld für die Modernisierung der Infrastruktur ausgegeben werden, zum Beispiel sollen die vielen maroden Brücken in Deutschland saniert werden. Ja, langt’s noch? Haben Sie es noch nicht kapiert? Wenn der Russe tatsächlich, wie in den Prognosen der Militärs behauptet, spätestens ab 2029 dem Zug nach dem Westen folgen wird, mit massiven Panzereinheiten, ja, was ist dann? Dann offeriert man den russischen Panzern ein komfortables Aufmarschplateau, mit stabilen, stahlbewehrten Brücken, auf denen sie zügig in unser Land einfallen können. Hingegen, wenn man die vielen maroden Brücken weiterhin in ihrem bisherigen Zustand beläßt und auf den Zahn der Zeit setzt, rollen die russischen Panzer auf diese Brücken und dann…zack, fallen sie in die Tiefe. Bessere Panzerfallen als unsere maroden Brücken kann es doch gar nicht geben. Rechnen Sie mit! Was kostet es allein an Sprengstoff, um die gerade erst renovierten Brücken in die Luft zu jagen, um dem Iwan den Überfall zu erschweren? Das wird teuer, sehr teuer, und die vielen Milliarden, die in die Behebung der Brückenmängel gesteckt wurden, kann man auch abschreiben. Also manchmal fehlt es diesen Militärpolitikern einfach an der strategischen Weitsicht und der Erkenntnis, daß eine gewisse Vulnerabilität von Vorteil sein kann. Ach, ja, da könnte man lange lamentieren, aber wir wollen dennoch freudig nach vorn schauen und dem russischen Präsidenten auf den Knien danken, daß er die Ukraine überfallen hat. Ein Gottesgeschenk aus rüstungswirtschaftlicher Perspektive. Dann aber auch, weil der Krieg sich so hinzieht, das ist rüstungswirtschaftlich immer von größerem Vorteil als wenn die ganze Angelegenheit in ein paar Wochen erledigt wird. Man hat zwar früher gern vom »Blitzkrieg« geredet, aber aus waffenwirtschaftlicher Sicht ist das nicht zu begrüßen, und deshalb gefällt mir die Strategie der Russen auch besser, so ganz gemächlich die Ukraine mit nicht nachlassenden Nadelstichen zu bekriegen. Da springt kriegswirtschaftlich gesehen einfach mehr heraus. Man probiert verschiedene Waffensysteme, praktisch unter Laborbedingungen aus, und dennoch handelt es sich nicht um Laborbedingungen, es ist wirklich Krieg und bedauerlicherweise sterben dabei auch Menschen. Wenn ich auf diesen Konferenzen mit den Vertretern der Staaten plaudere, löcke ich manchmal aus Daffke wider den Stachel. Dann sage ich zu denen: Also wissen Sie, Kant hat einmal gesagt: »Für nichts als den Krieg hat der Staat Geld.« Da müssen Sie mal deren Gesichter sehen! Großartig! Wie sich die Hautfarbe verfärbt, ins Grünlich-Bläuliche changiert. Diese Sekunden des Schocks und des Entsetzens koste ich immer voll aus. Ach, ehe ich es vergesse, ich hatte dann auch noch eine interessante Unterredung mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, also einem ganz hohen Tier. Aufgrund meiner Stellung als Waffendealer bin ich es aber gewöhnt, daß von mir ausgehende Einladungen zu einem Gespräch kaum verweigert werden.  Das können die sich auch gar nicht leisten. Tja, er antwortete mir also auf meine Frage, ob wir in einem Krieg gegen russische Drohnen überhaupt verteidigungsfähig seien: »Wenn Sie allerdings fragen, ob wir uns in einem großmaßstäblichen Krieg auch gegen Drohnen ausreichend verteidigen könnten, würde ich Ihnen sagen, daß wir das derzeit nicht können.« Für den Generalinspekteur ist der Abschreckungsgedanke die leitende Idee. »Wir müssen damit rechnen, daß Rußland ab 2029 in der Lage ist, einen großmaßstäblichen Angriff gegen NATO-Territorium zu wagen. Um das zu verhindern, müssen wir abschrecken. Wir müssen genau so stark sein, daß es einem Gegner gar nicht erst in den Sinn kommt, uns anzugreifen. Wir wollen abschrecken und damit einen Krieg verhindern.« Ja, die Abschreckung, es ist doch ein zu schöner Gedanke, den man immer wieder aufgreift und darauf hofft, daß er seine Wirkung zeigt. Glauben Sie daran? Im Vertrauen gesagt, ich nicht. Aber das muß ich auch gar nicht. Die Hauptsache ist doch, daß unsere Abnehmer daran glauben oder zumindest der Öffentlichkeit einzureden versuchen, daß Abschreckung die beste Verteidigung ist. Und die läßt man sich denn auch schon etwas kosten. Mir kommt’s entgegen, ich habe keine Einwände. So, ich habe mir nun doch einen Appetit angeredet. Ich glaube, ich habe im Frigidaire noch eine Flasche Krug stehen, und dazu werde ich mir eine Scheibe Bauernbrot mit Bauernleberwurst machen. Wissen Sie, auf diesen Rüstungskonferenzen wird man jetzt ständig mit diesem Beluga-Kaviar abgefüttert. Das ist doch inzwischen ein Arme-Leute-Essen geworden. Gehen Sie mir los! Ich brauch’ das nicht. Aber eine Scheibe Bauernbrot mit einem feinen Leberwurstaufstrich und dazu dann ein Glas Krug-Champagner, also da kommt eine Stimmung auf. (Steht auf und geht auf die Treppe zu, die in den unteren Schiffsraum führt. Man hört die letzte Strophe des Protestsongs von Bob Dylan, ›Masters of War‹, aus dem Jahre 1963): And I hope that you die / And your death’ll come soon / I will follow your casket / In the pale afternoon / And I’ll watch while you’re lowered / Down to your deathbed / And I’ll stand o’er your grave / ’Til I’m sure that you’re dead.