Am Gartenzaun

Frau Hebestreit und Frau Pannemeyer,  zwei hannoversche Damen, unterhalten sich.

Frau Hebestreit: Haben Sie schon von Ozempic gehört?

Frau Pannemeyer: Ach, gehen Sie mir los mit diesen türkischen Badeorten, wir waren ja schon häufiger in der Türkei, aber die Preise, die da jetzt verlangt werden. Desaströs! Da können wir auch gleich wieder an den Gardasee fahren. Und solange dieser Erdal da an der Macht ist, wollen wir diesen Verbrecher auch nicht mit unserem Geld unterstützen, obwohl er ja kränkeln soll.

Frau Hebestreit: Nein, nein, Ozempic ist ein neues Heilmittel, das in den USA ganz groß herauskommt. Es ist ein Wunder, mit einer einzigen Spritze im Monat können Sie ganz leicht abnehmen. Es geht rasant. Ein Superschlankmittel! Und der Hersteller rechnet mit Milliarden!

Frau Pannemeyer: Ach so, na ja, FDH, hat man früher gesagt, aber das kümmert die jungen Leute auch nicht mehr. Unser Bubi kämpft täglich mit den Pfunden, es ist ein schwerer Kampf, aber bisher hat er ihn verloren.

Frau Hebestreit: Es ist halt noch ein wenig teuer, eintausend dreihundert Dollar muß man für eine Spritze bezahlen, das können sich nur die wenigsten leisten, aber die Hollywood-Schauspielerinnen haben das Geld übrig und lassen sich auch schon regelmäßig schlankspritzen.

Frau Pannemeyer: Der Amerikaner an sich ist gut beieinander, also, er ist dick bis fett, und, wie ich gehört habe, haben die Hälfte der Leute da Zucker, da wäre es schon gut, wenn man bei der anderen Hälfte mit einer Schlankmachspritze gleich ganz verhindert, daß es so weit gar nicht erst kommt, nüch?

Frau Hebestreit: Da haben sie recht, da müßten die Krankenkassen dann dafür sorgen, daß dieses Ozempic billig über die Ladentheke geht und jeder davon etwas abbekommt. Siebenunddreißig Millionen Amerikaner leiden an Diabetes, also praktisch jeder zehnte, das gibt es sonst nirgends auf der Welt. Und wissen Sie, ich habe mich informiert, bei uns in Europa sind es mittlerweile zwei Drittel aller Erwachsenen, die übergewichtig oder fettleibig sind, das sind dreiundsechzig Prozent der Männer und vierundfünfzig Prozent der Frauen.

Frau Pannemeyer: Du meine Güte, woher haben Sie denn alle diese Zahlen, und dann auch gleich noch parat, ohne nachzuschauen!

Frau Hebestreit: Ich habe in der Schule gelernt:  Wir leben in einer Informationsgesellschaft, und ich informiere mich eben. Aber was ich Ihnen noch sagen wollte:  Wußten Sie, daß es noch ein zweites Wundermittel gibt, daß man in Amerika erfunden hat und daß jetzt neben der Abnehmspritze auch noch als Heilmittel angeboten wird: Wegovy!

Frau Pannemeyer: Hören Sie auf, das klingt mir aber sehr russisch. Mit diesem Rasputin wollen wir erst recht nichts zu tun haben.

Frau Hebestreit: Medikamente haben immer komische Namen. Viagra! Botox! Doch Wegovy verringert den Appetit und verlangsamt die Verdauung und wird neben Ozempic als Ergänzung angeboten.

Frau Pannemeyer: Das geht aber ins Geld. Wunder gibt es immer wieder, aber wer kann zwei Wunder auf einmal bestellen und bezahlen?

Frau Hebestreit: Ja, das stimmt. Deshalb gibt es in Amerika auch die, ach Gott, wie schimpft sich das gleich, die ›Body positivity‹-Bewegung. Unser Jüngster hat es mir beigebracht. Die Sängerin Lizzo ist eines der Werbegesichter, oder sollte man besser sagen: Werbekörper? Sie ist ganz schön mollig, wenn nicht mehr, also unser Jüngster ist ganz hin von ihr. Er möchte sie am liebsten heiraten, aber er ist ja doch erst zwölf. Und man muß auch sagen, diese Negerdamen sehen auch wenn sie ordentlich dick sind immer noch besser aus als unsereins aus unseren Kreisen. Das liegt an der Haut, an der Farbe, und die ist auch nicht schwarz, die ist kaffeebraun, also großartig, das Fett verteilt sich da ganz anders und macht einen besseren Eindruck als bei uns Käsegesichtern. Na ja, jedenfalls sind die Fettpositiven stolz auf ihr Fett und sagen es auch vor allen Leuten. »Ihr seid gut, so wie ihr seid!« Das Wort Fett darf man in Amerika eigentlich gar nicht mehr sagen, wir haben hier in Deutschland früher vollschlank zu den Dicken gesagt. Oder nein, die Dicken haben es von sich selber gesagt, etwas verschämt waren sie schon. Aus den Kinderbüchern von Roald Dahl hat jetzt sein englischer Verlag das Wort fett gestrichen, auch das Wort häßlich wurde entfernt.

Frau Pannemeyer: Das ist ja wie beim Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt. Daraus kann nichts Gutes kommen.

Frau Hebestreit: Freilich, wenn man sich das Leben schönredet, da kann man sich das Leben auch schönfuttern, mit Pommes Fritz und Hackfleischbrötchen und einem halben Liter Cola. Aber da kommt nun Hilfe durch die Abnehmspritze Ozempic und den Appetitzügler Wegovy. So gleicht sich dann alles wieder aus, wo man auf der einen Seite gesündigt hat, wird man dann mit einer Spritze wieder auf den rechten Weg gebracht.

Frau Pannemeyer: Für uns kommt das alles zu spät, aber für unseren Bubi wird das wohl noch was werden, wenn nur die Krankenkassen mitspielen und es das dann auf Krankenschein gibt. Er gibt sich ja so viel Mühe, der Bubi, aber die Versuchung ist zu groß.

Frau Hebestreit: Ja, aber sagen Sie mal, warum schicken Sie ihren Bubi nicht in einen Turnverein, da kann er doch was für seine Figur tun?

Frau Pannemeyer: Schön wär’s. Wir kriegen ihn nicht einmal dazu, mit uns einen Waldspaziergang zu machen. Er bleibt lieber auf seinem Zimmer und spielt mit seinen elektronischen Geräten.

Frau Hebestreit: Also unsere Älteste, die Biggi, die erzählt mir immer von ihren Studien, sie studiert ja auf Arzt, und sie sagt, das mit dem Fett kommt daher, daß früher, also ganz früher, die Menschen kaum etwas zum Essen gefunden haben, und wenn sie dann etwas gesammelt und erjagt hatten, dann haben sie sich den Magen vollgeschlagen, weil man nie wußte, wann es wieder etwa zum Essen geben wird. Besonders alles Fette und Süße wurde gern genommen. Und nun, sagt die Biggi, steht der Mensch heute plötzlich in einem hellerleuchteten Supermarkt und rings um ihn herum liegen all die schönen Sachen, die man für wenig Geld kaufen kann. Unser Gehirn, sagt die Biggi, hat aber mit der Entwicklung nicht Schritt halten können, und so futtern wir wie die Steinzeitmenschen uns ein Bäuchlein an und glauben wie damals, daß man nie wissen kann, wann es wieder ausreichend Nahrung geben wird.

Frau Pannemeyer: Oh je, das habe ich schon so oft mit unserem Bubi erlebt, wenn wir einkaufen gegangen sind. Ständig diese Quengeleien und ich mußte ihm immer wieder die Tüten mit den Süßigkeiten aus der Hand reißen, manchmal hat er heimlich noch im Supermarkt die Tüte aufgerissen und sich das Zeug hineingestopft. Aber eine Möhre, wenn ich die ihm zuhause hinhalte, da beißt er nicht an, die läßt er glatt zurückgehen. Es ist ein Kreuz mit diese Kinder.

Frau Hebestreit: Trösten Sie sich damit, daß, wenn er groß geworden ist und eigene Kinder hat, dann wird er schon sehen, was das für ein Spaß ist, wenn man welche hat. Na ja, war wieder nett, mit Ihnen zu plaudern. Jetzt muß ich aber los, mein Mann erwartet das Mittagessen pünktlich um zwölf auf dem Tisch. Denn da sind die Kartoffeln am heißesten.